10.02.11

Michaela Pölsler

Der Tag, an dem Udo Jürgens mich verfolgte

Los ging es mit »Griechischer Wein«, früh um halbacht an der Bäckertheke im Supermarkt, wo ich meine Frühstücksbrezel holte. Natürlich surrte mir der Schmarrn die nächsten Stunden durchs Hirnkastl. Und dann fiel mir auch noch ein, wie mir die folgende Zeile »... ist so wie das Blut der Erde« als Neunjährige beinahe das Gärtnern verleidet hätte. Ich hatte meiner Nachbarin einen schmalen Streifen ihrer schnurgeraden Beete abgeschwatzt. Sie gab mir ein Stückchen, das an die Miste grenzte, kein richtiger Misthaufen, aber eben die Stelle, wo Unkraut, abgeschnittene Äste und gemähtes Gras gesammelt wurden – ein echtes Schneckenparadies. Nachts fielen sie über meine zarten Pflänzchen her wie Sechzehnjährige über Wodka-Red Bull. Ich buddelte und pflanzte zäh weiter, bis zu jenem »... ist so wie das Blut der Erde«. Da wurde ich vorsichtig. Ständig rechnete ich damit, dass es mir mit einer herausgezogenen Wegelagerichwurzel jäh entgegensprudelte – dickflüssig, brühwarm und tiefrot.

Mittags servierte man mir zu meinem Espresso folgenden Gesprächsentwurf am Nebentisch:
»Du, der Udo Linden... äh, der ... Ich will niemals nach New York. Der singt doch ... äh, du weißt, das Konzert heute.«
Lange, nachdenkliche Pause.
»Du, da geh ich nicht hin.«
Das Gegenüber nickte.
Ich fragte mich kurz, ob die Zustimmung aus Unverständnis, Indifferenz und Maulfaulheit gut geheuchelt war oder aber tatsächlich inspiratives Verständnis herrschte, gepaart mit der Gelassenheit und Großzügigkeit, die ein postwendendes Entgegenbrettern von Korrekturen überflüssig macht. Ich entschied: letzteres. Da saß ich und murmelte leise Worte der Bewunderung. In nichts bin ich so schnell wie im Verbessern. Eine schlimme Unart.

Auf dem Heimweg musste ich plötzlich an die armen Kinder denken. Ich stelle es mir erniedrigend vor, von den eigenen Eltern in ein albernes Imagekonzept verwurstet zu werden. Erst schreibt der Papa »Aber bitte mit Sahne« und dann nennt er zwei wehrlose kleine Menschen Jenny und Johnny. Oder umgekehrt. Um ehrlich zu sein, fand ich das, bis ich etwa elf war, sogar schick. Meine beiden Töchter zeigten, allerdings so ums Kindergartenalter herum, ein ähnliches Faible. Ich erinnere mich an diesen Satz aus Tochtermund:
»Ich hätte Schissi geheißen und du Pissi.«

Abends war ich bei Freunden eingeladen. Es wurde viel Bier getrunken und noch mehr Unsinn geredet. Ein Abend nach meinem Herzen. Irgendwann sagte jemand:
»Meine Mutter ist heute Abend Udo Jürgens.«
Ich dachte: Was sagt man dazu? Turkizismus? Osmanismus? Am besten nichts.
Tapfer schluckte ich meine Studienrätinnenbemerkung hinunter, in der es um die Notwendigkeit von Präpositionen in adverbialen Bestimmungen für die Bildung korrekter deutscher Sätze gegangen wäre. Stattdessen nahm ich mir noch ein Bier. Aber ganz ohne Kommentar konnte ich das dann doch nicht an mir vorbeiziehen lassen. Ich sagte:
»Mit dem wollte ich nicht tauschen.« Zum Glück hörte mir keiner zu und ich nach diesem Tag monatelang nichts mehr von Udo Jürgens.