13.01.16

Manfred Prescher

Miststück der Woche IV/51 – David Bowie: »Lazarus« – Teil 1

David Bowie

David Bowie

Foto: Sony Music

David Bowie ist tot und jeder muss irgendwie seinen Senf dazu geben. Das ist natürlich völlig klar – der Mann ist schließlich eine Ikone. Vielleicht, so Manfred Prescher, lässt sich das Besondere an diesem Künstler durch eine persönliche Kolumne besser herausarbeiten als durch weitere Songlisten und Lieblingslieder.

Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf – und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, dass du nur noch die Welt retten musst oder dass Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?

In dieser Sonderversion der Kolumne geht es dieses Mal um einen Künstler, der tatsächlich ewig und drei Tage Lieder veröffentlichte, die sich in dir festsetzen.

Elvis Presley sang in einer alternativen Version seines Filmhits »Flaming Star« diese Worte:

»Every man has a black star/
A black star over his shoulder/
And when a man sees his black star/
He knows his time, his time has come«.

Und nun, kurz vor der Todesnachricht, kommt Bowies finales Album heraus – und es heißt »Blackstar«. Presleys Zeilen könnten auf die CD oder in den Titelsong passen, denn Bowie inszeniert dieses Wissen um die eigene Vergänglichkeit und das unmittelbar bevorstehende Ende in einer Art leuchtender Dunkelheit. Sein »Blackstar« ist natürlich weder mit dem bei Anarchos bekannten Zackengestirn noch der nationalsozialistisch besetzten schwarzen Sonne zu verwechseln. Bowies »Blackstar« steht für das unvermeidliche Schicksal des Menschen, einen unsichtbaren, aber kraftvoll wirkenden Einflussbereich, der zwar nicht wärmt, aber doch auf jeden und alles ausstrahlt – zunächst mal auf alle Songs des Albums, irgendwie aber auch auf das vom Tod durchzogene Gesamtwerk des im Januar 1947 als David Robert Jones in London geborenen Künstlers. Egal, ob offensichtlich, wie in »Rock'n'Roll Suicide« oder im während der »Ziggy Stardust«-Phase zum Live-Repertoire gehörenden Jacques-Brel-Stück »La Mort« oder zwischen den Zeilen in »Heroes«, Space Oddity« oder nun in »Lazarus« bzw. dem kompletten neuen Album – gestorben wird in vielen Bowie-Songs. Diese Morbidität zog mich als Teenager in den Bann und Bowie wurde so etwas wie der luzid schimmernde »Blackstar«, der über meinen Schultern schwebte.

Cover: Ziggy Stardust and the Spiders from Mars

Es wird mithin Zeit, den Fluxkompensator in Betrieb zu nehmen und dann durch Dekaden zurückzureisen, bis ins Jahr 1971. »Verdamp lang her«, würde Niedecken sagen und hätte recht. 1971 sollte ich zehn Jahre alt werden, ich hörte brave Musik, die speziell für Kinder gemacht wurde, »Sugar Sugar« von den Archies zum Beispiel, näherte mich aber speziell über den Soul von Motown, Stax und James Brown meinem ureigensten Lebensgroove. »Get up, stay on the scene, like a sex machine« meinte der Godfather. Das klang für mich wunderbar, verheißungsvoll. Aber orientierungslos, wie ich nun mal war, wusste ich nicht, auf welcher Szene ich mich wie zu positionieren hätte. Ray Davies' »Lola« verunsicherte mich in meiner früh beginnenden Pubertät noch mehr, schließlich wusste ich ja nicht, dass im Oktober '71 die Geburt der besten Liebespartnerin von allen ins Haus stand.

»It's a mixed up, muddled up, shooked up world« in der er von einem transsexuellen Mann verführt wurde. Sehr seltsam, frühreif wie ich war, war ich war neugierig und befremdet zugleich. Während bei mir die Triebe erwachten, aber noch nicht wussten, in welche Richtung sie weiter austreiben sollten, war nur eines klar: Die hässlich-brutale Sexualität meiner uns Kindern gegenüber höchst gewalttätigen und übergriffigen Eltern, die wollte ich ganz sicher nicht. Es ist halt verstörend, sehr eindeutige Bilder seiner Erzeuger zu finden, während man erst zu ahnen begann, dass die Suche nach der eigenen geschlechtlichen Identität eben erst beginnt.

Und dann kam David. Mit seinem dritten Album »Hunky Dory« und speziell mit »Changes« und »Life On Mars?«. Die Texte blieben zwangsläufig noch in der Unwissenheit der 5. Klasse Gymnasium stecken, aber ich wusste, dass sich gerade alles veränderte und ich mein Elternhaus wenigstens seelisch verlassen musste. Auf diesem Planeten konnte man nur sterben – ein Gefühl, das schon früh zu relativ morbiden Texten führte. Während die Klassenkameraden noch Fußballerbildchen zur WM in Mexiko sammelten, schrieb ich bereits den typischen Schmarrn juveniler Weltverdrossenheit. Aber ich wusste, dass ich vieles nicht verstand, vielleicht auch besser nie verstehen sollte. Für den Schüler, der noch viel zu lernen hatte, sang Bowie sein »Kooks«. Dass sich das Lied eigentlich auf Neil Young bezieht, ist mir bis zum heutigen Tag egal.

