»Wie soll sie heißen?«, fragte ich. Wir saßen im Auto und betrachteten das miauende Geburtstagsgeschenk durch die Gitterstäbe des Käfigs. Das Kätzchen war winzig klein, gerade mal 6 Wochen alt.
»Na, das soll Mike selbst entscheiden«, meinte mein Rippchen. »Ist schließlich seine Katze.«
»Ja schon, nur benennt er sie garantiert nach ihrer Farbe, so wie bei Black Mike und White Mike.«
»Er wird sie wohl kaum Greybrownblack Mike nennen, oder?«
»Da kennst du meinen Mikey aber schlecht.«
Mein guter Freund und Arbeitskollege durchlebt derzeit eine schwierige Phase. Er hat vor wenigen Wochen seine geliebte Katze White Mike einschläfern lassen müssen. Das Schicksal hatte ihn eines Familienmitglieds beraubt. Nie zuvor habe ich ihn so traurig und niedergeschlagen gesehen. Für mein Rippchen und mich stand fest: An Mikes Geburtstag würden wir ihm eine ganz besondere Freude bereiten.
»Mieze hört sich gut an«, überlegte ich laut.
»Doof.«
»Für eine amerikanische Katze fast genial.«
»Doof.«
»Mach du doch einen Vorschlag!«
»Mir fällt nichts ein.«
»Tja, dann wird sie leider Greybrownblack Mike heißen.«
»Doof.«
Noch an der Haustür riss Mike den Käfig an sich. »Oh my God, she is so cute!« Die Traurigkeit in seinen Augen war verschwunden. Nun funkelten sie vor Entzücken. Aufgeregt öffnete er das kleine Türchen. »Come to daddy, Greybrownblack Mike!« Mein Rippchen sah mich alamiert an. »Tu was!«, flüsterte sie. Ich räusperte mich und erklärte Mike, dass die Katze bereits einen Namen hatte.
»Oh, really? What is it?«
»Wulfgäng.«
Ich weiß nicht mehr wie ich auf diesen Namen kam. Und dann noch so schnell und geistesgegenwärtig! Manchmal übertreffe ich mich halt selbst. Im Hintergrund warf mein Rippchen sauertöpfisch die Arme in die Luft und biss sich auf die Unterlippe, um nicht laut zu protestieren.
»Wulfgäng?« Mike war begeistert. »Awesome! Come to daddy, Wulfgäng!«
Ein Schatten huschte an uns vorbei und stürzte sich fürchterlich fauchend auf die kleine Katze mit dem awesome Namen. Diese warf sich sogleich auf den Rücken und nahm Kapitulationsstellung ein, was Black Mike lediglich ermutigte die Krallen auszufahren und wie Freddy Krueger gnadenlos zuzulangen. Wulfgäng wäre in kleine Streifen zerlegt worden, hätte Mike sie nicht blitzschnell in Sicherheit gebracht. Er schaute irritiert und etwas besorgt drein.
»Happy Birthday, Mikey!«, hörte ich mich sagen.
Eine Woche darauf fragte Mike bei uns an, ob wir Wulfgäng für vier Tage zu uns nehmen könnten, weil er verreisen musste. Er hatte die Befürchtung, dass sie diesen langen Zeitraum in Black Mikes Gegenwart nicht überleben würde. Ich zögerte. Es gibt in meinem Leben zwei Errungenschaften, auf die ich besonders stolz bin: Bei uns tummeln sich weder Kinder noch Haustiere. So weit haben es nur wenige Männer in meinem Alter gebracht. Dennoch konnte ich die Bitte meines Freundes nicht abschlagen. Selbstverständlich würden wir Wulfgäng bei uns aufnehmen. Vier Tage gehen ja schnell vorüber.
