10.02.08

Michaela Pölsler

Nach der Klimakatastrophe

Wenn man jung ist, träumt man ja immer davon, große, die Welt bewegende Geheimnisse aufzuklären. Wie Bienen ihre Waben so perfekt sechseckig hinkriegen, Stonehenge, die Wüstenlinien in Patagonien, diese Dinge.

Mit der Zeit wird man bescheidener. Man möchte einfach nur wissen, wieso plötzlich im ganzen Haus kein Feuerzeug mehr aufzutreiben ist. (Das vielleicht löst man mit der Zeit: Erst einmal in sämtlichen Jackentaschen nachgeschaut, hat man schnell wieder eine Handvoll zusammen.) Oder warum kein Schwein zu Hause ist, wenn einen als Eremiten das seltene Bedürfnis zu telefonieren anwandelt. Oder warum immer, wenn man bei meiner Freundin Yvonne überraschend vorbeischaut, alles picobello aufgeräumt und geputzt ist, und immer, wenn bei mir jemand überraschend vorbeischaut, sich auf dem Sofa die Schmutzwäsche türmt und in den Töpfen auf der Spüle die zweite Generation von Schimmelkulturen fröhliche Urstände feiert.

In meinem Alter dann, wenn man langsam kauzig wird, würde man sich schon damit begnügen, die völlig unbedeutenden Mysterien zu durchschauen.

Zum Beispiel, wieso nach einem Sommerregen plötzlich diese flashfarbenen Nacktschnecken überall im Wald auftauchen, wo es im Garten nur braune gibt. Der Boden ist nichts als unappetitliches Braungrauschwarz, Verwesung, Moder und Dreck. Darüber kriecht unbehelligt so ein Wesen in makellosem Leuchtorange, sieht aus, als wäre es gerade frisch aus einer Bifiplastikhaut gequetscht worden und glänzt noch ein bisschen glibberig.

Oder diese neongelben kleinen Kugeln, die in Tütchen als Munition für Spielzeugpistolen verkauft werden. Man findet sie an den absonderlichsten Orten. Auf bereits genannten Waldwegen, in der Ritze zwischen Sitz und Rückenlehne in der S-Bahn, in einer Fuge auf der Terrasse eines kinderlosen befreundeten Paares, auf dem Damenklo des Innenministeriums.

Nach der Klimakatastrophe, im post-humanen Zeitalter, werden erstgenannte Geheimnisse keinerlei Bedeutung mehr haben. Die Wüsten werden überflutet, jede Art von Spuren gelöscht, Stonehenge, Feuerzeuge, Telefone und aufgeräumte wie unaufgeräumte Wohnungen werden innerhalb von ein paar Jahrzehnten von Urwäldern überwuchert und wie vom Erdboden verschluckt sein. Über diesen aber werden leuchtorangene Nacktschnecken kriechen und unter dem einen oder anderen Farn, zwischen der einen oder anderen armdicken Wurzel wird ein quietschgelbes Plastikkügelchen liegen.