15.08.05

Axel Scherm

Arbeitslos und Spaß dabei
Ein Bekenntnis

Ich kann ja nur hoffen, dass den folgenden Text nicht mein Arbeitsvermittler liest. Schon der Titel dürfte ausreichen, um mir lebenslang Arbeitslosengeld und -hilfe zu verweigern. Darüber hinaus hätte ich sicherlich mit Zwangsrekrutierungen zu rechnen, wie etwa das Säubern von Schweinedärmen im örtlichen Schlachthof, Toiletten putzen im Obdachlosenasyl oder Mitglied in der Jury zur Vorausscheidung der Casting-Sendung Deutschland sucht den Superstar.

Also.
Ich bin seit einem halben Jahr arbeitslos - ich stehe auf der Straße, wie man so schön sagt. Nicht, dass ich kein Dach über dem Kopf hätte, ganz im Gegenteil: ich bin zusammen mit meiner lieben Frau sogar stolzer Besitzer eines kleinen Häuschens. Es ist nur so, dass ich für die Tatsache, von morgens acht Uhr bis abends neunzehn Uhr in meinem Arbeitszimmer zu sitzen (früher Büro), oder in der Gegend herumzufahren (früher Geschäftsreise), oder mit meiner Frau beziehungsweise meinen Kumpels einen Kaffee oder ein Bier zu trinken (früher Meeting oder Konferenz) nur etwa sechzig Prozent meines letzten Nettogehaltes bekomme und den Strom, den ich verbrauche, das Heizöl, das ich verbrenne und das Benzin, das ich verfahre auch noch selbst bezahlen muss (früher mein Arbeitgeber).
Einer wie ich, ist also doppelt gestraft, wenn er arbeitslos wird, wenngleich ich zugebe, fast zwei Jahrzehnte lang auf diese gottgesegnete Situation hingearbeitet zu haben.

Schon zu vermeintlichen Vollbeschäftigungszeiten habe ich mir nämlich immer gedacht, wie schön es doch diejenigen haben, die sich alle Vierteljahre einmal beim Arbeitsamt melden dürfen, ein nettes Gespräch mit dem einladenden Vermittler führen, dabei jede Menge gleichgesinnte Menschen treffen und dafür dann weitere drei Monate Stütze bekommen.
Die erste Geldanweisung nach derartigen Erneuerungsgesprächen, stellte ich mir weiter vor, würde natürlich standesgemäß in der Kneipe neben der Bank mit wildfremden Menschen versoffen, und sollte das Geld (wider Erwarten) einmal knapp werden, gäbe es heutzutage ja Möglichkeiten an der Zahl, mit entsprechenden Dispokrediten den drohenden Liquiditätsengpass sorglos zu überbrücken.

Entsprechend malte ich mir meinen Tagesablauf aus:
Meine Frau, die (wenngleich nur halbtags, aber immerhin) einen Minijob hat, verlässt um 7:30 Uhr das Haus. Wenn sie gegen 13:00 Uhr nach Hause kommt, liege ich noch im Bett. Bis dahin habe ich mir überlegt, ob ich verhasste ehemalige Kollegen respektive Kunden per E-Mail beleidige (natürlich anonym) oder bei dem schönen Wetter doch lieber eine Runde auf dem Golfplatz drehe. Wenn ich mir für beides zu schade bin, trinke ich mit meiner Frau Kaffee und verfolge danach einen Prozess mit Richterin Barbara Salesch im Fernsehen. Ein Nickerchen bis zum Abendessen bringt meine verbrauchte Energie sofort wieder zurück und versetzt mich in die Lage, eine ausführliche After-Work-Party mit nicht verhassten ehemaligen Kollegen schadlos zu überstehen - selbstverständlich bis in die frühen Morgenstunden!

