07.09.08

Axel Scherm

Schafrudel trifft Wolfsherde

Illustration von Martin Rathscheck

Illustration von Martin Rathscheck

Es ist schwer, tapfer zu sein, wenn man nur ein sehr kleines Tier ist, sagt Harry Rowohlt mit verstellter Schweinchenstimme und ahmt damit das kleine Ferkel nach. Die Liebste liegt neben mir im Bett und lauscht dem Hörbuch Pu der Bär. Allerliebst, wenn sie an der immer gleichen Stelle kichert. Ich liebe sie dann immer ganz besonders.
Allerdings gibt es, wie in jeder guten Ehe, auch Situationen, in denen ich sie (ein klein wenig) ins Fensterkreuz nageln möchte, dann nämlich, wenn sie ihr unbenommen breit gefächertes und meist auch fundiertes Wissen sofort und ohne Rücksicht auf Verluste an den Mann oder an die Frau bringen muss.
Beispiel:
Wir gehen über den Parkplatz eines Gasthofes, in dem wir zu Abend essen wollen. Ich deute auf zwei Autos und sage beiläufig: »Schau, Holländer«. Die Liebste antwortet wie aus der Pistole geschossen: »Franzosen«. Mir waren im ersten Augenblick nur die gelben Nummernschilder aufgefallen, doch bei näherem Hinsehen wird mir gewahr, dass auf den Kofferräumen der beiden Autos ein schwarzes »F« auf weißem Grund prangt. Die Liebste grinst überlegen, zieht die Schultern hoch und sagt süßsauer lächelnd: »Entschuldige bitte, ich kann einfach nicht anders«, und in letzter Zeit fügt sie noch halbherzig hinzu: »Ich versuche ja, mich zu bessern, aber es gelingt mir einfach nicht«.
Tja und ich steh’ dann immer da und denke mir, es ist schwer, tapfer zu sein, wenn man ein sehr dummes Tier ist.

Aber, es ist nicht immer nur lästig, wenn die Liebste klugscheißt, nein, manchmal wächst sich dieser offensichtliche Gendefekt auch zur Realsatire aus, dann nämlich, wenn sie mit Inge, Gustav oder Richard, oder am besten mit allen dreien gleichzeitig zusammentrifft. Die drei sind nämlich aus dem gleichen Holz geschnitzt und reagieren reflexartig auf jede (vermeintlich) fehlerhafte Aussage mit sofortiger Verbesserung und/oder Zurechtweisung.
Wenn es gut läuft, kann dann schon einmal folgende Dialogperle reifen:

Liebste: Der gedopte Jamaikaner hatte bei seinem 100-Meter-Weltrekord ja nicht einmal seine Schuhe gebunden.
Richard: Nur den Linken.
Gustav: In Jamaika bindet man sich nie die Schuhe.
Inge: Auf Jamaika.
Gustav: Ich meine ja nicht die Insel, sondern den Staat. Dann heißt es »in Jamaika«.
Inge: Klingt aber blöd.
Liebste: Er hatte trotzdem beide Schuhe nicht gebunden.
Richard: Woher willst Du das denn wissen? Du hast doch die Olympiade im Fernsehen boykottiert.
Liebste: Ich habe es in der Zeitung gelesen.
Richard: Das Bild in der Zeitung zeigt eindeutig, dass lediglich der linke Schuh nicht gebunden war.
Inge: Auf Jamaika.

Allerdings erfrechen sich in letzter Zeit zunehmend kleine, wenig tapfere Ferkel, es ihren neunmalklugen Bekannten mit gleicher Münze zurückzuzahlen. So geschehen, als die Liebste neulich mit ihrer besten Freundin im Zoo lustwandelte.
Im Wolfsgehege stand ein einsamer Wolf, was die Freundin zu der, zugegeben, etwas unüberlegt dahingeplapperten Frage veranlasste, wo denn der arme Wolf wohl seine Herde hätte.
»Rudel« entfuhr es der Liebsten, noch bevor sich die Freundin, der dieser Fauxpas natürlich sofort aufgefallen war, verbessern konnte.
Beim Streichelzoo angekommen standen ein paar Schafe einträchtig beieinander und grasten. Die Freundin lehnte sich ans Gatter und sagte lässig zur Liebsten:
»Findest Du nicht auch. So ein Schafrudel hat einfach etwas beruhigendes«.
Nein, die Liebste hat nicht »Herde« gesagt. Gedacht, vielleicht.

Diese Kolumne finden Sie auch in Axel Scherms Ende 2010 erschienenem Buch »AxeAge – Das Printlog zum Weblog«.