Seit letztem Jahr hat sich die Wiener Band Wanda vom Geheimtipp zu echten Stars mit Hitpotential entwickelt. Dafür hätten sie zwar nicht zum Majorlabel wechseln müssen, aber es schadet freilich auch nicht, findet Manfred Prescher. Der freut sich über den recht aktuellen Leserwunsch und quittiert diesen mit einem lieben »Bussi«.
Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf – und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, dass du nur noch die Welt retten musst oder dass Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?
In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.
»Bussi, Baby« heißt die neue Single von Marco Michael Wanda und seinen vier Freunden. Das dazugehörige Album, das in Kürze erscheint, nennt sich folgerichtig »Bussi« und ist ein Finger- ach, eher ein Lippenzeig hin auch auf einen Lebensraum, in dem das Bussi als Begrüßungsritual eine jahrhundertelange Tradition hat. Die Wiener Gesellschaft zelebriert ihr Abknutschritual mit Schmackes und wurde im Lauf der Geschichte wohl nur noch von Breschnew und Erich »Hallololöchen, hallo« Honecker in ihrem Tun übertroffen. Genau – die Rede ist vom Bruderkuss, der auch mal einem Rufmord gleichkommen konnte. Ach, und da ist auch noch die Münchner Bussi-Schickeria. Ich kann mich gut erinnern, wie mir einst gänzlich unvorbereitet etwas widerfuhr, womit ich nie und nimmer gerechnet hatte: Ich war, um ein Langes kurz zu machen, als Chefredakteur des »Münchner Stadtmagazins« für eine Homestory zu Besuch bei Rudolph Moshammer. Das Interview verlief sehr gut, der höfliche Gastgeber half mir zum Schluss in den Mantel und drückte mir dann seinen Stempel auf – während sich Yorkshire-Hündin Daisy gottlob dezent zurückhielt. Ich war zunächst nachhaltig geplättet, entschied mich später aber, es als Kompliment zu werten. Später hab ich dann noch den Kaiser Franz beim herzigen »Busserln« eines Mannes erlebt. Nein, der andere Typ war nicht der Uli Hoeneß, der ist schließlich Schwabe und da tut man, so heißt es jedenfalls, für Geld noch ganz andere Dinge. Tatsächlich handelte es sich bei dem Gegenstück, das den Kuss erwiderte, um einen damals führenden Redakteur vom Focus – und warum auch nicht.
Die Bussi-Sitte von Wienern und Münchnern mag einem Außenstehenden befremdlich erscheinen, den homophoben darunter gar ein Graus sein, tatsächlich wird sie aber auch von an sich heterosexuellen Männern lebendig gehalten. In Städten, die einst als Metropolen eines Ludwig Zwo oder eines Ferdinand Eins funkelten, gehörte das Bussi halt einfach zur Etikette. Warum mir in diesem Zusammenhang der Begriff »heteroschwul« einfällt, mit dem ich kürzlich – wie könnte es anders sein – aus Wien bedacht wurde? »Heteroschwul« ist auf jeden Fall ein sehr seltsames Kunstwort, bei dem ich mich doch unwillkürlich frage, was genau damit gemeint sein soll. Sei dem wie es sei, das Bussi stößt jedenfalls nicht überall auf Gegenliebe und kommt außerhalb der genannten Metropolen tatsächlich vergleichsweise selten vor. Es wird in den meisten Gegenden zwischen Obereinherz und Winsen an der Luhe eben eher mit verhaltenem Misstrauen beäugt. Was der Bauer nicht kennt, küsst er nicht.
Womit wir bei Wanda sind. Die busseln sich auch immer wieder ab, nennen sich gegenseitig »Schatzi« und schreiben doch ziemlich klar heteromäßig orientierte Songs. Diese sind dafür, und das im besten Sinn, musikalisch nirgendwo zuordenbar. Da klingt ein echter, da gebürtiger Bussi-Wiener, nämlich Falco durch, etwas Schlager auch, dazu gibt's tatsächlich Power-Rock, der irgendwie an Oasis oder die Kaiser Chiefs erinnert. Das hat Schwung und Charme – und in Zeiten, da sowieso alles irgendwie miteinander gemixt werden kann, in denen aus einem simplen Folksong eingängige »Dance-Trax« werden, da ist das völlig normal. Wenn's funktioniert und Spaß macht, dann freut sich der Hedonist. Wenn's dann auch noch, wie eben bei Wanda, intelligent, rotzig und recht unverwechselbar ist, dann ist doch alles im Lot. Dann landet man als Wanda auf dem »Heimatsound«-Sampler des Bayerischen Rundfunks. »Ja, ja, da hast Du's wieder« (Wanda), der Bayer ist dem Österreicher doch näher als dem Niedersachsen, Brandenburger oder Westfalen. Obwohl man geschichtlich doch andere Wege ging. Wie war das nochmal anno Schnupftabak mit den Bayern, mit Napoleon und den Habsburgern? Verwandtschaft zählte nicht, und schon während des Bussis wurden Ränke mit der Gegenseite geschmiedet.
