31.10.00

Selina Riefenstahl

Knitterlook

Was prägt die Persönlichkeit eines Menschen? Sind es die Eigenschaften (Gene), die ihm in die Wiege gelegt werden oder die Menschen (Umwelt), die ihm das Fläschchen geben?

Die Wissenschaft weiß darauf keine endgültige Antwort. Ich leider auch nicht, wahrscheinlich liegt die Wahrheit, wie so oft, in der Mitte. Ein trauriges Beispiel dafür ist mein Ordnungssinn.

Schon meine Kindheit wurde von Chaos überschattet. Einmal in der Woche sagte meine Mutter den fürchterlichen Satz: "Kind, wir müssen aufräumen, morgen kommt die Putzfrau".

Trotzdem war es auch der Putzfrau nicht vergönnt, ungehindert in das Schlafzimmer meiner Eltern vorzudringen. Davor lag das elterliche Ankleidezimmer. In dessen Türrahmen hatte mein Vater eine "Trimm-Dich-Stange" befestigt. Doch die einzigen, die jemals daran hingen, waren die Damen und Herren Joop, Windsor und Gucci. Gereinigt, gebügelt und auf Bügel gezogen. Das hatte zur Folge, dass Klimmzüge an der Stange nicht mehr möglich waren. Jeder, der in das Schlafzimmer meiner Eltern wollte, musste vielmehr eine tiefe Kniebeuge machen, um unter den Stoffstalaktiten hinwegzutauchen. So hatte unsere Putzfrau ein zusätzliches workout.

Wie kann ein Kind in dieser Umgebung zu einem ordentlichen Mitglied der Gesellschaft heranwachsen? Nur durch eine Trotzphase in der Pubertät. Seitdem suche ich nach Ordnung im Chaos. Das bedeutet, dass ich tagelang und mit größter Hingabe mehr oder weniger große Häufchen aus Blusen, Röcken und Hosen baue. Dabei achte ich sorgfältigst darauf, dass mir die Ablage möglichst faltenfrei gelingt. Ein wesentliches Bauelement der Anlage meiner Ablage ist ein Stuhl, der neben meinem Bett steht. Er wurde meiner Überzeugung nach nicht für das menschliche Gesäß erschaffen. Nein, sein Schicksal ist ein anderes.

Dieser Stuhl hat zwei Lehnen, an die sich meine Hosen wunderbar anschmiegen. Besonders praktisch ist die Rückenlehne. Daran kann ich problemlos Blusen und Röcke auf einem Bügel fixieren. So schweben sie knapp über dem Boden und können sich gar nicht erst faltig stossen. Auf der Sitzfläche schichte ich die übrigen Klamotten, jeder Lasagnekoch wäre stolz auf mich.

Nun kommt es dennoch vor, dass ich morgens ein spezielles Kleidungstück noch einmal tragen möchte, aber nicht mehr weiß, in welcher Schicht ich es lagere. Deswegen lege ich alle Teile, von denen ich dumpf ahne, dass ich sie vielleicht ein weiteres Mal anziehen würde, plan auf den Fußboden aus. Das hat zur Folge, dass ich vorsichtig, aber immerhin aufrecht, durch mein Schlafzimmer staksen kann. Ich bin kein Höhlenmensch.

Soweit ist eigentlich alles in bester Ordnung, käme nicht jede Woche die Putzfrau vorbei. Ihre manische Staubsauge-Sucht zwingt mich, den sorgsam angehäuften Wäscheparcours wieder abzuräumen.

Nur wohin mit dem Zeug?

Mein Kleiderschrank ist wegen Überfüllung geschlossen. Um die Kleiderbügel auch nur einen Fingerbreit verschieben zu können, müsste ich Muskelmasse aufbauen. Für den Muskelaufbau wären wiederum wären Klimmzüge an einer Trimm-Dich-Stange gar nicht schlecht. Leider taugen diese Stangen in meiner Familie nur für Kniebeugen.

Ich bin viel zu froh diesen Erbanlagen getrotzt zu haben und will mich gar nicht erst in Versuchung führen. Wehret den Anfängen...

Also schichte ich die ausgelegten Klamotten auf die Sitzfläche meines Stuhls. Da kommt es schon mal vor, dass der Turm, wenn er an die Zimmerdecke stößt, umfällt und die Blusen den sicheren Faltentod sterben.

Aber das Modediktat hat ein Einsehen mit mir, Knitterlook soll wieder in werden. Womit mein Trendsetterstatus mehr als bewiesen wäre.