12.03.06

Antoine Monot, Jr.

Taschengeld-König

Wir schreiben das Jahr 1988. Ich war 13 Jahre alt und wusste, wie ich es schaffen konnte, reich zu werden. Sehr reich sogar.

Ich wuchs in eher finanziell bescheidenen Verhältnissen auf. Das Geld langte oft vorne und hinten nicht und alle anderen hatten immer mehr als ich. Mehr Geld, mehr Markenkleider, mehr zum Vorzeigen. Während ich meine Mutter einer wochenlangen Gehirnwäsche unterziehen musste und sie dabei fast ruinierte, um ein paar originale hochgeschlossene Puma-Turnschuhe zu bekommen, hatten andere drei Paar, zwei BMX-Räder und immer 50 Mark in der Tasche. Für ein Mal wollte ich das alles haben, wollte ich Taschengeld-König sein.

Ich stieg ins Postergeschäft ein. Erinnern Sie sich noch? Wir träumten noch von Starbucks und Red Bull, aber was wir hatten, waren diese Poster. Poster mit Sonnenuntergängen, Muskeltypen, Einhörnern, Popos in knappen Höschen, fancy Cocktails und und und. Gesagt, getan. Ich schlug pro Plakat drei Mark drauf und ließ meinen eigens dafür erstellen Plakatkatalog in der Schule herumgehen. Jeder machte ein Kreuz hinter seinem Plakatwunsch und schrieb dahinter seinen Namen. Der Anfangserfolg war überwältigend. Sie kamen und bestellten. Vor allem die fancy Cocktails gingen bei den männlichen Schülern weg wie warme Semmeln, die Einhörner bei den weiblichen. Ich sah, einer Todeserfahrung gleich, in dem Tunnel, in dem ich mich befand, am Ende ein helles, »gutes« Licht. Mein Traum wurde wahr. Ich wurde reich. Die Plakate wurden dann am Ende der Woche bestellt und nach vier bis fünf Wochen kam die große Rolle zu mir nach Hause. Endlich. Das Abkassieren hatte begonnen.

Ich war begeistert. Natürlich konnten sich nicht mehr alle an ihre Bestellung erinnern, aber der Prozentsatz der »Nichtabnehmer« blieb gering. Ich verteilte und kassierte ein. Pro Bestellung gingen ungefähr 30 Plakate raus, mal drei Mark waren das umgerechnet 90 Mark. Wow. Wenn ich jetzt die paar Nichtabnehmer abzog, blieben immer noch rund 80 Mark übrig. Das war mehr als ich mir erträumt hatte. Ich rechnete mir aus, was passieren würde, wenn ich täglich 30, 40 ja sogar 50 Stück absetzen würde. Es war der Wahnsinn.

So verkaufte ich ein paar Wochen lang. Sobald die eine Bestellung kam und verteilt war, gabs auch schon wieder einen neuen Katalog mit neuen Motiven: rote Autos, Landschaften in der Dämmerung mit Blitzgewitter, starke Männer mit Babys auf dem Arm und natürlich noch mehr fancy Cocktails.

Irgendwann wurde ich übermütig und bestellte Plakate auf gut dünken. On Spec, wie wir heute sagen würden. Ich bestellte rund 150 Stück und brachte diese eines Tages mit in die Schule. Ich präsentierte sie stolz auf dem Schulhof. Ich pries und verkaufte. Und keiner wollte sie. Ich setzte mein ganzes Talent ein, alles was ich hatte. Zurückblickend würde ich sagen, ich probierte diverse Marketingstrukturen und -aktivitäten aus. Ich verkaufte auch, blieb aber auf 145 Plakaten sitzen. Ich hatte übersehen, dass mein Geschmack nicht der der Allgemeinheit war, und dass bald alle Kinderzimmer mit Plakaten geradezu tapeziert waren.

Bei einem Einkaufspreis von rund 19 Mark 90 war ich ruiniert. Das Geld der ersten Verdienste war längst ausgegeben und auf eine Pleite war ich – weder finanziell noch geistig – vorbereitet. Ich war, wie gesagt, ruiniert. 145 mal 19 Mark 90? Ich traue mich noch heute kaum, die Summe zusammen zu rechnen. Für einen 13-Jährigen kam das einem Offenbarungseid gleich. Und dabei hatte ich doch alles gegeben. Alles, um nur einmal im Leben Taschengeld-König zu sein. Ich fing wieder an zu träumen von Getränken, die Flügel verleihen und von Kaffeehäusern für unsere Generation.