18.02.09

Axel Scherm

Pubertät

Schon das Wort ist doch eigentlich für jeden Jugendlichen ein Schlag ins Gesicht.
Der ist in der Pubertät, übersetzt heißt das doch, der hat sie nicht mehr alle, der hat Pickel, Vorsicht, das ist ansteckend, der stinkt nach Schweiß und Masturbation.
Das Schlimme daran ist, es stimmt ja alles, aber muss man dafür einen solch furchtbaren Begriff erfinden? Wie wäre es denn mit Die ersten Wechseljahre oder Übergang, ja oder ganz was anderes, aber Pubertät. Irgendwie klingt das doch, als würde sich jemand übergeben.

Gestern Mittag habe ich am Bahnhof eine Zeitschrift gekauft und dabei festgestellt, dass kein Ort der Welt besseren Anschauungsunterricht dafür bietet Jugendliche in den ersten Wechseljahren zu beobachten als Bahnhofsvorplätze unter der Woche in der Mittagszeit. Meistens stehen sie im Kreise beieinander. Mädchen und Jungs streng getrennt, bis auf ein oder zwei Pärchen, die Händchen haltend, schnäbelnd und turtelnd den Rest der Gruppe in den Wahnsinn treiben und dazu, Dinge zu tun, die Menschen in den zweiten Wechseljahren, also beispielsweise mich, zum Kopfschütteln und anderen Unmutsbekundungen veranlassen.

Es ist ja nicht so, dass man nicht wüsste, was in der Pubertät so alles abläuft. Die Hormone und der Platz im Leben und der Stimmbruch und die vorwitzigen Titten und die Menstruation und die Dauererektion und das Balzgebaren und das Zickengekicher und überhaupt alles – man kennt ja die Ursachen und die Zusammenhänge und die Wirkungen, aber es nervt doch unsäglich! Und das Schlimme ist, es hat sich offenbar nichts geändert. In jedem Jahr immer wieder aufs Neue stehen die Selbstfindungsgruppen der Dreizehn- bis Sechzehnjährigen lärmend, spuckend, rauchend und balzend beieinander und gehen sich und ihrer mittel- und unmittelbaren Umgebung furchtbar auf den Senkel.
Und wenn ich sage, in jedem Jahr immer wieder aufs Neue, dann meine ich damit auch meine Pubertät, denn dieses irrlichternde Stadium menschlichen Daseins scheint sich in dreißig Jahren nicht im Geringsten geändert zu haben und es ist zu befürchten, dass es dreißig Jahre vor meiner Pubertät schon so gewesen ist und die kommenden dreißig, sechzig, neunzig, hunderttausend Jahre auch noch so sein wird.

Mit Grauen denke ich an meine Pubertät zurück. In jener Zeit hatte ich drei Kumpel: Jörg, Michael und Alexander. Wir hingen ständig zusammen. Unsere Lieblingsband hieß The Sweet.
Are you ready, Steve? Aha. Andy? Yeah! Mick? OK. Alright, fellas, let's go!
Tennisschläger waren unsere Gitarren, Kochlöffel die Drumsticks und ein Deostift das Mikrofon. Wenn uns langweilig war, rockten wir zu Ballroom Blitz. Ansonsten haben wir auf dem Bolzplatz vor dem Haus herumgekickt, in den Hecken der angrenzenden Hochschule geklaute Zigaretten gepafft, Pornohefte von Michaels Mutter studiert und das eine ums andere Wochenende im entlegenen Wochenendhaus von Alexanders Eltern hauptsächlich im Vollrausch verbracht. So ging das eineinhalb oder zwei Jahre. Wir waren dämlich, aber froh, bis eines Tages Michael plötzlich eine Freundin hatte. Und wenn ich sage plötzlich, dann deshalb, weil sich in meiner Erinnerung das Bild eingeprägt hat, als wäre sie neben ihm aus dem Boden gewachsen.
Ab diesem Tag war mit Michael nichts mehr anzufangen. Im Schlepptau von Marion, so hieß das hübsche Kind, befanden sich zahlreiche Freundinnen und Nebenbuhler. Unser gemütliches Axel-Michael-Jörg-Alexander-Leben fand in jenen Tagen ein jähes Ende. Nicht, dass wir dieses Leben besonders geliebt oder genossen hätten, aber was dann folgte, war einfach nur noch öde und insgesamt absolut stressig.

Wir sind das nächste halbe Jahr im Kreis herum gestanden. Alexander, Jörg, die Nebenbuhler und ich auf der einen Seite, die Anstandsdamen von Marion auf der anderen Seite. Mittendrin Michael und Marion, die sich geküsst, befummelt und fast aufgefressen haben. Wir haben geraucht, gelärmt, gespuckt und gebalzt.

Der Todestag von Mick Tucker, dem Drummer von The Sweet, dessen Part ich damals mit den Kochlöffeln übernommen hatte, jährte sich in diesen Tagen zum siebten Mal. Mick ist ziemlich kläglich an Leukämie gestorben. Er war ein guter Schlagzeuger, der virtuos die Drumsticks in den Fingern drehen und herumwirbeln lassen konnte. Ich habe mir dieses Kunststück damals auch beigebracht und ich kann es heute noch. Was man in der Pubertät lernt, verlernt man offenbar nicht mehr. Der Rest ist Schweigen.

Diese Kolumne finden Sie auch in Axel Scherms Ende 2010 erschienenem Buch »AxeAge – Das Printlog zum Weblog«.