14.05.11

Axel Scherm

Zurück ins alte Leben

Kennen Sie Sarah Engels? Ich gestehe, ich kannte sie nicht, obwohl sie doch dieser Tage Berühmtheit – wenn auch traurige – erlangte, konnte sie im Finale der berüchtigsten aller Castingshows Deutschland sucht den Superstar lediglich den undankbaren zweiten Platz für sich entscheiden.
»Ich habe Angst vor meinem alten Leben«, denn »es wäre der größte Horror wieder zur Schule zu müssen. Ich müsste die 12. Stufe komplett wiederholen«, hat sie mädchengleich der Bild-Zeitung gestanden und führte sternchengleich weiter aus, sie wolle unbedingt Musik machen und nicht als Verkäuferin enden.

Ach ja, das alte Leben. Ich stelle mir in dem Zusammenhang immer den fränkischen Freiherrn vor, wie er Doktortitel aberkannt, Ehre abgeschnitten und Arme verschränkt durchs heimatliche Guttenberg trottet, seiner Gutmenschengattin auf den Senkel geht, weil er ihr einen Beratervertrag in Sachen Medienkompetenz aufzuschwatzen versucht und ansonsten nicht so recht weiß, wohin mit seinem Lichtgestaltdasein. Sandale hochhalten fiele mir ein, nachdem dieser Tage Das Leben des Brian bei arte wiederholt worden war und ich mich zum ich weiß nicht wievielten Male ordentlich darüber beömmelt habe.

Was aber machen weniger er- und beleuchtete Persönlichkeiten, die jetzt auch zurück müssen ins alte Leben? Frau Koch-Mehrin zum Beispiel. Die war ja nur Vorzeigefrau, das ist weit weniger als Lichtgestalt. Oder Frau Veronica Saß, die ist lediglich Tochter. Ja gut, immerhin Tochter einer ehemaligen Lichtgestalt, aber trotzdem, wie sieht es in deren Innerstem aus? Haben die jetzt auch Angst, als Verkäuferin zu enden? Naja, um die Koch-Mehrin mache ich mir keine großen Sorgen. Die soll ja sowieso den Großteil der Euro-Parlamentssitzungen geschwänzt haben. Die macht, was sie schon immer gemacht hat: sie geht Kaffee trinken. Oder ab und zu ein Gläschen Silvaner – verzeihen Sie mir diesen plumpen Wortwitz.

Aber dann gibt es ja noch Menschen wie diesen armen René Pfister. Kennen Sie den? Der ist nur ein kleiner Spiegel-Journalist. So einer, der zwar richtig gut schreiben kann, den aber sonst keine alte Sau kennt. Nur ganz kurz durfte der am neuen Leben schnuppern. Dem haben sie vor kurzem für die beste Reportage den renommierten Henri-Nannen-Preis verliehen und danach sofort wieder weggenommen. Er hat nämlich bei der Preisverleihung gesagt, er habe die im Keller des bayerischen Ministerpräsidenten Seehofer beschriebene Szene am Stellpult der ministerpräsidentlichen Modelleisenbahn gar nicht selbst miterlebt, sondern sich diese aus Presse- und sonstigen Meldungen lediglich zusammengereimt. Aber genau wegen eben jener Szene hatte man ihm den Preis ja gegeben, immerhin hieß der Artikel »Am Stellpult«.

Aber es scheint egal zu sein, auf welche Weise die Wahrheit ans Licht drängt. Sei es durch Gutten- oder VroniPlag. Sei es dadurch, dass der Mensch sich einfach nicht dauerhaft verstellen kann und sich entweder bei Preisverleihungen verquatscht oder trotz christlicher Parteizugehörigkeit freudigst Stellung nimmt zu Auftragstötungen von Top-Terroristen. Sei es, dass aus der billigsten und saubersten Energie der Welt plötzlich und unerwartet die teuerste und gefährlichste wird. Ins alte Leben müssen wir offensichtlich alle irgendwann zurück.

Ich finde, das tröstet ungemein und redet wieder einmal mehr der teuflischsten aller Erkenntnisse das Wort:
Du bist am Ende – was du bist. Setz' dir Perücken auf von Millionen Locken, setz' deinen Fuß auf ellenhohe Socken, Du bleibst doch immer, was du bist.(*)
Denjenigen, die sich bei diesem berühmten Zitat, das ich hiermit ausdrücklich als solches kennzeichnen möchte, einen hämisch grinsenden Autor vorstellen, darf ich hiermit sagen: Sie haben recht, ich grinse und tatsächlich hämisch!

[*] Zitat aus Johann Wolfgang von Goethes Faust, Erster Teil, Studierzimmer