10.07.14

Michaela Pölsler

Der Nachbar meiner Friseurin ist Nacktputzer

Ich tue mich ja schon mit dem Angezogenputzen schwer. Aber das ist eine ganz andere Kolumne.

Als meine Friseurin mir erzählte, dass ihr Nachbar gern regelmäßig und dabei blitzeblank seine Wohnung schrubbt, haben wir sehr gelacht. Nackt putzen, dachte ich, ich Dummerle, sei lächerlich, genauso wie nackt grillen, nackt moderieren oder nackt scannen, wenn nicht noch lächerlicher. Den Dreck wegzumachen gilt in unsererem Kulturkreis ja nicht gerade als Heldentat.

Ich habe mich gefragt, ob der Nachbar, dem ich der Einfachheit halber erotische Beweggründe unterstellte, sich über die lächerliche Komponente seiner Schauwischerei im Klaren ist, und mich weiter gefragt, wieso er das dann macht. Ich würde von einem nackten Mann wenigstens erwarten, dass er eine Polizistin in die Hand beißt, durch einen Glaswindfang springt oder seinen Sack aufs Kopfsteinpflaster nagelt.

An die devote Seite der Angelegenheit hatte ich mit meinem eingeschränkten provinziellen Vorstellungsvermögen gar nicht gedacht. Es gibt anscheinend sogar Leute, die damit ihr Geld verdienen. Der Nachbar meiner Friseurin scheint auf die Dominanz seines Umfelds zu spekulieren. Oder die sexuelle Neigung seiner Nachbarn geht ihm völlig am bloßen Arsch vorbei, Hauptsache, sie können ihn sehen.

Genau das ist es übrigens, was mich an der Sache stört. Ich finde, Nacktputzen ist so ähnlich wie popeln: in Ordnung, wenn keiner zusieht. Zumindest würde ich gefragt werden wollen, ob mir, wenn ich aus dem Fenster schaue, ein nackter Feudel recht sei. Andererseits gibt es so viele Zumutungen im Leben, dass es darauf auch nicht ankommt – Mütter, die ihre Töchter mit »Fräulein« oder »Madame« anreden, zum Beispiel. »Fräulein, komm mal ganz schnell her!» oder »Finger weg, Madame!« Und wenn man erwachsen ist, muss man sich von solchen Leuten »Schätzchen« nennen lassen. »Schätzchen, das hast du aber ganz falsch verstanden!« Ja, klar, und wenn du noch mal Schätzchen zu mir sagst, kann ich dir ganz richtig eine ballern.

Man wird bei vielen Dingen nicht gefragt, ob man Augenzeuge sein will. Ob man Nackte sehen will, kann man sich meistens noch aussuchen. Nacktheit ist ja auch ein bisschen unerfreulich. Ich denke da an Nacktmulle, gerupfte Hähnchen, Sphynx-Katzen oder ... nackte Menschen. Ja, allerdings. Natürlich nicht, wenn sie das Objekt inniger Liebe und/oder flammender Begierden sind. Und auch nicht, wenn sie jung, durchtrainiert, perfekt proportioniert, optimal ausgeleuchtet und mit Photoshop nachpoliert sind. Aber sonst, so am Baggersee und in der Sauna – also, ich brauch das nicht. Da ziehe ich eine Perserkatze oder einen Herrn in Jeans und T-Shirt entschieden vor.

Leute, die gern fremde Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen, müssen übrigens nicht immer nackt, was sie tun, muss weder interessant noch unterhaltsam sein. Zusehen sollte man ihnen. Falls sich das nicht einrichten lässt, wird hinterher wenigstens ausführlich davon erzählt. Viel und gern wird darüber gesprochen, wo man zum Essen war, was man gegessen und wie es geschmeckt hat:

»Butterzart war das Steak, dafür hättest du kein Messer gebraucht. Perfekt gegrillt, innen einen Hauch blutig, außen wunderbar kross. Die Marmorierung – wie gemalt! Geduftet hat das! Und der Geschmack – unglaublich. Das ist mir auf der Zunge zerfallen. Ganz was anderes als das Zeug, das du bei Aldi für 60 Cent in der Plastikpackung kriegst, hat natürlich seinen Preis, aber lohnt sich auf jeden Fall.« Und dann kommt der fürsorgliche Nachsatz, den man sich für alle, die pflanzliche Ernährung bevorzugen, bis zum Schluss aufspart: »So ein richtig gutes Stück Fleisch hin und wieder ist schon geil, da lässt du dir echt was entgehen, Schätzchen.«

Während man von den einen viel zu viel erfährt, bekommt von anderen gar nichts mit, ja, es gibt Leute, die sich quasi unsichtbar machen. Die nimmt man das erste Mal erst dann richtig wahr, wenn der Verwesungsgeruch ins Treppenhaus wabert oder die Tauben in die Wohnung einziehen, weil die Sanitäter beim Abholen vergessen haben, das Fenster zu schließen.

Es gibt übrigens zehn Dinge, die ich mal nackt tun sollte, habe ich gelesen. Ich erwähne mal drei, der Rest ist so oft gehört, dass ich einen Gähnkrampf kriege. Auf den Rasen soll ich mich legen. Pieksende Halme und Viecher, die ich nicht in meiner Wohnung haben will, an Körperstellen, die ich ohne Spiegel nicht einsehen kann. Sicher nicht. An einem Nackt-Flashmob teilnehmen. Puh. Auto fahren. Vielleicht probier ich das mal. Ich werds keinem erzählen, versprochen.

Sowieso halte ich es lieber mit Charlie Chaplin, der meinte: Your naked body should only belong to those who fall in love with your naked soul.

So, und jetzt ziehe ich mich erst mal an.