Wulfgäng lebte in unserem Heim so richtig auf. Zuhause musste sie stets in sicheren Verstecken verharren. Hier konnte sie sich frei bewegen. Am ersten Abend ging es sofort auf Entdeckungstour. Dabei fiel mir auf, dass sie sich noch sehr tollpatschig fortbewegte, meist seitwärts und streckenweise auch hüpfend. Es sah putzig aus. Auch mein Rippchen schmolz dahin: »Was für ein süßes, kleines Ding!«
Das süße, kleine Ding lernte bald seine Krallen zu gebrauchen, vornehmlich bei schwierigeren Kletteraktionen. Wollte Wulfgäng beispielsweise den Schreibtisch erkunden, so haute sie gekonnt ihre spitzen Werkzeuge in meinen Knöchel und begann beflissen den Aufstieg an meinem Bein. Ja, der Schreibtisch hatte es ihr besonders angetan. Darauf gab es viel zu entdecken, und es schien für sie eine Art Pflicht zu sein, mindestens zweimal pro Minute über meine Tastatur zu latschen. Die Maus des Computers ließ sie übrigens völlig kalt. Wurde es ihr zu langweilig, krabbelte sie mir auf die Schulter und machte es sich bequem – die Krallen fest in meinem Fleisch verankert, damit sie nicht abrutschte. Von jenem Tag an war das meistgebrauchte Wort aus meinem Munde: »Aua!« Dicht gefolgt von »Nein!«
Mit den zahllosen Kratzern an meinem Körper konnte ich leben. Dass Wulfgäng aber allmählich damit begann, unser Mobiliar zu zerfetzen, wollte ich nicht ohne weiteres akzeptieren. Mich nervte auch die Gleichgültigkeit meines Rippchens. Wulfgäng baumelte einpfötig von unseren teuren Esszimmerstühlen: »Süß!« Wulfgäng sezierte die Couch: »Süß!« Wulfgäng verschleppte wichtige Gegenstände: »Rate mal, wo ich die Fernbedienung gefunden habe. Unterm Bett! Ist das nicht süß?«
Im Internet suchte und fand ich Rat. Auf einer informativen Seite empfahl mir eine fachkundige Katzenliebhaberin, Ungezogenheiten mit einer Sprühflasche auszutreiben. Wasser schreckt ab, las ich dort. Die Flasche war schnell besorgt. Als Wulfgäng zu einem Sprung auf den Wohnzimmertisch ansetzte, weil sie mein Abendessen genauer inspizieren wollte und mein Rippchen keine Anstalten machte, sie davon abzuhalten, trat ich mit einem gezielten Schuss in Aktion. »Hey!«, schrie das Rippchen und verpasste mir eine saftige Ohrfeige. »Was soll das?« Aufgebracht rieb sie sich Wasser aus den Augen. Wulfgäng thronte majestätisch auf dem Tisch und blickte amüsiert in die Runde. Dann machte sie sich über mein Essen her. Die Katzenliebhaberin aus dem Internet sollte der Blitz treffen!
Unser Bett ist sehr groß. Nicht groß genug für Wulfgäng, obwohl sie kaum mehr als einen Quadratdezimeter Platz benötiget. Darum musste ich verschwinden, und das bewirkte sie, in dem sie mir brutal ins Ohr biss. Manchmal durfte ich am Fußende schlafen. Warum verbrachte dieses Raubtier die Nacht bei uns im Bett? Richtig: »So süß!«
Mein Rippchen und unser Gast wurden schnell ein Herz und eine Seele. Mir schien auch, dass sie sich gegen mich verschworen hatten. Gelegentlich hörte ich sie im Wohnzimmer leise über mich tuscheln. Betrat ich den Raum, wurde es sofort still und beide schnurrten ganz unschuldig.
Am Morgen des vierten Tages wachte ich gut gelaunt auf. Schon bald würde ich wieder der Herr im Haus sein. Nichts ahnend knabberte Wulfgäng an meinen Sandalen. »Ab heute Abend ist der Spaß vorbei, du Monster!« Schadenfroh beugte ich mich zu ihr hinab. »Dann wird dir der böse Black Mike wieder regelmäßig die Schnauze polieren.« Mit einem beeindruckenden Satz klebte sie plötzlich an meinem Brustkasten. »Aua!«
Mike erschien mit einer niederschmetternden Nachricht. Er war zu dem Entschluss gelangt, dass Wulfgäng in ihrer Persönlichkeitsentwicklung gestört würde, solange sie sich vor Black Mike verstecken musste. Er wollte sie in ein Heim geben. Mir war es eigentlich wurscht, doch mein Rippchen zeigte sich empört.
»Das lasse ich nicht zu. Wulfgäng bleibt bei uns!«
Nun war ich es, der im Hintergrund protestieren wollte. Ich signalisierte ihr mit meinen Händen Time-Out, schnitt mir pantomimisch die Kehle durch und täuschte einen Ohnmachtsanfall vor. Man ignorierte mich. Mike war erleichtert, dass wir die Katze behalten wollten. Insgeheim hatte er sogar darauf spekuliert, gestand er.
Resigniert blickte ich zu Boden. Vor mir saß Queen Wulfgäng auf den Hinterpfoten und schaute mich an. »Hi daddy!«, miaute sie. Dann streckte sie sich kurz und entfernte sich seitwärts aus meiner Kolumne.