Man heiratet ja nicht so oft in seinem Leben, und wenn man es denn tut, dann sollte es auch etwas ganz Besonderes sein. Wie bei mir und meinem Rippchen, zum Beispiel. Wir werden unsere Hochzeit nie vergessen!
Nachdem ich die Frau meines jämmerlichen Lebens mit Zwillingen geschwängert hatte, rief ihr Vater an und drohte, sich in den nächsten Flieger von Mülheim nach Las Vegas zu setzen, um mir mit einer Schrotflinte den Kopf von den Schultern zu schießen. Etwas beunruhigt murmelte ich: »Schnuckie, ich glaube, wir müssen heiraten.«
»Einverstanden«, kam es prompt zurück, worauf ich noch beunruhigter wurde.
»Dies bedarf natürlich einiger Planung ...«, räumte ich vorsichtig ein.
»Och, das geht hier ganz schnell.«
»Ja schon, aber wir müssen Einladungskarten verschicken, eine Torte bestellen, einen Pfarrer finden und vieles mehr. Eigentlich ist die Liste unendlich.«
»Oder wir heiraten sofort.« Mein Rippchen schaute mich verschwörerisch an.
»Sofort? Wie? Morgen schon?«
»Nee, heute.«
»Heute? Gleich kommt Indiana Jones im Fernsehen!«
»Ich bin schwanger, und unsere Kinder haben ein Recht auf ein moralisch fundiertes Zuhause. Ich will heute heiraten!«
»Die Hormone spielen dir einen Streich. Du solltest jetzt nicht überstürzt handeln.«
»Eine schwangere Frau kann gar nicht früh genug heiraten.«
»Es ist fast Mitternacht!«
»Das spielt in Las Vegas keine Rolle. Let's go!«
Nicht viel später stand die Frau, mit der ich noch nicht einmal verlobt war, hübsch gekleidet an der Wohnungstür und war bereit, mit mir getraut zu werden. Argwöhnisch musterte sie mein Hochzeitsoutfit. »Kurze Hosen und Sandalen?«
»Ist farblich alles abgestimmt!«
»Zieh dich um!«
»Warum?«
»Sofort!«
»Ich hab' nix Anderes.«
»Ich werde schon etwas für dich finden.«
Um sich in Amerika trauen zu lassen, muss man sich zunächst eine Marriage Licence besorgen. Für diese Lizenz braucht man keine bestimmten Voraussetzungen zu erfüllen; es geht schlichtweg darum, dem Bürger das Geld aus der Tasche zu ziehen. In Las Vegas bekommt man diesen Wisch sogar nachts. Wir machten uns auf den Weg zum Courthouse im alten Teil der Stadt, Downtown. Es ist nicht empfehlenswert, sich dort zu später Stunde herumzutreiben. Die teilweise spärlich beleuchteten Straßen bieten selbst dem ungeschicktesten Amateurverbrecher hervorragende Einsatzmöglichkeiten.
Wir fanden einen »bewachten« Parkplatz (es gab keine Nachtwachen, aber dafür zwei helle Laternen) und beschlossen, den Rest des Weges zu Fuß zu gehen. Schon nach wenigen Schritten brach mir der Schweiß aus. Es war ungewöhnlich schwül in jener Nacht.
»Renn doch nicht so!« Mein Rippchen humpelte in einigen Metern Abstand hinter mir her.
»Was ist los?«
»Meine Schuhe drücken.«
»Hättest Sandalen anziehen sollen. Oder Turnschuhe.«
»Wie weit ist es denn noch?«
»Gleich hier um die Ecke.«
Wir bogen in eine weitere dunkle Straße. Dort, wo ich das Courthouse vermutet hatte, stand das Gebäude einer Bank. In mir keimte Hoffnung auf. »Hm, ich hätte schwören können, genau hier das Courthouse gesehen zu haben. Vielleicht sollten wir wieder nach Hause fahren und uns erstmal besser informieren.« Daheim hätte ich dann heimlich ein paar Sachen gepackt und wäre nach Utah abgehauen.
