Was lange währt, wird bekanntlich unruhig. Und nun ist der Monat bald um, die Kolumne ist immer noch nicht geschrieben – weil mein Mentalcoach und ich ja mit Fußballgucken und dem Brexit beschäftigt sind. Gehört ja spätestens seit dem doppelten Abgang der Briten – aus EU und EM – irgendwie zusammen. »Hey, Wales ist in Frankreich noch dabei, aber es ist ja nur eine Frage der Zeit, bis die auch die Biege machen«, erklärt er. Und macht sich ein weiteres Drittelgold auf. Das kleine Fläschchen vom Zötler Vollmondbier passt für ihn zu den teilweise doch ziemlich großen Flaschen auf dem Feld, besonders zu denen um Rooney und Co. Und zu den vielen »Inseläffchen«, die erst nach dem Kreuzchenmachen nachgegoogelt haben, was das blöde Kunstwort »Brexit« eigentlich bedeutet. »Sie haben übrigens auch die Wikipediaterie genutzt, aber mehrheitlich erst, nach dem sie aus dem Wahllokal gewankt sind«, erklärt mein Mentor. Er muss es ja wissen, er stand den ganzen Tag mit Freunden aus Cardiff, Glasgow und Birmingham in Kontakt. Alle hätten – und haben, weil der Brite per se gern zockt – auf den Sieg der EU-Jasager und auf das Weiterkommen der Engländer gegen Island gewettet. Das verlorene Geld wird jetzt übrigens von einer staatlichen Instanz, die im Keller von Downing Street 10 eilends eingerichtet wurde und von Cameron auf seine alten Amtstage noch persönlich überwacht wird, in einem großen Safe gesammelt. Um einen großen Umbrella zur eventuellen Rettung spannen zu können, weil Merkel, Hollande und Co. nur noch über Schäubles Leiche helfen könnten. Und der ist reifenquietschlebendig.
Ich lege die neue CD der Red Hot Chili Peppers ein. Die ist nicht gut, aber irgendwie wohltuend. Obwohl es einen Rickrubinexit gab und nun Danger Mouse an den Reglern saß, klingen die, als würde Jahr um Jahr einfach nichts passieren und sich die Welt nicht drehen, sondern einfach wie ein Liverpooler Treidelpfad im Stillstand vor sich hintümpeln. »Das nenn ich aus der Zeitschiene gefallen«, sagt mein Mentalcoach. In puncto Brexit ist er sich eigentlich sicher, dass »das nicht für die Ewigkeit ist«. Die kommen schon wieder, wenn die alte Generation das im Bourdieu'schen Sinne faktisch Zeitliche gesegnet haben«. Er fragt sich eigentlich viel mehr, was die Briten Europäern, speziell uns Deutschen, gebracht haben. Ärger, etwa wegen des Wembley-Tores? Und was die eigentlich von uns annehmen? Wie wäre es mit energiesparender Hausverglasung oder Mischbatterien? Wer sich in Youkey duschen will, hat die Wahl zwischen Erfrieren und Verbrennungen dritten Grades.« Das stimmt ganz eindeutig, passt aber doch ins Bild: Ja zur EU, nein zur EU, ja zur EU – das ist wie die Liebesbestimmung per Gänseblümchenentscheid. »Sie liebt mich, sie liebt mich nicht ...« Eine Mischbatterie würde für und wieder recht gut abwägen und dann könnte man sich wohlfühlen. Das Leben ist nicht Schwarzweiß, heißkalt oder reinraus.
»Aber«, werfe ich ein, »sie brachten uns die Popmusik, und Hornby, Will Self oder Irvine Welsh haben die uns auch geschenkt.« Das kontert mein Coach so gelassen wie die isländische Mannschaft: »Das ist doch das Problem. Alles längst vorbei. Die Beatles, die Kinks, The Jam, selbst Oasis, Blur und die Arctic Monkeys sind mausetot. Der Welsh ist übrigens Schotte und sowieso für Europa. Außerdem war Goethe der bessere Shakespeare, Kroos gibt den besseren Rooney und wir haben doch auch Element Of Crime, Tocotronic, die Ärzte – also das bessere Gesundheitssystem – und ...« Ich unterbreche ihn an dieser Stelle nur ungern, aber ich tue es. Denn es geht ja nicht um Aufrechnung oder so. Immerhin ist UK eine wichtige Volkswirtschaft mit wirklich netten Wirtschaften. Als Teil eines internationalen Schänken-Abkommens ist das Land wirklich unerlässlich. Für Trinker, Dartsspieler und einfach zum Abhängen. Das wird man, da bin ich nun sicher, auch ganz ohne Brüsseler Spitzen, auch in Zukunft hinkriegen. »Zum Schlechtkochen brauchen wir sie auf jeden Fall nicht, dass kriegen wir ja auch locker selber hin. Genauso übrigens Fußballspielen ...« Er wirkt, als käme er direkt vom neuen englischen Meister Läster City, der ja im Englischen Leicester City geschrieben wird.
Wir werden also sehen, was die nahe Zukunft bringt, wie es mit der EU weitergeht und ob der Ausstieg vollzogen wird. Ein wenig rumeiern ist ok. Die berühmte englische Schicksalsfrage ist aber, klopft man das Ei Teilchen für Teilchen auf oder köpft man die Schale mit einem einzigen Hieb. Bei der Gelegenheit fällt mir doch eine britische Errungenschaft ein, die unerlässlich wurde. Der Eierschalen-Sollbruchstellenerzeuger – sehr schräg und irgendwie doch praktisch. Mein Mentalcoach schmunzelt, holt die Chili Peppers mit einem »Goodbye Angels, goodbye Angelsachsen« aus dem Slot und legt die neue CD der Monkees auf. »Auch ewig Gestrige, sie könnten die Väter der alten Briten sein, die jetzt gegen Europa gestimmt haben. Aber sie sind intelligent genug, zu wissen, dass ihre Zeit vorbei ist. Und sie haben Spaß dabei.« Sagt er, leert seine Vollmondbierflasche und erklärt im Gehen, dass man die EU eigentlich auch deshalb haben muss, weil sie ein Friedensraum ist. Seit es die gibt, haben wir hier keine wirklichen Scharmützel mehr. Das sollte Britannia bedenken. Oder vor der Abstimmung bedacht haben. Aber alles halb so wild.« Mit diesen Worten verlässt er mich. Er muss noch rasch Geld abheben, er fliegt gleich nach England, einkaufen. Ist grad sehr preiswert.