09.06.09

Axel Scherm

Schluss mit Hacke, Spitze

Die Recording Academy, die alljährlich die Grammy-Preisverleihung organisiert, hat beschlossen, die Kategorie Bestes Polka-Album ersatzlos zu streichen. Die Begründung dafür lautet, es müsse sichergestellt sein, dass die Preisvergabe die aktuelle musikalische Landschaft reflektiere.
So ein Quatsch. Gibt es etwas aktuelleres als Polka? Highspeed Polka, Russendisko, Wirtshausmusikanten beim Hirzinger, das sind doch hochaktuelle Musikthemen, die gerade in den letzten Monaten und Jahren erst wieder neu und äußerst erfolgreich besetzt wurden.
Ja und hat man denn völlig vergessen, dass die Polka das Highlight in jedem Tanzkurs, bei jedem Abschlussball und jeder Hochzeitsgesellschaftsbelustigung ist. Der Tanz, bei dem selbst die unbegabtesten, schüchternsten und grobmotorischst veranlagten Tänzer über sich hinauswachsen. Der Rundtanz, das Hopsvergnügen, Hacke, Spitze, Zwo, Drei, Vier – seit heute ohne Grammy. Unbegreiflich.

Und wie soll ich es der Liebsten beibringen, stammt sie doch aus Tschechien, dem Mutterland des Hüpftanzes. Sie hat noch keine Ahnung von dieser unsäglichen Entscheidung. Heute morgen stand die Meldung zwar in der örtlichen Presse, weil die Liebste aber zur Arbeit musste und spät dran war, hatte sie keine Zeit, den Bericht zu lesen. Ich werde es ihr heute abend schonend beibringen müssen. Ganz schonend. Hoffentlich bin ich vor ihr zu Hause. Ich möchte nicht, dass sie es einfach so unvorbereitet aus der Zeitung erfährt, ist es doch in unserem Haushalt seit Jahren zur liebgewonnenen Tradition geworden, immer dann, wenn Depression und Alltagsfrust an uns nagen, die Möbel beiseite zu rücken und Polka zu tanzen, so lange, bis die Katze kopfschüttelnd das Haus verlässt.

Ja und was wird aus dem berühmten Bardentreffen in Nürnberg, Europas größtem Umsonst und Draußen Festival. Gefühlte achtzig Prozent aller dort auftretenden Bands und Kapellen spielen Polka, beziehungsweise neuzeitliche Varianten jener Musikrichtung. Welche Enttäuschung muss es für diese Künstler sein, eine Musik spielen zu müssen, ohne die geringste Chance auf die höchste internationale Musiker-Auszeichnung, deren Bedeutung dem Oscar in der Filmindustrie mindestens ebenbürtig ist. Über Nacht soll einfach so Schluss sein mit I love Polka, Born to Polka oder Polka in Paradise?

Aber was bedeutet all der Schmerz über den Verlust akademischer Anerkennung eines volksmusikalischen Kulturguts bei uns Freizeittänzern und bei sämtlichen zweit- und drittklassigen Polka-Interpreten gegenüber dem Schmerz, den derzeit Jimmy Sturr empfinden muss. In den letzten 24 Jahren hat er 18 mal die begehrte Trophäe erhalten und ich bin mir sicher, bis zum Jahre 2033 wäre sie ihm bestimmt noch 18 mal überreicht worden. Mindestens!

I feel bad but I'm grateful stand heute auf seiner Homepage zu lesen und ich stelle mir vor, wie er Akkordeon spielend inmitten seiner Grammys hockt und Tränen der Trauer über seine Wangen auf die Tasten seines Instruments kullern. Hätten die Damen und Herren der Recording Academy nicht wenigstens so lange warten können, bis der gute Mr. Sturr gestor... äh, bis er, aus welchen Gründen auch immer, das Musizieren aufgegeben hat?
Auf die 18 güldenen Plastikgrammophone wär's doch nun wirklich nicht mehr angekommen.

Diese Kolumne finden Sie auch in Axel Scherms Ende 2010 erschienenem Buch »AxeAge – Das Printlog zum Weblog«.