»Kommt überhaupt nicht in Frage! Wir fragen uns durch.«
»Aber hier ist doch weit und breit niemand.«
Nachdenklich schaute sich mein Rippchen um. Plötzlich wechselte sie die Straßenseite und ging zielstrebig auf einen Obdachlosen zu, welcher laut schnarchend unter einer Palme schlief.
»Hey, wach auf!« Sie stupste ihn mit der Schuhspitze in die Seite. Ich eilte herbei, für den Fall, dass ich den Obdachlosen beschützen musste.
»Wo ist das Courthouse?«
Etwas desorientiert richtete sich der Mann auf. »Wo bin ich?« Seine Schnapsfahne breitete sich schnell aus; ein kleiner Funke hätte ausgereicht und Downtown wäre explodiert.
»Third Street.«
»Welche Stadt?«
»Vegas.«
»Ah, dann ist es drei Blocks in diese Richtung.«
»Danke.«
»Haben Sie einen Dollar für mich?«
»Such dir'n Job!«
Nach einem strammen Marsch erreichten wir das Courthouse. Mein Rippchen mit großen Blasen an den Hacken, ich mit deutlich sichtbarer Unterarmnässe. Die Formalitäten waren schnell erledigt. Mit unserer Marriage Licence verließen wir das Gebäude durch den Ausgang, wo wir von einer applaudierenden Menschentraube empfangen wurden. Man gratulierte uns zu der immer näher rückenden Eheschließung und drückte uns Prospekte in die Hand. Prospekte zu berühmt-berüchtigten Wedding Chapels in Las Vegas. Ich kam mir vor wie in einem Drogenviertel, umringt von aufdringlichen Dealern. Mein Rippchen fand's praktisch.
»Schau mal hier«, forderte sie mich auf, nachdem sie ein paar Prospekte aufmerksam studiert hatte. »Little Chapel of Flowers. Das sieht doch recht huebsch aus. Da gehen wir jetzt hin!«
Im Little Chapel of Flowers war der Teufel los. Zunächst hatte man das Gefühl, einen Souvenirladen zu betreten. Überall an den Wänden hing kitschiger Krimskrams. Besonders auffällig waren die zum Verkauf angebotenen T-Shirts, die mit der Aufschrift »I was married by Elvis« bedruckt waren. Ohrenbetäubendes Stimmengewirr von unzähligen Menschen raubte mir jegliches Konzentrationsvermögen. Weshalb war ich hier? Dies wollte auch eine junge Frau hinter einer Glasvitrine wissen. Ihre hochstehenden Brüste, die entweder mit Heißluft oder Silikon gefüllt waren, lenkten fast von den fehlenden Schneidezähnen ab.
»Wir möchten gerne heiraten«, schrie mein Rippchen. Trotzdem konnte man sie bei all dem Lärm kaum verstehen. Als hätte die Frau unser Anliegen erahnt, wies sie mit den prallen Brüsten auf eine Preistafel an der Wand. »Für welches Paket haben Sie sich entschieden?«
Wir berieten uns kurz, brüllten uns gegenseitig in die Ohren und kamen schnell zu der Erkenntnis, dass wir hier schleunigst wieder raus wollten.
»Wir nehmen Preispaket A, bitte«, rief ich laut. Zur besseren Verständigung erhob mein Rippchen beide Arme und ließ sie über dem Kopf zu einer Spitze zusammenlaufen. Offenbar versuchte sie ein A darzustellen.
»Verstehe. Die Billigversion.«
»Ja, genau.«
»Wollen Sie Elvis dabeihaben? Kostet nur hundert Dollar extra.«
Fragend sah ich mein Rippchen an. »Wollen wir das?«
»Was singt er denn?«, erkundigte sie sich. Die Frau rollte mit den Augen.
»Im Preispaket A singt Elvis überhaupt nicht. Er summt nur, wackelt mit den Hüften und winkt Ihnen aus einer Ecke zu.«
»Summt er schön?«
»Geschmacksache.« Ihre Zunge schnellte aus der breiten Zahnlücke hervor, peitschte rechts und links durch den Raum und verschwand wieder. Wir verzichteten auf die Schmalztolle und auch auf den Limousinen-Service für weitere zweihundert Dollar.
