Leonard Cohen
Sony Music
Es gibt gute und schlechte Lieder – und es gibt welche, die sich so einer Kategorisierung einfach entziehen. Sie sind magisch, funktionieren in jedem Kontext und beinahe in jeder Version. So eines ist das Thema des heutigen Wunschmiststückes. Manfred Prescher versucht sich diesem Monolithen von einem Song zu nähern.
Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf – und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, dass du nur noch die Welt retten musst oder dass Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?
In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.
1911 wurde eine Kurzgeschichte von Ludwig Thoma veröffentlicht, die zumindest in der weißblauen Landesmetropole zu den immerwährenden Klassikern gehört: »Ein Münchner im Himmel« handelt vom handfest-derben Bajuwaren Alois Hingerl, der als Dienstmann Nummer 172 am Münchner Hauptbahnhof sein Brot verdient, leider aber durch einen Unfall in höhere Sphären aufsteigen darf bzw. muss. Dort, wo es weder Weißwurscht noch Bier, sondern Manna und Ambrosia gibt, wird man an oberster Stelle auf ihn aufmerksam. Denn er kann ganz wunderbar unkonventionell Fluch und Segen miteinander kombinieren: »Ha-ha-lä-lä-lu-u-uh – Himmi Herrgott – Erdäpfi – Saggerament – lu-uuu-iah«. Es gibt mindestens eine Fantastilliarde unterschiedlicher Möglichkeiten, das aus dem althebräischen stammende Gotteslob zu interpretieren. Der Hingerl macht das auf eine Art, die dem musikalisch eher weich daher schlurfenden Leonard Cohen nur vom Klang her fremd, weil halt nicht krachledern, ist. Inhaltlich verbindet aber auch der smarte, jüdisch-buddhistische »Ladies Man«, Dichter, Denker und zynische Beobachter aus Kanada ungewöhnliche, ja auch harsche Verse mit der Anpreisung, etwa, wenn er in die Niederungen von Beziehungen und ihren Machtkampf geht. Ähnlich wie es etwa Elvis Costello in »Two Little Hitlers« beschreibt, fasst es Cohen zusammen:
»Baby, ich war schon mal hier/
Ich kenne dieses Zimmer, ich bin schon auf diesem Fußboden gelaufen/
Ich habe immer allein gelebt, bis ich dich kennenlernte/
Ja, ich habe deine Flagge auf dem Marmorbogen gesehen/
Aber Liebe hat doch nichts mit einem Triumphzug zu tun/
Sie ist nur ein kaltes und total zerstörtes Halleluja«.
Leonard Cohen
Zu finden ist dieses Lied zusammen mit dem sehr gut dazu passenden »Dance Me To The End Of Love«, mit »Heart With No Companion« oder mit »If It Be Your Will« auf der 1984 erschienenen LP »Various Positions«, dem siebten von insgesamt ohnehin nur 13 Studioalben, die in knapp fünf Jahrzehnten entstanden sind. Dort fügt es sich in ein Gesamtkonzept, in dem es – verteilt auf neun elegische Lieder – philosophisch, lyrisch und auch politisch um Liebe, Tod, Glaube, Stillstand, Verzweiflung und Angst geht. Nach diesem Werk folgt übrigens meine absolute Lieblingsplatte von Cohen, nämlich »I'm Your Man«. Aber zurück zu »Hallelujah«: Das Lied lässt sich aus dem Albumkontext reißen, denn es steht über dem, was sich auf »Various Positions« abspielt. Auch Cohen bemerkte das früh, wie er 1988 im Interview mit mir sagte: »Der Song hat ein Eigenleben, er verändert sich auf seltsame Weise immer weiter mit mir«. Als Beweis diene zum Beispiel Cohens zehn Jahre jüngere Konzertaufnahme, zu finden auf »Cohen Live«. Damals hat er auch den Text teilweise neu geschrieben. Auch die vielen – und meist wirklich sehr guten – Coverversionen des Stückes zeigen, dass sich »Hallelujah« vielfältig, schlüssig und praktisch in jedem Umfeld einsetzen lässt, auch in Fernsehserien wie »Dr. House«, »Numb3rs«, »Scrubs« oder Emergency Room«. Erstaunlich viele gelungene Varianten gibt es mittlerweile – erwähnt seien die von Jeff Buckley, der damit besonders erfolgreich war, sowie die