10.02.08

Michael Meyn

Kleine Unfälle erhalten die Statistik

Man stelle sich bitte folgendes vor: Ein Mann steht morgens auf, macht sich auf den Weg in die Küche, um die Kaffeemaschine anzuschmeißen und bleibt auf halber Strecke mit dem großen Zeh des rechten Fußes im linken Bein seiner Schlafanzughose hängen. In der unausgeschlafenen Hoffnung, seinen Fall bremsen zu können, greift der Mann reflexartig nach der Yuccapalme. Beide, Mann und Palme, stürzen zu Boden.

Ja, so hat es sich zugetragen. Heute Morgen. Glücklicherweise kam ich ohne größere Schäden davon. Das Hosenbein war aufgerissen und die kleine Yuccapalme sah nun sehr mitgenommen und auch etwas beleidigt aus. Mein Rippchen - zu früher Stunde nur schwer zu beeindrucken - beugte sich zu mir herunter, scharrte mehrere handvoll Pflanzenerde aus meinen Augen und sagte nüchtern:

»Siehste, ich hab's dir schon immer gesagt: Die meisten Unfälle passieren im Haushalt.«

»Was heißt hier Unfall? Das war ein kleines Missgeschick.«

»Oh, doch! Das war ein Unfall«, widersprach sie mir. »Du hättest dir sämtliche Knochen brechen können.«

»Schnuckie, ich habe jahrelang Judo gemacht. Selbst bei einem Sturz aus dem zweiten Stock würde ich mich sanft abrollen und auf beiden Füßen landen. Sowas verlernt man nicht.«

»Hm, und warum liegst du nun auf dem Boden?«

»Weil ich die Palme retten musste.«

Ich verließ den Unfallort und ging duschen. Der Tag war ganz anders angefangen als ich es mir gewünscht hatte. Daran sollte sich vorerst auch nichts ändern. Der Duschkopf löste sich aus der Halterung und fiel auf meinen eingewachsenen Zehnagel. Es war mit schlimmen Schmerzen verbunden, wäre aber sonst nicht weiter aufgefallen, wenn ich nicht lauthals geschrien hätte. Sogleich steckte mein Rippchen den Kopf durch die Tür:

»Im Haushalt!«

Einige Minuten später rannte ich nackt ins Wohnzimmer und grunzte wie ein primitiver Höhlenmensch. Damit hatte ich schon bei vielen intimen Gelegenheiten für gute Laune gesorgt. Auch diesmal entlockte ich ihr ein schamhaftes Kichern.

"Zieh dir schnell etwas über, Schatz", bat sie mich leicht errötend.

»Sweet Jesus, have mercy!«, betete unsere Nachbarin, die zu meiner Überraschung auf der Couch saß. Wegen ihrer dunklen Hautfarbe wurde sie weder rot noch blass, doch ihre weit geöffneten Augen drückten schieres Entsetzen aus. Hurtig machte ich kehrt und verschwand ins Schlafzimmer, wo ich mich lange und gründlich genierte.

»That was funny!«, meinte Wulfgäng. Sie lag auf meinem Kopfkissen, drehte sich auf den Rücken und strampelte amüsiert mit den Pfoten. Neuerdings spricht unsere Katze. Englisch. Wo sie das aufgeschnappt hat, weiß ich nicht. Wir sprechen deutsch Zuhause. Ich vermute, sie sieht viel fern.