29.10.15

Manfred Prescher

Miststück der Woche IV/47 – Björk: »You've been flirting again«

Björk

Björk

Foto: Warner Music

Die isländische Nachtigall, »Missing Link« zwischen modernem Kulturhochamt und quietschfidelem Pop – das ist Björk. Manfred Prescher findet immer schon eher schwer Zugang zum Werk der Künstlerin, aber da muss er jetzt durch. Denn der Song wurde ja gewünscht. Und: Das Lied ist nun wirklich eines, bei dem alles kurz und prägnant, stimmig und fein rüberkommt.

Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf – und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, dass du nur noch die Welt retten musst oder dass Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?

In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.

Am Anfang war das Wort, bzw. es waren derer mehrere, aber wir wollen hier an der Stelle mal nicht päpstlicher sein als sonst üblich. Jedenfalls begann das allererste Miststück mit den Worten »Die Jungfrauennummer hat man ihr nie abgenommen, dafür ist Susan längst gefunden.« Um wen es sich damals drehte? Das könntet Ihr bei evolver.at nachlesen, aber ich verrate es Euch: Mit Madonna und ihrem gnadenlos von Abba geklauten »Hung Up« wurde die Kolumnenreihe geboren. Aus einer Schnaps- oder, besser, aus einer »Achterl«-Laune heraus hat sich das Ding dann verselbständigt und feiert nun bald Geburtstag. Was analog zu Wandas »Bussi Baby« – also mit »Manfred wollte leben in Rom, Manfred träumt sich nach Berlin, aber Manfred, Manfred schreibt in Wien« begann, führte über das kleine, kotelettförmige Nachbarland mehrfach rund um den Globus. Würde man alle Worte, die in bislang 347 Kolumnen (in Wahrheit sind es übrigens schon 349, aber das ist eine andere Geschichte) verwendet wurden, sacht übereinander legen, dann würden sie bis zum Jupiter und wieder zurück reichen – und diese Strecke von insgesamt 1932 Millionen Kilometern bzw. 857,58 Millionen Reutlinger Seemeilen entspricht genau der Länge meiner Liebe zu Euch, liebe Leserinnen und Leser. Hey, ist das nicht wirklich »Schleimen auf höchstem Niveau«? Aber im Ernst: In drei Wochen gibt es zum Geburtstag des Miststücks gleich zwei Ausgaben – die eine wird sich um Marvin Gaye und »I Heard It Throught The Grapevine« drehen und hier zu lesen sein, die andere zelebriert eine Abschiedsparty bei Evolver.at. In der Web-Wohnung von Herrn Felix Austria gebe ich Euch dann die Kante, die Mory Kanté, um es genauer zu sagen – und zugleich sein »Yeke Yeke«. Wenn es mit der Verlinkung hin und her klappen sollte, stünde der deutsch-österreichischen Freundschaft nix mehr im Wege.

Björk: Post Cover

Björk: Post

Um ein Langes kurz zu machen – oder wie komme ich nun gleich wieder zu Björk? Ach, so ginge das vielleicht: Über Frau Gudmundsdottir, wie die kreuzgute Frau mit Nachnamen heißt, habe ich auch schon geschrieben. Das war anno 2007, genauer im Wonnemonat Mai. Warum das so wichtig ist? Damals, im Spätfrühling, sang sich ein Vögelchen auf Brautschau um Kopf und Kehle, weckte mich Nacht für Nacht zur Unzeit auf, weil es meinte, dass es seinen an sich lieblichen Sound direkt vor meiner Kemenate zum Besten geben müsse. Ich verglich den Zilpzalp seinerzeit auch wegen seines eher zarten Körperbaus mit der ebenfalls filigranen Künstlerin von der Vulkaninsel. Beide klingen, in homöopathischen Dosen genossen, wirklich wunderbarlich, können einen aber auch ziemlich leicht nerven. Weil halt so viel Wucht und Geräusch in so einem kleinen Resonanzraum stecken.

Ach Björk, Du Zerrissene, Du eigensinnig auf einer sehr eigenen Skala zwischen »genial« und »nervtötend« hin und her mäandernde Eigenbrötlerin. Du warst schon bei den Sugarcubes und erst recht in Deiner als global denkende und musizierende Solistin so. Unfassbar, ungreifbar und unheimlich gut. »You've Been Flirting Again« ist beispielsweise ein sehr sachtes und unglaublich dichtes Kleinod vom zweiten Album »Post«, das in Wahrheit schon das Vierte ist, denn Björk nahm schon vor den Sugarcubes zwei letztlich im Schattenreich des Pop gelandete LPs auf. Ist aber wurschtegal. Hier bringt sie uns mit sachter, aber typisch überdrehter Stimme ein nur leicht schräges, knapp 2:30 Minuten kurzes Lied zu Gehör, das dem Zilpzalp sicher auch zur Ehre gereichen würde: Sie rät einem Mann in knappen, aber eingängig-klaren Worten, der Partnerin mehr Freiraum und Platz zur Entfaltung zu geben. Denn »all she said was true« und »all she meant was good«. All das Geklammere, all die Eifersucht und all der Besitzanspruch sind sinn- und nutzlos, zerstören eine Beziehung auf Dauer. Zum Trost singt Björk aber auch »how you reacted was right«, also macht der Kerl gar nicht alles falsch. Ein bisserl mehr Zeit für sich könnte er ihr lassen, nicht dauernd fordern oder so. In ihrem kleinen Beziehungsratgeber, der aus insgesamt nur 15 Zeilen, von denen drei auch noch wiederholt werden, besteht, beschwört sie, dem Partner zu vertrauen. Dass das aber in der Regel nur klappt, wenn man sich selbst wertschätzt, singt sie nicht. Man muss das bei Leuten wie David Schnarch nachlesen. Wenn man das tut, dann aber nicht, während Björk singt. Denn dann kann man sich einfach nicht auf das geschriebene Wort konzentrieren.

Bevor ich meine innere Jukebox auf ein anderes Lied schalten kann und Ihr die Kolumne für heute hinter Euch gebracht habt, zitiere ich noch kurz aus dem »Miststück I/80« von 2007 – und komm ein letztes Mal auf den Zilpzalp zu sprechen: Das Vögelchen ist »ein kleines Ding, tatsächlich um ein Vielfaches winziger als Björk – aber fast noch lauter«, heißt es, nachzulesen bei Evolver.at. Und: »Es ist ein an und für sich ›possierlicher Geselle‹, wie Heinz Sielmann es sicher formuliert hätte: Das von Ornithologen als Weidenlaubsänger bezeichnete, im gemeinen Volk aber eher als Zilpzalp bekannte Tierchen ist ein Vögelchen von nicht eben beeindruckender Gestalt. Der Vogel ist gerade mal acht Gramm schwer und zwischen elf und 16 Zentimeter groß. Die genauen Body-Maße meiner privaten Krawallschachtel weiß ich natürlich nicht, aber das ›zilp-zalp-zelp-zilp-zalp‹, das er ohn' Unterlass von sich gibt, klingt eindeutig nach einem größeren Resonanzraum. Es ist so schrill, dass selbst Nina Hagen vor Neid erblassen müsste.« So, Ihr könnt nun abschalten und rausgehen, flirten oder sonst was tun! Wir lesen uns in der zweiten Novemberwoche wieder – in »old freshness« ...