01.12.07

Michaela Pölsler

Schweinskopf fragt nach der Krone

Als Vorgartenbesitzerin bin ich in der erfreulichen Lage, mich auch im hohen Alter noch hin und wieder ordentlich einsauen zu können. An besonders subversiven Tagen laufe ich dann hinterher mit erdverklumpten Schuhen über den Wohnzimmerteppich und freue mich darüber, dass mich keiner anblafft. Das kommt an diesem Tag völlig unverdient aus einer ganz anderen Ecke.

Ich knie im Dreck und grabe eine besonders zähe Löwenzahnwurzel aus. Im Augenwinkel sehe ich einen fetten Daimler an der nächsten Kreuzung, vielmehr: mitten auf der nächsten Kreuzung, halten. Die getönte Seitenscheibe wird herunter gelassen. Aus dem Dunkel des Wageninneren schiebt sich ein feister, glänzender, roter Schweinskopf ins Sichtfeld, der in meine Richtung brüllt: „Krone!“ Weil ich keine ganz Dumme bin, weiß ich, dass das an mich heran gegrunzte Satzfragment, zu einer vollständigen Sentenz geformt, nicht etwa lauten würde: „Haben Sie eine Krone für mich?“, auch nicht: „Hier haben Sie eine Krone von mir, junge Frau!“, ebenso wenig: „Ich habe einen in der Krone!“, sondern ungefähr: „Hallo, entschuldigen Sie bitte, können Sie mir vielleicht sagen, wie ich zur Gaststätte Krone finde?“ Dumm genug, mich über dreiste Unhöflichkeit über die Maßen zu ärgern, bin ich aber wohl.

Nach einigen ähnlichen Erlebnissen hatte ich mir vorgenommen, einfach nur zurück zu grinsen und beharrlich zu schweigen. Nun ist Beharrlichkeit zwar ein erstklassiger Ratgeber in der Hundeerziehung oder meinetwegen auch bei der Hausarbeit. Sprunghaften Naturen liegt sie aber leider gar nicht. Als solche neige ich stattdessen zur Flatterhaftigkeit: Mal erteile ich einen deftigen Rüffel, mal treibe ich kindischen Schabernack, mal quelle ich über vor Langmut und Herzensgüte. Wollte man sich das alles nur aus falsch verstandener Konsequenz versagen, bekäme man bald Bluthochdruck, Cholesterin und Gastritis. Man müsste auf Gegrilltes verzichten, alle zwei Stunden giftig aussehende Kapseln hinunterwürgen, vielleicht sogar Blutdruckmessgeräte und Herzkatheter anschaffen.

Ich horche also kurz in mich hinein. Ist heute der Tag, mich aufzurichten und den halben Block weit zurück zu brüllen: „Wenn du was von mir wissen willst, frag anständig, du ungehobelter Knalldepp!“? Mit sicherem Stich und leichtem Herzen wäre die Löwenzahnwurzel hernach fällig. Nein, dafür bin ich nicht wütend genug. Ich sehe mich gelassen den Unkrautstecher zur Seite legen. Gemessenen Schritts spaziere ich zur Kreuzung, den hupenden Fahrern in dem sich anbahnenden Stau winke ich fröhlich zu. Ich lege meine dreckige Hand auf das frisch gewienerte Autodach und deute mit der anderen nonchalant in die falsche Richtung. Ach, das wäre albern. Hilfsbereit eile ich zum Schweinskopf, der in Wirklichkeit ein übergewichtiger, schwitzender alter Mann ist. Seinem Teint nach zu urteilen, war Beharrlichkeit in seinem Leben immer ein großes Thema. Nach freundlich, korrekt und gewissenhaft erteilter Auskunft hüpfe ich zu meinem Gärtchen zurück, beschwingt von dem tröstlichen Gedanken, dass man manchmal im Leben bekommt, was man verdient. So wie der Schweinskopf sein Essen in der Krone.