12.12.16

Manfred Prescher

Miststück der Monate November & Dezember – Pete Doherty »I Don't Love Anyone (But You're Not Just Anyone)«

Cover: Pete Doherty: Hamburg Demonstrations

Meinem Mentalcoach geht es irgendwie wie dem Pete Doherty von den Babyshambles bzw. den Libertines: Er weiß nicht, wohin mit seinem Geld und er liebt Hamburg. Während aber Doherty in immer neue Drogendesigns investierte und ganz nebenbei in der Hansestadt ein paar Lieder zum »Fertigproduzieren« zurückließ, möchte mein Inspirator am liebsten in eine geräumige Wohneinheit in der Elbphilharmonie ziehen. Aber dafür reicht seine Reserve wirklich nicht, wie er sagt: »Die Preise sind so horrend, da kannst Du Dir als gewöhnlicher Millionär nicht mal die Türgriffe leisten«. Ich denke so bei mir, dass das ja der Grund für die miese Frisur des trumpen Donalds sein könnte. Vielleicht hat der sich so in das schmucke Gebäude in der HafenCity verliebt, dass er einfach seine Sparschwein-Massentierhaltung plünderte und dann reichte es am Ende nicht einmal mehr für den Friseurbesuch oder ein passgenaues, weder pissgelbes noch eichhörnchenorangenes Toupet.

Der Doherty wollte natürlich von all dem Rummel um das Nobelbauwerk wenig wissen. Wo der in Hamburg herumstiefelte, dürfte es – um mit dem großen Kinky Friedman zu reden – »finster wie in einem Bisonarsch« gewesen sein. »Aber mir gefällt der Sound schon, der ist so unfertig, so wie es die Elbphilharmonie lange gewesen war. Die Songs wirken wie reduzierte Bonustitel seines ersten Soloalbums ›Grace/Wastelands‹ ...« Ich falle ihm mit dem unqualifizierten Satz »was sie vermutlich auch sind« ins Wort, aber er lässt da gar nicht locker. Besonders angetan hat es ihm das betörend nihilistische »I Don‘t Love Anyone (But You're Not Just Anyone)«, der schon im Titel die ganze Widersprüchlichkeit eines verliebten Misanthropen auf den Punkt bringt. Aber geht das überhaupt? Kann man als Leuteverachter lieben? Und sollte man überhaupt? Ich hab da so meine Zweifel und die misanthropischen DenkerInnen geben mir recht, so etwa Sir Laurence Olivier. Der pflegte zu sagen, dass man »mit ein wenig Nachdenken jeden Menschen unsympathisch finden« würde. Noch harscher brachte es Simone de Beauvoir auf den Punkt: »Dass andere anders sind, anders denken, anders handeln, ist nur halb so schlimm wie die Tatsache, dass sie überhaupt da sind.«

Da ich selber aber eher kein Misanthrop bin, sondern höchstens einer, der, während er Nick Cave, Bob Dylan oder auch Pete Doherty hört, an sich selbst verzweifelt, halt ich den Titel »I Don't Love Anyone undsoweiterundsoweiter in seiner Dialektik eigentlich nicht für in der Realität lebbar. Das in der englischen Presse breit ausgewalzte Liebesleben des Doherty mag mir da doch recht geben, gehalten hat ja keine seiner Beziehungen, es waren halt »Lebensabschnittsbegleiterinnen« auf dem Wege zur nächsten Schnapsbar oder zur lokalen Kokshalde. »Man müsste da schon mal über Liebe und die ganzen Überfrachtungen reden, die wir modernen Menschen ihr zumuten«, orakelt mein Mentalcoach und fährt fort mit »das Wesen, in das wir uns verlieben möchten, soll uns alles sein – und noch viel mehr: Freund, Geliebter, Partner, Mutterschrägstrichvater, Versorger und Nestbauer, Königshengst genauso wie Alltagsmitbewältiger ...«

