11.06.06

Michael Meyn

Schlimme Beichte aus sicherer Entfernung

Mit dem nächsten Satz werde ich mich fürchterlich unbeliebt machen: Ich kann mit Fußball ebensowenig anfangen wie mit einem Loch im Kopf. Als Deutscher ist mir das natürlich schon fast peinlich. Aber es kommt noch schlimmer: ich könnte nicht mit Gewissheit sagen, ob eine Mannschaft aus zehn oder elf Spielern besteht. Wird man für solche Wissenslücken bereits an die Borussenfront geschickt?

Ich weiß schon, was die Leser nun denken: Entweder ist der Meyn so ein Superintellektueller mit fettigem Seitenscheitel, Hornbrille und Hühnerbrust, oder er ist ganz einfach schwul. Nein, besonders intellektuell war ich noch nie, und schwul bin schon lange nicht mehr. Das Fußball-Gen steckt schlichtergreifend nicht in mir. Es ist auch nicht so, dass ich mit Fußball nichts zu tun haben möchte. Im Gegenteil. Ich könnte mir nichts Schöneres vorstellen, als Fußballfan zu sein.

Gern würde ich meinem Rippchen mit ernster Mine erklären, dass es zu einem Abseits immer dann kommt, wenn der Schiedsrichter es pfeift. Oder in einem unglaublich spannenden Moment aufspringen, mir an den Kopf fassen und rufen: »Ja! Komm, Junge, mach! Ja! Weiter! Loooos! Ahhhhhh ... und dabei war der Ball doch so schön rund ...« Gerade dieses, dem Wahnsinn gefährlich nahe, herausgepresste »Ja!« der Fußballjunkies macht mich total neidisch. Zu derartigen Gefühlsausbrüchen konnte mich nichtmal mein früherer Lieblingssport Tennis bewegen. Und ich war ein Fan der extremen Art! Das Messer im Rücken von Monica Seles hätte durchaus auch von mir gewesen sein können.

Zurück zum Fußball. In der Grundschule schon wuchs mein Desinteresse für des Deutschen Volkssport gewaltig. Da wurde mit ausgedienten Tennisbällen auf dem Schulhof gebolzt. Und die bekam ausgerechnet immer ich in die Glocken, obwohl ich meist gar nicht mitspielte. Denn ich war so schlecht, dass man mich nur hin und wieder als Torpfosten aufstellte, wenn sich gerade nichts Besseres zur Markierung fand.

Auch in meiner späteren Jugendzeit habe ich mich nur selten zum Fußball überreden lassen. Mir wurde da einfach zuviel geschimpft. Lange Flanken, die sich mir in Kopfhöhe näherten, fing ich grundsätzlich mit den Händen auf. »Den musse köppen, du Idiot!« hieß es dann sofort. »Sonne Vorlage krisse nie widder!« Doch warum sollte ich mir freiwillig einen Lederball vor die Gehirnkammer schießen lassen? Nach einem versenkten Elfer wegen meines Handspiels wurde ich zumeist mit wütend herausgerissenen Rasenstücken beworfen und angespuckt. Später wurde ich dann Handballer. Rechtsaussen. Sehr ungewohnliche Position für einen Rechtshänder. Ich habe auch ungewöhnlich wenige Tore geworfen.

Nun ist es ja glücklicherweise überhaupt nicht notwendig, aktiv an diesem Sport teilzunehmen, um ein echter Fußballfan zu sein. Es reicht vollkommen aus, sich einen Lieblingsverein auszusuchen und an den Spieltagen mit Schal, Mütze und Fahne vor dem Fernseher zu hocken. Bier darf natürlich auch nicht fehlen (Diebels Alt, bis es knallt), und wenn man sich dann noch das Vereinslogo auf die Arschbacken und ein Bild des Torwarts direkt über dem Anus tätowieren lässt, ist man fast schon hardcore. Ich habe auf all diese Dinge verzichtet. Und das nicht nur aus ästhetischen Gründen.

Aber einen Lieblingsverein hatte ich schon: VfL Bochum. Ich wohnte ein paar Jahre in Bochum, weshalb sich der Verein anbot. Ein Spiel des VfL habe ich bis heute nicht gesehen. Schon gar nicht live im Stadion. Ich war meistens nebenan und sah mir lieber Starlight Express an. Jedoch konnte ich endlich an Wochenenden in die Kneipe gehen und fragen: »Weiß jemand, wie Bochum gespielt hat?« Da kamen dann oft genervte Antworten wie »Zweite Liga spielt erst morgen« oder »Geh mir weg mit Fußball!«

Europa- und Weltmeisterschaften waren selbstverständlich Ausnahmen. Dann saß sogar ich mit meinen Freunden vor der Glotze. Anfangs heuchelte ich noch großes Interesse. »Wie teuer ist eigentlich die Bandenwerbung?« Und fast immer: »Wer spielt da?« Wer schon mal eine Deutschlandfahne in den Mund gestopft bekommen hat, der weiß, warum ich die Fragerei recht schnell unterließ.

So ganz stumm auf der Couch zu sitzen, während alle um mich herum fachsimpelten, war nie leicht für mich. Ich zwang mich immer wieder, Gefallen am Fußball zu finden. Ohne Erfolg. Einmal wurde ein Spieler so schwer gefoult, dass er blutüberströmt auf einer Trage davon getragen werden musste. Unwillkürlich überkam mich das Verlangen, das Harfespielen zu erlernen. Beim Elfmeterschießen in einem Viertelfinalspiel testete ich ein anderes mal gelangweilt die Reflexe der Anwesenden, indem ich ihnen auf die Kniescheiben klopfte. Ich habe noch irgendwo Krankenhausfotos von den Wunden, die mir an jenem Tag zugefügt wurden.

Ja ja, der Fußball ... Spielt Rummenigge eigentlich noch? Den fand ich irgendwie immer sehr sympathisch.