»Gut, dann müssen wir jetzt noch die passende Kapelle für Sie finden.«
Zügig schob uns die Frau durch die Menschenmassen. In fast allen Kapellen waren Trauungen im vollen Gange. Das störte die Frau nicht. Ungeniert riss sie die Türen auf und knallte sie wieder zu, nachdem sie uns schreiend über die Besonderheiten der Räumlichkeiten in Kenntnis gesetzt hatte. Lediglich ein Raum war fest verschlossen: The Chapel of Multiple Orgasms. »Für die gealterte Hippie-Generation«, wurde uns erklärt. »Ist aus rechtlichen Gründen während der Zeremonie vom Zugang ausgeschlossen.«
Alsbald fanden wir eine Kapelle, die uns beiden zusagte. »Ganz tolle Blumendekoration!«, staunte meine schwangere Geliebte. »Das nehmen wir.«
»Sehr gut. Warten Sie hier. Der Pfarrer wird gleich kommen.«
Die Frau entfernte sich von uns, kam aber kurz darauf noch einmal zurück und warf uns einen Blumenstrauß aus Plastik zu.
»Wirkt auf den Fotos wie echt.«
Artig verweilten wir auf der Stelle. Der Pfarrer kam mit einem Reporter. Letzterer war nicht wirklich ein Reporter. Er sah nur so aus, weil er eine schwere Kamera um den Hals trug. Seine Aufgabe war es, den wichtigsten Moment unseres Lebens fotografisch festzuhalten. Und der Pfarrer war wahrscheinlich auch kein echter Geistlicher. Wohl eher war er ein Mann mit der Lizenz, Menschen ins Verderben stürzen zu dürfen. Sollte ich jemals Amok laufen, er würde mein erstes Opfer sein.
An die Trauung erinnere ich mich kaum noch. Es ging sehr schnell. Nur einmal wurden wir unterbrochen, als die Frau ohne Schneidezähne hereinstürmte und einem verstört dreinblickenden Pärchen zurief: »Und dies ist unsere schlichteste Kapelle. Wird kaum genutzt, weil sie so billig ist. Schließlich will man der Braut ja auch was bieten. Aber wenn Sie sich nichts Besseres leisten können, ist dieser Raum ideal für Sie. Die beiden sind auch gleich fertig. Dann kann es schon losgehen.« Die Tür krachte wieder ins Schloss.
Wir tauschten Ringe aus, die mein Rippchen zuvor eilig aus einem Schmuckkästchen gekramt hatte und gaben uns vorformulierte Versprechen. Alles geschah automatisch. In Gedanken war ich ganz woanders. Erst beim letzten Teil einer Frage, die lautete » ... bis dass der Tod euch scheidet?« wurde ich hellhörig.
»Was?«, stammelte ich.
»Du musst antworten!«, zischte meine Braut. Die Realität hatte mich wieder eingeholt. Aus der Nummer kam ich nicht mehr raus. Ich nickte in den Raum.
»Ok, so machen wir das.«
Und plötzlich waren wir Mann und Frau. Wir küssten und umarmten uns. Dabei flüsterte mein Rippchen leise: »Ich bin gar nicht schwanger.«
»Tatsächlich?« Ich war überrascht, doch sehr erleichtert. »Dann können wir uns ja wieder scheiden lassen.«
»Wehe! Du bist jetzt mein!«
»Und du bist jetzt M-m-m-meyn!«, stotterte ich etwas unsicher.
Warum schreibe ich ausgerechnet heute darüber? Es ist unser Hochzeitstag. Gleich gehen wir fein essen. Dann werden wir uns bei einem Gläschen Wein an den Händen halten und mit schwärmerisch verklärten Blicken an jene Nacht zurückdenken, als ein gelangweilter »Pfarrer« ein wenig zu gelassen die bedeutungsschweren Worte sprach: »... bis dass der Tod euch scheidet.«