Bonbon-Industrie und Zahnärzte reiben sich lechzend die Hände, denn Millionen Haushalte sind mit Süßigkeiten überschwemmt. Auch die Verkleidungsgeschäfte machen heute den großen Reibach. Es ist Halloween. Kurz nach Einbruch der Dunkelheit schlüpfen skrupellose Kinder in die schaurigsten Kostüme und schicken sich an, die Nachbarschaft zu terrorisieren. Systematisch gehen sie von Haus zu Haus. Niemand bleibt verschont. »Trick or treat!«, schreien einem die Blagen ins Gesicht, was soviel bedeutet wie »Gib uns was zu mampfen oder wir kacken auf deine Fußmatte!«
Mein Rippchen liebt Halloween, denn: »Ich liebe Kinder!« Bereits vor einer Woche hatte sie eine große Schüssel mit Leckereien gefüllt und auf den Wohnzimmertisch gestellt. Sie ist stets gut vorbereitet auf Halloween und den damit verbundenem Ansturm von überzuckerten Mini-Monstern. Da sie sich schon immer geweigert hat, mit mir um 4 Uhr aufzustehen und Rührei auf Toast zu machen, damit ich gesättigt meine Kurzgeschichten schreiben kann, stand diese Schüssel sehr bald nicht mehr auf dem Wohnzimmer-, sondern auf meinem Schreibtisch. Kit-Kat und Kaffee sind eine hervorragende Kombination, wurde ich schnell gewahr. Aber auch an den Gummibärchen, Zuckerstangen und Kürbiskeksen mit aufgemalten Horrorfratzen konnte ich mich erfreuen. Manchmal schrieb ich sogar ein paar Zeilen!
»Was ist denn mit den Süßigkeiten passiert?«, fragte mich mein Rippchen heute. Den Speckbauch kratzend stellte ich mich blöd. So kurz vorm Abendessen wollte ich sie nicht verärgern. »Wir haben Süßes?«
»Das darf doch wohl nicht wahr sein!«, präsentierte sie mir zitternd die leere Schüssel. Fast leer, denn als ich meinen Kopf hinein steckte, entdeckte ich eine Zuckerstange.
»Hier, schau mal, Schnuckie. Der Abend ist gerettet.«
Es folgten einige Schreckensschreie, als mein Rippchen panisch durch die Wohnung jagte. »Ich brauche Bonbons! Die ersten Kinder können jeden Moment eintreffen. Ich muss schnell zum Supermarkt fahren.« Sie schnappte sich Handtasche und Autoschlüssel und stürzte zur Tür hinaus. »Sag den Kindern, ich bin gleich wieder da!«, rief sie mir hinterher.
Ihre Begeisterung für Halloween konnte ich kaum nachvollziehen. Der ganze Trubel war mir irgendwie zuwider. Als Kind war ich selbst auch einmal auf Betteltour in Deutschland gegangen. Damals zog ich mit meinem Cousin los. Er führte mich in ein vornehmes Stadtviertel, weil es dort mehr zu holen gab. Unterwegs gabelten wir einen vereinsamten Jungen auf, der auf einem Gullideckel saß und gelangweilt Popel von seiner Nase in den Mund beförderte. Vor den Haustüren stellten wir uns nach Körpergröße sortiert in einer Reihe auf und schmetterten unseren Hit 'Ich bin ein kleiner König'. Da war jedes mickrige Maoam und jeder Groschen hart erarbeitet! Hingegen bilden sich die verzogenen Gören heutzutage ein, sie hätten zu Halloween das Recht, etwas zu naschen einzufordern, bloß weil sie gierig die Hände ausstrecken. Und wir - die Erwachsenen - lassen uns auch noch auf diese Erpressung ein, denn theoretisch besteht bei strikter Verweigerung die Möglichkeit, dass man uns Eier an die Fenster schmeißt, den Briefkasten in Brand setzt oder eben auf die Fußmatte. aber das sagte ich ja bereits. Jeder Amerikaner hat da seine persönlichen Erfahrungen machen dürfen.
Es klopfte. »Da geht's auch schon los«, brummte ich verstimmt, denn viel lieber hätte ich mich hingesetzt und einen Text über Halloween verfasst. Dessen ungeachtet war es aber auch keine gute Idee, sich in der Nachbarschaft den Ruf zu versauen. Ich griff nach der Zuckerstange und öffnete die Tür.
»Trick or treat!«, röhrte ein kleiner Hulk durch seine grüne Maske. Hinter ihm drehte eine rosafarbene Ballerina ein paar gruselige Pirouetten. Blankes Entsetzen vorgaukelnd fasste ich mir an die Brust.