Die Zeiten änderten sich rasant: Während Bowie bei »Hunky Dory« noch aussah, als sei er aus Sandy Dennys Lehrbuch für angewandtes Folkmusiker-Auftreten entsprungen, fiel er nicht einmal ein Jahr später aus dem Himmel direkt in das Doppelkornfeld vor meiner Haustür. Dort, wo mein alter Herr seinen Schnaps erst brannte und dann gleich vor Ort vernichtete, richtete Bowies Raumschiff schon bei der Landung eine ziemliche Verwüstung an. Aber als er dann grell geschminkt und knallbunt angezogen ausstieg und seine Spiders From Mars ihm folgten, da deutete sich an, dass die Zerstörung der Familienstruktur wirklich zu »Changes« führen wird. Ich würde eben nicht werden, was mein Alter ist – um es mit Rio Reiser bzw. Ton Steine Scherben zu sagen. Und ich erkannte, noch bevor ich sah, wie er seinen Gitarristen Mick Ronson oder Brian Connolly, den Sänger der Sweet küsste, wie die Botschaft von Ziggy Stardust lautete: »Du musst Dich nicht festlegen, Du kannst Dich vergnügen, mit wem Du willst. Du musst es nur wollen.« Erst nachdem ich die rund 38 Minuten von »The Rise And Fall Of Ziggy Stardust And The Spiders From Mars« plus die nicht auf dem Album enthaltene Single »John, I'm Only Dancing« zigmal gehört, wie ein Schwamm aufgesaugt und verinnerlicht hatte, wusste ich, dass man diesen Zustand des Nichtfestgelegtsein »bisexuell« nennt. Ich begann mich, für Mädchen und Frauen zu interessieren, mich schüchtern der »Suffragette City« zu nähern, während mir Jungs und Männer vorsichtig näher kamen. Wo und wie das wohl enden würde? Vielleicht im »Rock'n'Roll Suicide«, mit dem das »Ziggy«-Meisterwerk tragisch abschloss? Davor hatte ich als Teenager allerdings keine Angst. Wer wollte schließlich schon so alt werden, wie die Erwachsenen aussahen und sich benahmen? Worum es ging? Um den Moment, um »Let's Spend The Night Together«, um es mit einem aufgeladen Stones-Cover vom »Ziggy«-Nachfolger »Aladdin Sane« zu sagen, um den Beginn einer Reise auf den Planeten Libido. Dass der Trip mit Versagensängsten und dem eigenen Gefühl, eher hässlich und vor allem unvollständig zu sein und einem Mix aus Brylcreem, Akne, Unsicherheit sowie wachsender Lust einherging. Dazu passte Bowie zu dieser Phase. Denn der Propagandist bisexueller Liebe gab sich ebenso schrill wie eigentlich hässlich.

Cover: Young Americans

Erst 1975, mit dem mondänen Album »Young Americans«, das auf seine Art »Let's Dance« vorwegnahm, wurde Bowie zum modischen Ästheten. Zum »Thin White Duke« mutierte er mit der darauffolgenden LP »Station To Station«, die meine Reise mit sphärischem Groove unterlegte. »Wild Is The Wind« – und es war damals egal, ob das Ziel »Nobodyville« oder eben doch die große weite Welt des jungen Amerika sein würde. Aber es war»Young America«, das mich mindestens so prägte wie »Ziggy Stardust«: Weil, das nur am Rande, bzw., eben der Soul aus Detroit auch zu meinem Leben gehört. Denn hier war Bowie Motown so nah wie nie zu vor und selten danach. Irgendwie war er zwar noch der Bowie, der mich bis zu »Diamond Dogs« nicht nur in Abgründe einer multiplen schwarzen Seele, sondern eben auch auf beide Flussufer blicken ließ – aber er war es eben auch nicht. Er war wie der Zwillingsbruder, der sich nicht mehr die Farbtöpfe der Schwesternschar borgte, sondern Anzüge beim Designer besorgte. Und so einen Doppelgänger inszenierte ich selbst auch: 1975 war das Jahr, in dem ich Omas Taschengeld sparte, möglichst schicke Trendkleidung kaufte – und mich als mein eigener Bruder ausgab. Der war frech wie Bowie, nicht verhalten bzw. einsam wie Major Tom und die Mädels mochten ihn. Nach diversen verdienten Watschen integrierte ich diese andere Seite. Also wies Bowie mir erneut, unter anderem mit dem von John Lennon mitgeschriebenen »Fame«, mit »Win« und »Faszination«, den Weg zu mir selbst. An meinem 14. Geburtstag beantwortete ich Bowies Frage »Can You Hear Me?« wieder mit einem »Ja«.

Was danach kam? Genau, die »Berliner Phase« mit »Low«, »Heroes« und »Lodger«, dann »Scary Monsters« und »Let's Dance«, das unterschätzte »Tonight« und »Never Let Me Down«, also die späten 1970er und die 1980er Jahre: Mit dieser Phase beschäftige ich mich nächste Woche hier an dieser Stelle. Im dritten Teil geht es dann um die zu Unrecht untergegangenen Spätwerke Bowies und um »Lazarus« aus dem neuen Album »Blackstar«. Es würde mich freuen, wenn Ihr nächste Woche in meinem virtuellen DeLorean Platz nehmen und mich erneut auf eine Reise »Zurück in die Zukunft« begleiten würdet.