In der Kolumne »Spaß vor der Kamera« können Sie lesen, was zuvor geschehen ist.
Seit mehreren Tagen schleicht mein Rippchen verdächtig leise um mich herum. Irgendwas stimmt nicht. Aus den Augenwinkeln kann ich oft erkennen, wie sie mich skeptisch mustert. Jeder Versuch mich nach der Ursache für ihr merkwürdiges Verhalten zu erkundigen, endet darin, dass sie wortlos den Kopf schüttelt und den Raum verlässt. Manchmal spüre ich ihren heißen Atem in meinem Nacken, doch wenn ich mich nach ihr umdrehe, ist sie schon wieder verschwunden. Die Frau wird mir unheimlich.
Als ich gestern von der Arbeit nach Hause kam, beschränkte sie ihre sonst sehr herzliche Begrüßung auf ein knappes Kopfnicken. Auch mein Abendessen knallte sie mir schweigend auf den Schreibtisch, ohne mich wie sonst üblich zu fragen, ob ich nicht mit ihr gemeinsam im Wohnzimmer essen wollte. Mit der Zungenspitze kostete ich vorsichtig das Essen. Wie war das nochmal, Arsen hat einen leichten Mandelgeschmack? Ich schmeckte nichts dergleichen und haute rein.
Es dauerte nicht lange, da brach sie endlich ihr Schweigen: »Ok, du hast gewonnen.«
»Echt? Wieviel?«
»Ich mach's. Ich gehe mit dir vor die Kamera. Mit dem geilen Pärchen.«
Die Nudeln fielen mir ungekaut aus dem Mund. Ich hatte das unangenehme Ereignis längst aus meinem Gedächtnis gestrichen gehabt. Mein Rippchen offensichtlich nicht. Ich wusste nicht so recht, wie ich reagieren sollte und mampfte erstmal weiter.
»Sehr lecker, Schnuckie.«
»Bleib beim Thema.«
»Also, wegen mir musst du das wirklich nicht machen.«
»Schnickschnack! Wir ziehen das jetzt durch.«
»Aber warum?«
»Weil du es willst. Es steht dir ins Gesicht geschrieben. Dir gehen die frivolen Internetflitzer nicht mehr aus dem Kopf.«
»Ganz ehrlich, wenn du sie nicht erwähnt hättest ...«
»Ich habe bereits alles in die Wege geleitet. Wir treffen uns um Mitternacht.«
»So spät? Da schlafe ich schon.«
»Ich werde dich wecken.«
Sie machte ihre Drohung wahr. Pünktlich zur Geisterstunde zog sie mir die Bettdecke weg und sagte mit ernster Miene: »Es ist soweit. Steh auf.« Eine Minute zuvor hatte ich noch von einem schönen Stück Schweizer Käse geträumt. Nun ging ich verpennt und auf wackeligen Beinen neben meinem Rippchen her. In meinem Kopf rief eine Stimme: »Dead man walking!«
In meiner Schreiberecke angekommen, befahl sie mir: »Ausziehen!« Sie selbst ließ ihr Nachthemd fallen und setzte sich auf einen der beiden Stühle. Untertänig stieg ich aus meiner Schlafanzughose. Ich war so müde, mir war eigentlich alles egal.
Geiles Pärchen: Ah, da seid ihr ja. Und dann noch so hübsch gekleidet!
»Wie? Geht's schon los?«
»Deutsche sind pünktlich.«
»Ich brauche erstmal'n Kaffee.«
»Steht vor dir. Mach die Augen auf.«
Ich tat wie mir geheißen, erblickte meine Kaffeetasse und griff gierig danach. Das geile Pärchen starrte erwartungsvoll in die Kamera. Verkrampft zog ich meinen dicken Bauch ein. Mein männlicher Gegenspieler war mir optisch weit überlegen. Ein durchtrainierter Körper mit richtigem Waschbrettbauch und muskulösen Armen, um die sich mehrere Macho-Tattoos wickelten. Auf das, was da so lässig zwischen seinen Beinen baumelte, will ich gar nicht erst näher eingehen.
»Nun antworte ihnen doch, sonst sind sie gleich wieder weg.«
»Mir fällt echt nix ein.«
»Ist doch egal. Schreib irgendetwas.«
»Ok.«
Vegasrippchen: Huhu aus Las Vegas!
»Sehr geistreich!«
»Dann schreib du doch, wenn du es besser kannst.«
Geiles Pärchen: Wir sind aus Dortmund.
»Kein Problem. Mache ich gerne.« Mein Rippchen schob mich zur Seite und übernahm die Tastatur.
Vegasrippchen: Ja, wissen wir. Let the games begin!
Geiles Pärchen: Wir sprechen kein Englisch.
