12.08.14

Michaela Pölsler

Woscher

Als ich vor ein paar Tagen aus dem Haus trat, kam eine mir unbekannte Frau auf mich zu und keifte: »Schdfrauebblemurlaub?« Da ich mit Sätzen aufgewachsen bin, die mit »Entschuldigen Sie bitte...« »Wissen Sie zufällig...« »Könnten Sie vielleicht...« anfangen, reagierte ich auf das gängige schwäbische Idiom relativ gereizt. »Ich bin über die Urlaubsplanung meiner Nachbarn nicht informiert«, keifte ich zurück. »Häddjoseikenna«, sagte die Frau, drehte sich um und ging ihres Wegs.

Ich stehe nach solchen Begegnungen immer wie ein begossener Pudel da und frage mich: Wie kann man nur? Was liegt diesem völligen Mangel an Höflichkeitsformeln zugrunde? Ist es die ländliche Gewissheit, dass jeder über jeden Bescheid weiß? Ist es die Herablassung gegenüber den Zugezogenen, den Neigschmeggde? Oder einfach nur Einsilbigkeit, eine generelle Ungeschliffenheit oder am Ende gar das stete Streben nach Effizienz?

Wenn ich als Kind auf ein Türklingeln hin öffnen ging, konnte es sein, dass unser Vermieter vor mir stand. Ohne mich zu beachten, spähte er in den Flur und bellte: »Woscher!« In der Annahme, das sei eine Begrüßungsformel, murmelte ich ein schüchternes »Woscher« zurück, woraufhin die Antwort stets lautete: »Drbabbe.« Es dauerte einige Zeit, bis ich den wahren Sinn seiner Worte erfasste. Woscher war seine schlampige Interpretation der Frage »Wo isch er?« und gemeint war damit natürlich mein Vater (Drbabbe), den – seines Zeichens Ingenieur – er meistens brauchte, um eine Maschine in seiner Schreinerwerkstatt zu reparieren. Im Gegenzug ließ er sich hinterher geduldig bei einigen Schoppen die Fahrlässigkeit seiner erzkonservativen Gesinnung auseinandersetzen.

Handwerker beherrschen diese Umgangsformen bzw ihren Verzicht perfekt. Kürzlich hatte ich einen Elektriker im Haus. Als ich von ihm wissen wollte, ob er mir für seine Leistung eine Rechnung schreiben würde oder ob ich ihn sofort bezahlen sollte, antwortete er: »Rechnung.« Und fügte als Erklärung mit hochgezogenen Augenbrauen hinzu: »Firma.« Ich versuchte ihm zu erklären, dass ich ihn selbstverständlich korrekt und inklusive Mehrwertsteuer bezahlt und dafür gern auch eine Quittung entgegengenommen hätte. Kopschüttelnd beharrte er auf seiner »Rechnung.«

Ich bin immer hin- und hergerissen, wenn ich mit dieser reduzierten Form der Kommunikation konfrontiert werde. Je nach eigener Gemütslage stößt sie mich erheblich vor den Kopf oder aber amüsiert mich königlich. Der Interpretationsspielraum, der aus der schwäbischen Maulfaulheit entstehen kann, wird wunderbar in einem von mir sehr geliebten Witz deutlich. Er geht so: Ein Mann kommt zum Metzger und verlangt an der Theke von der ihn bedienenden Fleisch- und Wurstfachverkäuferin: »Von dera Groba, Fetta.« Und bekommt zur Antwort: »Die isch heit in der Berufsschul.«

Kinder werden übrigens seltsamerweise zu einer gewissen Höflichkeit angehalten, was man gerade beim Metzger gut beobachten kann. Sobald das Rädle Wurscht, das jedem unter fünfzehn angeboten wird, in der Kinderhand gelandet ist, folgt von der Mutter der in Frageform verkleidete Hinweis: »Wie sächsch?« (Wie sagst du?)

Umgekehrt ist Kindern gegenüber Höflichkeit eher ungebräuchlich. Je älter man wird, desto obsoleter. Mein Freund, der zu Teilen aus einer urschwäbischen Familie stammt, erzählte mir, dass sein Opa nach dem Abendessen wortlos aufstand, den Fernseher anknipste, seinen Stuhl umdrehte, und – falls die anwesenden Enkel nicht begriffen hatten – sich noch einmal kurz umwandte, um ein »A Ruh!« in die Runde zu brummen. Renitente Enkel, die während der Tagesschau das gebotene Stillschweigen vermissen ließen, bedachte er mit Fingerzeigen und wies sie mit einem nachdrücklichen »Naus!« vor die Tür.

Solche Geschichten veranlassen mich immer dazu, bei der Telekom anzurufen. Nach einer halben Stunde Warteschleife, für die ich natürlich Gebühren bezahle, meldet sich ein mehr oder weniger freundlich klingendes Gegenüber und sagt: »Herzlich willkommen bei der Telekom, mein Name ist Max Mustermann, was kann ich für Sie tun?« Ich erkläre höflich, man könne nichts für mich tun, bedanke mich, wünsche einen schönen Tag und lege auf. Nicht, dass es mir dann besser ginge, aber ich weiß, dass ich es so auch nicht will. Nichts passt mir. Ich bin eben doch eigentlich ein Schwabe.