Also dieser Leserwunsch freut Manfred Prescher besonders – denn er resultiert aus einer Spezial-Sendung, die er für Bear Family Radio gemacht hat. Im Zentrum stand dabei eben jener, von ihm sehr verehrte Del Shannon.
Del Shannon: Keep Searchin'
Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf – und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, dass du nur noch die Welt retten musst oder dass Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?
In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.
Tatsächlich hat der Oldies-affine Leser den Song in meiner Show gehört, ihn sich seinerzeit immer wieder gewünscht – und kommt auch noch die Kolumne dazu. Del Shannon haben nicht mehr so viele auf dem Schirm, was sehr schade ist. Denn seine Stimme drückte gleichzeitig Wut, Schmerz, Traurigkeit und Kraft aus. All das passt auch zum Lebenswandel des 1990 mit gerade mal 55 Jahren recht früh verstorbenen Künstlers, der eigentlich Charles Weedon Westover hieß. Denn Shannon, den ich in der Sendung als »Schmerzensmann des Rock'n'Roll« bezeichnet habe, war ein schwer depressiver Mann, der jahrzehntelang das Medikament Prozac nahm, um am normalen Leben teilnehmen zu können. Er erschoss sich, just zu einem Zeitpunkt, als seine dahinsiechende Karriere wieder ins Laufen kam, als er mit der Platte »In My Arms Again« in die Countrycharts gelangte, für Juice Newton den Hit »Cheap Love« schrieb und als Nachfolger des 1988 dahingeschiedenen Roy Orbison an der Seite von Bob Dylan, George Harrison, Jeff Lynne und Tom Petty bei den Travelling Wilburys mitmischen sollte. Was bleibt, sind ein paar unsterbliche Songs aus den Sixties, erstaunliche Coverversionen von Beatles- und Stones-Stücken, ein Album mit Liedern des sehr wesensverwandten Hank Williams und insgesamt drei US-Top-Ten-Hits.
Shannons erste Aufnahme wurde 1961 sein größter Erfolg, die Flucht-Hymne »Runaway«, die geprägt wurde von der Musitron-Orgel, die Max Crook in Schwung versetzte – sowie dem Falsett von Del Shannon. Dass das Lied thematisch recht nah am praktisch zeitgleich entstandenen »Runaround Sue« des Doo-Wop-Stars Dion war, ist mehr als eine Randnotiz, denn seit Mitte der 1950er Jahre und erst recht im Jahrzehnt danach entstand der Begriff »Jugend« samt der dazugehörigen »Jugendkultur« und – damit verbunden war die Abgrenzung von der Elterngeneration und ihrer Werte, ihres Puritanismus, ihres Spießbürgerlebens in den gelackten Doris-Day-Vorstädten und ihren kaputten Beziehungen. »Jugend war entwurzelt, ständig auf der Suche und auf der Flucht vor der gesellschaftlichen Realität«, sollte Del Shannon später in einem Interview mit dem US-»Rolling Stone« sagen. Als Künstler gab er dieser Zerrissenheit in vielen Songs eine Stimme, man höre neben »Runaway« auch die Nachfolge Singles »Hats Off To Larry« und »So Long Baby« oder »Cry Myself To Sleep« aus dem Jahre 1962.
1964 kommt Shannon ein letztes Mal mit einer Single in die Top 10, und die erzählt eine Geschichte, die im Prinzip schon bei Nikolai Gawrilowitsch Tschernyschewski in »Was tun« oder in Goethes »Werther« bzw. ein paar Jahre nach Shannon auch Ulrich Plenzdorf in seiner »Werther«-Adaption ausgebreitet wird – sich also ein ewiges Thema der sich unverstanden fühlenden Jugend vornimmt: In »Keep Searchin' (We'll Follow The Sun)« flieht der Protagonist mit seiner vermutlich missbrauchten Freundin zunächst räumlich aus den bestehenden Verhältnissen, er will einen Ort finden, an dem sie ihre Liebe ohne Schmerz leben kann. Man ahnt, dass dann am Ende dieses bedrückend schön gesungenen, in einen nur etwas mehr als zwei Minuten kurzen Song gegossenen Road-Movies nur der Freitod stehen kann. Die Zeilen, die Shannon verwendet, sind freilich wesentlich einfacher als bei Goethe:
»No one will understand what I've gotta do/
I've gotta find a place to hide with my baby by my side/
She's been hurt so much, they treat her mean and cruel/
They try to keep us far apart,
there's only one thing left we can do.«
Die tragische Geschichte des Liebespärchens bekommt übrigens noch eine Fortsetzung, und die sollte Shannons letzte Platzierung unter den ersten 40 – »American Top 40« hieß das beim Soldatensender AFN – erreichen: »Stranger In Town« erzählt die Geschichte des Paares noch einmal, es geht um das Gefühl, in einer Welt zu leben, die die Beiden als feindlich empfinden. Der Unterschied zu »Keep Searchin'« ist ein rein musikalischer: Der Nachklapp ist einfach musikalisch deutlich schwächer. »Keep Searchin'« ist ein pures Stück Pop, mit dem sich Del Shannon schon früh in Richtung psychedelischer Sounds entwickelt. Der Song ist ein innovatives und perfekt produziertes Kleinod, von dem später nicht nur John Lennon, sondern eben auch die Wilburys Dylan, Petty und Lynne schwärmten.
Nächste Woche geht es an dieser Stelle übrigens um das für heute versprochene Lied von The Tallest Man On Earth. Ich bin, muss ich zu meiner Schande ehrlich gestehen, in meiner eigenen Liste »ausgerutscht«, bzw. habe mich in der Zeile vertan. Den schmalen Schweden gibt es also in der kommenden Ausgabe. Bis dahin, Folks, nehmt Eure Liebsten oder Euren Liebsten und macht keinen Unfug. »Lasst die Sonne rein«, wie die Fanta 4 einst rappten – und seid einfach lieb. Denn wie sang schon Elvis Costello damals als noch die Mammuts durch die Gegend stapften in seiner coolen Version eines Songs von Brinsley Schwartz? Richtig: »What's so funny about peace, love and understanding?« Eben! Drum seid friedlich, liebt und versteht euch. In diesem fast schon vorweihnachtlichen Sinne ende ich für heute.