Vegasrippchen: Das wundert mich nicht. Ist ja auch nicht notwendig. Jeder spricht Deutsch auf Mallorca.
Geiles Pärchen: Wo?
Vegasrippchen: Majorca.
Geiles Pärchen: Majorca ist geil!
Vegasrippchen: Oh ja.
Geiles Pärchen: Wo liegt eigentlich Las Vegas?
Vegasrippchen: Gleich neben Majorca.
Geiles Pärchen: Geil! Wir sind nächsten Monat wieder dort. Dann kommen wir euch besuchen.
Vegasrippchen: Megageil! Ich werde Kuchen backen. Können wir jetzt anfangen?
Geiles Pärchen: Ja sicher! Ihr macht aber den Anfang. Wir haben keinen Bock auf eine Pleite wie letztes Mal.
Vegasrippchen: Kein Problem. Wir legen sofort los.
»Was müssen wir nun machen?« fragte ich mein Rippchen. »Gibt es da bestimmte Richtlinien?« Ihr zorniger Blick streifte mein Gesicht und versengte mir die Augenbrauen. »Stelle mir keine blöden Fragen. Du hast uns das eingebrockt. Mach was!«
Unter Druck funktioniere ich ja überhaupt nicht. Ameisenbären kriegen mehr erledigt als ich, wenn sie einem bestimmten Stresslevel ausgesetzt sind. Ungeschickt begann ich meinem Rippchen die Schultern zu massieren. Ganz so laienhaft stellte ich mich aber doch nicht an, da sie wohlig schnurrte. »Das fühlt sich gut an.«
Geiles Pärchen: Massier mal weiter vorne!
Ich drückte meine Daumen in ihre Schläfen. Auch das gefiel ihr.
Geiles Pärchen: Weiter runter!
Sanft streichelte ich ihren Kehlkopf, kitzelte mit den Fingerspitzen die Schlüsselbeine und arbeitete mich dann wieder zum Hals hoch.
Geiles Pärchen: Tiefer!
»Schnuckie, die sind mir zu aufdringlich.«
»Ach ja? Das nennt man ›Spaß vor der Kamera‹. Tiefer!«
Die nächsten zehn Minuten verbrachte ich damit, Anweisungen zu befolgen. Immer schön dem geilen Pärchen gehorchend, massierte ich mein Rippchen an Stellen, die man in keinem Biologiebuch finden würde. Wenn es die Situation erlaubte, nippte ich an meinem Kaffee, doch so richtig klar im Kopf wurde ich nicht. Gedanklich schweifte ich desöfteren ab, dachte über einige Projekte auf der Arbeit nach und fragte mich, wie John F. Kennedy damals die Kubakrise nervlich überstanden hatte. Das geile Pärchen glotze mit erregten Kulleraugen in die Kamera, ohne auch nur einen Finger zu rühren. Für mich war das zumindest optisch enttäuschend.
Geiles Pärchen: Sehr schön. Jetzt wollen wir aber sehen, was dein Mann sonst noch so drauf hat.
Vegasrippchen: Eine Menge.
Geiles Pärchen: Na dann, auf geht's!
Ich fühlte mich unwohl. »Wie sollen wir das denn anstellen? Soll ich dich etwa hier auf dem Stuhl ...?« Für mein Rippchen war das kein Problem.
»Wieso nicht? Komm schon!«
Ich kniete mich vor sie, doch hier zeigte sich unzweifelhaft, welche Nachteile zu kurze Beine haben konnten. »Ich komme nicht dran, Schnuckie. Du sitzt zu hoch.«
»Warte. Das haben wir gleich.« Sie zog an einem Hebel unter dem Sitz. Ruckartig sank sie um gut zwanzig Zentimeter. Es wäre die perfekte Höhe für mich gewesen, hätte sie beim Absenken nicht das Gleichgewicht verloren. Kreischend fiel sie mit dem Stuhl nach hinten über. Ihr Hinterkopf schlug, dem Geräusch einer fallengelassenen Bowlingkugel ähnlich, auf den Boden auf. Die Beine strampelten in der Luft, während sich ihre Augen nach innen rollten.
Geiles Pärchen: So mögen wir das!
Besorgt beugte ich mich über mein Rippchen, griff nach ihren Händen und versuchte sie hochzuziehen, ohne mir darüber im Klaren zu sein, dass ich meinen behaarten Hintern in die Kamera hielt. Das war selbst für das geile Pärchen zuviel des Geschmacklosen, und kurz bevor sie die Verbindung abbrachen, ließen sie uns noch schnell wissen:
Geiles Pärchen: Igitt! Lutscht Milcheis, ihr Penner!
Diese Kolumne finden Sie auch in Michael Meyns 2007 erschienenem Buch »Vegas, Schnuckie!«.
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