Wanda
Foto: Problembär Records
In »Bologna« erzählt Wanda in recht einfachen Worten die Liebesgeschichte seiner Tante Ceccarelli. Die kam aus Bologna und war unsterblich in ihren Cousin verliebt, was natürlich gegen die Konventionen verstieß und beide recht schüchtern und ratlos ließ. Marco Michael Wanda schlüpft in die Rolle des Cousin, der sich nicht mit ihr reden, tanzen, schlafen traut, obwohl beide das wollen. Letztlich hat es dann wohl doch geklappt, denn »Tante Ceccarelli hat in Bologna Amore gemacht«. Ihr Liebster ist im Krieg gefallen, die wohl gar nicht »sachliche Romanze« (Erich Kästner) nahm ein jähes Ende. Ob das Ganze wahr ist, wissen wir nicht. Wanda schreibt ansonsten nämlich Geschichten, die ihm auf den Straßen oder beim Abschmatzen Wiens in die Quere kommen. Schräg und unkonventionell. So war er wohl schon als Bub. Angeblich hat er in jungen Jahren auf dem Klavier nicht Chopin oder Wolfang Amadeus Mozart-Busserl geübt, sondern Lieder über Feuerwehrmänner und lustige Katzen geschrieben. Das erinnert mich an die ebenfalls kreativ-unkonventionelle Tochter der besten Liebespartnerin von allen – und gibt Hoffnung, was die Zukunft der begabten Mini-Lady angeht. Denn, um einen alten FAZ-Leit- und Werbesatz umzuwandeln: Hinter allen coolen Sachen steckt immer ein schräg denkender Kopf. Das ist übrigens auch physikalisch logisch: Eine Schräge bringt was ins Rutschen, auf der Ebene bewegt sich nix wie von selbst.
Doch zurück zur Tante Ceccarelli: Deren Geschichte, die wohl auch einen Roman wert sein könnte, hat den Herrn Wanda auf ewig und drei Tage mit deren Heimatstadt Bologna, der Emilia-Romagna und ganz Italien verbunden – ein gordischer Knoten, sozusagen, der erst mal im mittlerweile berühmten Lied sichtbar wird:
»Wenn jemand fragt, wohin du gehst, sag ›nach Bologna‹ /
Wenn jemand fragt, wofür du stehst, sag ›für Amore‹.«
Denn ganz nebenbei ging Wanda die Liebesgeschichte seiner Tante zu Herzen, wie er der Zeitung »Die Presse« ins Notizbuch diktierte. Da wurde der Künstler im Abgang leicht melancholisch, etwa wie Woody Allen in »Manhattan« und machte sich so seine Gedanken über die Macht und Ohnmacht der Liebe, schuf seine eigene »Bittersweet Symphony«: »Ich werde traurig, ... vor allem, wenn es eine ganz große Liebe ist, bei der man das Gefühl hat, dass sich das alles nicht ausgehen kann. Ihre Vergänglichkeit ist wahrscheinlich ein wesentliches Merkmal der Liebe. Spätestens mit dem Tod ist sie weg. Einmal leben ist ja relativ genug, aber dass die Liebe enden muss, die Liebe zu vielem, das ist schade.« Deswegen sollte man, das ist mein Fazit, wirklich jeden Augenblick der Liebe genießen, der ist ein kostbares Geschenk.
Wanda sind übrigens grad auf großer Tournee und sicher auch bei Euch in der Nähe zu sehen bzw. zu hören. Wenn Ihr allerdings unbedingt auf Eurem Bürostuhl und vor dem Monitor verharren bzw. nach Wochenfrist wiederkommen wollt, auch gut. Denn dann gibt's hier wieder was zu Lesen für Euch. Ich erfülle einen weiteren Wunsch und schreibe über, ja, tatsächlich, über »Atemlos« von Helene Fischer. Das muss sein, denn seit längerem, genauer seit dem 27. August 2014 – und bis zum Miststück Nr. 400(*) – erfülle ich Eure Leserwünsche. Bevor ich mich aber an die aus dem Ei gepellte Sängerin und Namensvetterin der angeblich aus einem Ei geschlüpften Gestalt aus der griechischen Mythologie heranwage und zu schreiben beginne, heißt es erst mal: »Tatenlos durch den Tag«. Solltet Ihr auch mal ausprobieren ... Bussi!
[*] Bei welcher Nummer sind wir denn aktuell? Das steht doch nirgends? – Das hat sich so eingebürgert(**). Die römische IV steht für die vierte Hunderterstaffel, die Nummer dahinter für die Ausgabe. Sie lesen also gerade Nummer 343.
[**] Das Ganze entstand, weil der Chefredakteur meinte, dass wir das nur 5x durchhalten. Ich sagte, »mach mer 100 draus«