»Please, have mercy! I'll do anything you want.«
»We want candy!« Hulk stemmte grimmig die Hände in die Hüften. Die süße Ballerina hatte sich ausgekreiselt und stand nun leicht torkelnd vor mir. »That's right! Lots of candy!« Danach kötzelte sie mir vor die Füße. Ich erkannte M&M's in vielen Farben und ein ungekautes Snickers.
»There you go!«, sprach ich im großzügigen Tonfall und ließ die letzte Zuckerstange in eine der zwei geöffneten Plastiktüten fallen. »Don't forget to share with your friends.«
Das grüne Männchen holte enttäuscht zu einem wuchtigen Schwinger unter die Gürtellinie aus, doch ich schloss schnell die Tür. Kaum eine Minute später klopfte es erneut. Ich sah mich einer ein Meter großen Gestalt mit rot geschminktem Gesicht und zwei krummen Hörnen gegenüber stehen.
»You will burn in hell!«, drohte der Meter.
»He's Beelzebub«, erklärte sein Vater hinter ihm etwas verlegen. »Ach, den Namen gibt's im Englischen auch?«, dachte ich und versuchte gleichzeitig den kleinen Teufel davon abzuhalten, mir mit seinem Dreizack zwei Augen auszustechen. Ich war zu 50% erfolgreich. Lediglich Süßigkeiten konnten mich vor seinem Zorn bewahren. Wo blieb mein Rippchen? Geistesgegenwärtig griff ich nach meinem Portemonnaie und spießte eine Geldnote auf eine der Zacken. Es wirkte. Wortlos schnappte sich Beelzebub die fünf Piepen. Danach rannte er hinüber zu den Nachbarn, wo er ungeduldig gegen die Haustür trat.
Jeweils fünf Dollar erhielten auch Freddy Krueger, Frankensteins Braut, Boogeyman, Yoda und sein Kumpel Darth Vader, Paris Hilton im Knast-Outfit, der Blob, ein Henker, Paris Hilton gänzlich ohne Outfit, ein Hot Dog, Osama bin Laden, der weiße Hai, ein Vampir, der darauf bestand nicht Dracula zu sein, eine über ihren Reisigbesen stolpernde alte Hexe sowie Ali Baba und knapp 40 Räuber. Binnen 15 Minuten war ich pleite, doch der Strom an Gruselmonstern riss nicht ab. »Trick or treat!«, ertönte es schrill und unaufhörlich.
Zunächst war ich ratlos. Doch dann kam mir plötzlich ein Gedanke. Warum konnte ich nicht ganz einfach den Spieß umdrehen? Ich ließ meine Hose fallen, hielt den behaarten Hintern in den Türspalt und heulte wie ein Werwolf. Kreischende Kinder traten die Flucht an. Selbst die abgezocktesten Trick-or-Treater riefen plärrend nach ihren davoneilenden Eltern. Ein nach unfrischer Windel riechender Zombie rollte erschrocken 15 Treppenstufen bis ins Erdgeschoss, wo er von mehreren bleichen Kollegen an Händen und Füßen in Sicherheit geschleift wurde. Zufrieden kicherte ich vor mich hin, bis ich einen kalten Gegenstand am Hinterteil spürte.
»You will burn in hell!« Beelzebub setzte mit seinem Dreizack zur Probebohrung an. Jaulend fuhr ich herum. »Hey, not you again!« Natürlich hatte sein sichtlich überforderter Vater eine Erklärung parat: »He likes you.« Er schwitzte stark. Angstschweiß, ohne Frage. Der kleinste Pinscher hätte ihn auf der Stelle zerfleischt. Ich sah meine Optionen schwinden und versuchte ihm zu erklären, dass mir sowohl Süßigkeiten als auch das Geld ausgegangen waren.
»He likes MP3 players, too«, flüsterte er hoffnungsvoll.
Das ging eindeutig zu weit. Ich besann mich meines Alters und somit meiner Funktion als Autoritätsperson. Streng blickte ich dem Höllensohn in die Augen.
»Enough! Go home now!«
Augenblicklich machte der Knirps ein paar Schritte nach hinten. Na also, das war doch gar nicht so schwer gewesen. Als Laie in Kinderangelegenheiten begriff ich nicht sofort, dass Beelzebub Anlauf nahm. Sein Dreizack richtete sich auf und zeigte auf mein unversehrtes Auge. »You will burn in hell!« Dann setzte er sich in Bewegung.
Nun hocke ich hier vor meinem PC, starre mit blutenden Tränensäcken auf den Monitor und lasse den Abend Revue passieren. Mein Rippchen ist gut gelaunt. Sie verteilt munter Candy an Amerikas kostümierten Nachwuchs. Bei den Kindern ist sie beliebt. Auch bei Beelzebub. Er sitzt hier bei uns auf der Couch und schaut sich im Fernsehen »Die Wiege des Bösen« an.