Da muss man, auch ganz ohne Drogen, beinahe zwangsläufig scheitern, was ja die meisten Leute auch tun. »Aber früher war doch auch nicht alles besser«, murmle ich in meinen vorhandenen Bart. »Denn unsere Großeltern kamen bei der Hochzeit und dem anschließenden Eheleben noch weitgehend ohne Liebe aus. Ausnahmen endeten – siehe Shakespeare – öfters mal tödlich.« Eigentlich müsste es ja etwas dazwischen geben. Denn warum sollte meine Partnerin auch noch meinen Mentalcoach oder meinen Darts-Freund ersetzen? Oder warum sollte ich mich in ihren »Ikebana für den Frieden«-Zirkel begeben, ohne 4000 Euro Schmerzensgeld einzuziehen oder mich gar mit ihrem Psychologen-Freund auseinandersetzen? Das muss nicht sein, denn so viele Rollen hat selbst der beste Schauspieler nicht drauf. Im realen Leben ist es gar noch komplexer, da mangelt es zum Talent auch noch an Zeit, Kraft und Durchblick.

»Was die Schauspieler angeht, hast du recht«, wirft mein Gegenüber ein. »Schließlich sind einige der besten Mimen durchaus die, die immer sich nur selbst spielen, egal ob die nun Manfred Krug, Clint Eastwood oder Robert DeNiro heißen. Gut, bei Charles Bronson kann man das anders sehen.« Ja, bei Musikern ist das auch so. Pete Doherty ist einfach er selbst, weshalb seine neue CD »Hamburg Demonstrations« tatsächlich sehr vertraut klingt. Irgendwie wie Babyshambles unplugged oder so. Und egal, ob die Legende stimmt, die Doherty selber immer wieder in die Journalistenrunde wirft, das Ergebnis klingt astrein nach dem unheiligen Pete aus Hexham. Er behauptete jedenfalls mehrfach, dass er die elf Stücke »nur rasch« eingespielt und sich dann verdrückt habe. Als Beleg für die Richtigkeit mag die Tatsache dienen, dass sich das Ganze bereits 2014 – also weit vor der Fertigstellung der Elbphilharmonie – zutrug. Man kann deshalb davon ausgehen, dass man im Studio auch nicht recht wusste, was man mit den Songs machen soll. Aber irgendwann erinnerte sich Peter dann wohl wieder daran, – und wahrscheinlich daran, dass einige Fans seine Solosachen lieber mögen als Babyshambles/Libertines – nahm den Kram, so wie er herumlag und ließ ihn genau so in CDs ritzen.

Aber da kann man mal sehen, dass Faulheit manchmal schon ganz gut ist. Zumindest hier stimmt das Ergebnis, besser hätte Doherty das mit Eigenelan gar nicht hingekriegt. Für eine kleine Wohnung im neuen Hamburgtempel wird der Verkaufserlös der Hamburger Sessions wohl nicht reichen, denn sein erstes Soloalbum kam anno dunnemals in England nur bis Platz 17, beim neuen Werk sind die Prognosen doch recht ähnlich. Und da die CD-Verkäufe nebst der legalen Downloads in UK dahinsiechen wie Doherty vor der letzten Entziehungskur, kann sich der Künstler vom Reinerlös nicht mal den Toilettenpapierhalter für die Wohnung in der Elbphilharmonie leisten, aber das will er vermutlich gar nicht. »Ich aber schon«, erklärt mein Mentalcoach. »Denn da könnte ich mit meiner Liebsten gepflegt abhängen und ihr ins Ohr flüstern: ›Ich liebe die meisten Menschen, aber du bist nicht wie die meisten Menschen, drum lieb ich dich noch mehr.‹ Für den Rest hätten wir das Personal, Freunde, Psychologen und Ikebana-Kreise.« Stattdessen fährt der Mann nun mit seinem Schatz nach Südamerika um im gemeinsamen Schweiße der Angesichter auf den Spuren von Alexander von Humboldt die höchsten Berge der Anden zu besteigen. In der nächsten Ausgabe des Miststücks müssen wir ohne ihn auskommen – und auf ein Lebenszeichen warten. Da Totgesagte, wie das Beispiel Pete Doherty zeigt, bekanntlich länger leben, ist mit einer Rückkehr irgendwann auch zu rechnen. Humboldt kam ja auch nach Deutschland zurück, wenn auch widerwillig. Mein Mentalcoach verschwindet ja gern, aber den Traum von der Dachbutze in der Elbphilharmonie gibt er halt auch widerwillig auf. Dafür schenke ich ihm die Doherty-CD, da hat er auf seinem Trip wenigstens jemanden dabei, der in Hamburg aktiv war und sich zudem mit Trips bestens auskennt.