So viel zur Theorie.
Die Praxis sieht so aus: Das erwähnte Häuschen, das gerade mal so meiner Frau und mir, einer Katze und ab und zu einigen Gästen ausreichend Unterkunft bietet, ist ein sehr altes Häuschen, das wir über die Jahre zahlreichen Renovierungs- und Umbauarbeiten unterzogen haben.
Entsprechend lang ist die Liste der Restarbeiten, die nach solch baulichen Eingriffen zwar geplant, aber nie zu Ende geführt wurden.
Also steht seit dem ersten Tag meiner (sogenannten) Arbeitslosigkeit auf dem Plan, täglich eine jener Arbeiten doch endlich ihrem wohlverdienten Abschluss zuzuführen. Als da wären: Randleisten verlegen, Fenster streichen, Malerflecken ausbessern, einen Klappbalkon basteln, einen Verschlag für die immer zahlreicher werdenden Mülltonnen zimmern, hier ein Loch in der Wand ausbessern, da eine Unebenheit glätten, und so weiter und so weiter.

Dann gibt es da noch einen alten Schuppen, der zum Anwesen gehört und jahrzehntelang dazu missbraucht wurde, vorübergehend nicht benötigten Hausrat darin zu deponieren. Einem genetisch bedingten Sammlertrieb folgend, haben meine Frau und ich mehr als zehn Jahre lang immer nur in diesen Schuppen hinein geräumt, aber ihm niemals auch nur die kleinste Kleinigkeit entnommen.
Können Sie sich vorstellen, wieviel vorübergehend nicht benötigter Hausrat sich in zehn Jahren ansammelt? Sie können es nicht!
Ich bin drei Mal mit einem bis unter die Decke beladenen VW-Bus zur Müllkippe gefahren, habe jedes Mal brav fünf Euro bezahlt, um dann die einzelnen Sammelplätze für Karton und Pappe, Glas, Elektro, Metall, Sperr-, Rest- und Sondermüll anzusteuern und mir jedes Mal die Geschichte eines völlig unterbezahlten Ferienjob-Schülers oder Studenten anzuhören, der in der Hitze des diesjährigen Jahrhundertsommers und entsprechendem Gestank zu leiden hatte und sich gemüßigt sah, mir eingehend sein Leid zu klagen. Lieber keine Arbeit, als so eine, dachte ich dann immer, als ich den Müllplatz wieder verlassen durfte.

Natürlich hatte ich auch das eine ums andere Vorstellungsgespräch. In bester Erinnerung blieb mir das bei der Bundesanstalt für Arbeit, die einen Projektleiter im Bereich Qualitätsmanagement suchte. Da interviewte mich ein junger Mann, der offensichtlich das Büchlein Bewerbungsgespräch leicht gemacht sehr intensiv gelesen hatte. Meine Antworten wurden immer dann sofort von ihm unterbrochen, wenn ich ein von ihm erwartetes Stichwort ausgesprochen hatte. Der gute Mann quittierte meine richtige Antwort dann mit den Worten »Danke, das reicht mir« und kritzelte daraufhin einen überdimensionalen Haken in seine Aufzeichnungen. Aber wehe, ich kam nicht auf das Stichwort. Dann quälte mich dieser Mensch mit Nachfragen und obskuren Umschreibungen des Wortes so lange, bis ich es endlich »erraten« hatte. Ich kam mir vor wie in der Quizshow Wer wird Millionär. Allerdings erhielt ich pro richtiger Antwort keine Geldprämie und die ausgeschriebene Stelle schon gar nicht.

Bliebe zum Schluss noch die berühmte Ich-AG. Einzig eine zündende Geschäftsidee fehlt mir dazu noch. Wer einen Vorschlag hat, möge mir deshalb bitte schreiben.
Doch ich sehe gerade, es ist schon wieder 15:00 Uhr. Barbara Salesch hat bereits Platz genommen und der Angeklagte wird gerade in den Gerichtssaal geführt...

Diese Kolumne finden Sie auch in Axel Scherms Ende 2010 erschienenem Buch »AxeAge – Das Printlog zum Weblog«.