von Annie Lennox, Sheryl Crow, k.d. Lang, John Cale und Rufus Wainwright. Jede für sich ist beeindruckend einzigartig, eine jeweils sehr persönliche Interpretation des Cohenschen Lobpreises. Mir gefallen, um das hier auch mal festzuhalten, besonders die Aufnahmen von Wainwright und von Cale, den ich aber ohnehin wegen der ersten beiden Velvet-Underground-LPs und seiner Solomeisterwerke wie »Paris 1919«, »Caribbean Sunset«, »Music For A New Society«; »Fear« oder »Honit Soit« in mein Herz geschlossen habe. Sowohl Cale als auch Wainwright waren am ersten »Shrek«-Film beteiligt: Der Waliser Cale ist im Film mit »Hallelujah« zu hören, der in New York geborene Wainwright dagegen auf dem Soundtrack dazu. Seltsam, seltsam. Oder um es mit Peter Lustig zu sagen: »Klingt komisch, ist aber so!«
Das Lied, das übrigens zu den absoluten Dauerfavoriten der besten Liebespartnerin von allen gehört, ist einfach universell, fast so, wie es Cohen mit den ersten Worten beschreibt: »Ich hab gehört, es gäbe da so einen geheimen Akkord/Den David damals spielte und an dem Gott auch Gefallen fand/Aber du interessierst dich nicht für Musik, oder?/Das Ganze geht so: F-Dur, G-Dur, A-Moll, F-Dur/Und damit komponierte der verwirrte König das Hallelujah«. Seitdem sind noch viele himmlische Choräle und wunderbare Anbetungen erdacht worden, von Bach und Mendelssohn bis zu Ray Charles' weltlicher »Marien«- bzw. in seinem Fall »Marjorie«-Verehrung »Hallelujah I Love Her So«. Aber Cohen hat einen Song geschaffen, der sowohl auf der zwischenmenschlichen als auch auf der religiösen Metaebene funktioniert – und zwar, weil er als erklärter Universalist auch über dem jeweiligen Brimbamborium der monotheistischen Glaubensrigidität steht. Cohen erklärt seine umfassende Sichtweise in Gesprächen mit Journalisten immer wieder – nachzulesen ist es zum Beispiel im von Jeff Burger herausgegebenen Interview-Band »Leonard Cohen On Leonard Cohen«: »Es existiert ein religiöses ‚Hallelujah‘, aber es gibt viele andere. … Beim ‚Hallelujah‘, wie es von David überliefert ist, handelt es sich immer noch um ein religiöses Lied – also wollte ich zeigen, dass ‚Hallelujah« auch für Dinge stehen kann, die überhaupt nichts mit Religion zu tun haben. Das Wort beschreibt die Wunder der Welt und des Lebens auf ihr« – und damit passt auch Ray Charles‘ 1955 als sehr lästerlich empfundener Ausruf eines sehr irdisch-fleischlich Verliebten in die Gedankenwelt des Leonard Cohen.
Ein schöner Song ist dem Mann da geglückt – und davon gibt es im Werk des mittlerweile schon 81-jährigen Wein-, Weib- und Gesang-Liebhabers so einige. Das liegt nun aber wohl wirklich daran, dass sich Cohen viel Zeit für seine Lieder nimmt. Das Ergebnis kann sich dann jedes Mal zumindest – auch längerfristig – hören lassen. »Lu-uh-ja« sog i, wie weiland der Hingerl Loisi. Und: »Mei Liaber, da wennst ma net gehst mit Dei‘m Manna, gell, den kennts selber saufa, des sag i Eich, aber i trink koan Manna, daß Di auskennst!« Nächste Woche wird es hier übrigens quietschfidel, denn es geht um die isländische Nachtigall Björk. Über die hab ich im Rahmen der Kolumnenreihe schon mal geschrieben und sie mit einem anderen Singvögelchen, dem Zilpzalp, verglichen. Ich erfülle den Wunsch auf jeden Fall sehr gern. Bis es aber soweit ist, könnt Ihr Euch mit anderen Dingen beschäftigen, die Platten von Wainwright, Cale oder Cohen wären zum Beispiel geeignet, die tristeren Herbstabende zu überstehen. Ihr könnt natürlich auch Tanzen gehen, das muss freilich nicht so ablaufen, wie Lenny es beschreibt: »Dance me to your beauty with a burning violin/Dance me through the panic ‘til I'm gathered safely in/Lift me like an olive branch and be my homeward dove/Dance me to the end of love,« in Ewigkeit, Amen.