20.05.09

Axel Scherm

Alles ist Golf, Teil 3: Join the Flight

Golf ist ja eigentlich kein Sport – hört man immer wieder. Man geht ein wenig spazieren – wenn überhaupt, denn manche fahren ja mit einem Elektrokarren, oder noch schlimmer mit einem benzinbetriebenen Zweitakter über den Golfplatz – und drischt mit ein paar Schlägern, die man in einer Art Einkaufswagen, wie sie ältere Damen bisweilen benutzen, hinter sich herzieht, auf einen meist weißen Ball ein, bis dieser in insgesamt 18 verschiedenen Löchern versenkt worden ist.
Das alles kann man alleine tun, aber weil das ganz schnell langweilig wird, schließt man sich zu maximal vierköpfigen Grüppchen zusammen und weil es beim Golfsport keine Schläger, sondern Clubs, keine Abschläge, sondern Drives und keine Wiesen, sondern Fairways gibt, nennt man derartige Golferzusammenrottungen auch nicht Grüppchen, sondern Flight.
Womit man bei einem Aspekt dieser Sportart angelangt ist, der dem fehlenden bzw. geringen sportlichen Aspekt durchaus ebenbürtig sein dürfte: dem sozialen, ja, ich gehe soweit zu sagen, dem gesellschaftlichen Aspekt nämlich.

So ein Flight kann während einer Golfrunde, die ja bekanntermaßen bis zu fünf Stunden dauern kann, alles sein: Staat, Familie, Wohngemeinschaft, Vertriebsbüro, Urlaubsort, Vorhölle, Hölle, natürlich auch Himmel – letzteres aber eher selten.
Immer gilt allerdings die oberste, niemals zu vernachlässigende, in jedem Fall aber goldene Regel: Beim Golfspiel gibt keine Gegner, sondern ausschließlich Mitspieler.
Zugegeben, das fällt in so manchem Flight richtig schwer und in Gedanken hat man das Eisen 3, das im Spiel eigentlich kaum zum Einsatz kommt, schon der einen oder anderen zweckentfremdeten Verwendung zugeführt, indem man es einem seiner Mitspieler über den Schädel gezogen oder quer in den A… – Nein, solche Gedanken gehören nicht auf den Golfplatz und tragen der genannten goldenen Regel in keiner Weise Rechnung.

Was den gesellschaftlich-sozialen Aspekt betrifft, gibt es bei der Gruppenbildung zwecks gemeinsamer Golfplatzumrundung einerseits den kommunikativen- und andererseits den eher unkommunikativen Flight, auch Taubstummenflight genannt. Über den kommunikativen Flight verliere ich jetzt gar nicht viele Worte. Man kann sich vorstellen, was da abläuft: jeder Schlag wird gründlich diskutiert und kommentiert. Kein Thema ist zu abwegig, um es nicht ausführlich auf dem Weg zum Ball zu besprechen und wenn sich Frauen zu einem Flight formieren, wird in 99 von 100 Fällen dieser Art des Golfzusammenspiels gefrönt und gerne unter dem Terminus Erzählflight zusammengefasst – man hat schon Damenflights gesehen, die sich so vollständig im Geschnatter verloren, dass sie vergessen haben, weiterhin Golf zu spielen, was nachrückende Flights zu Unmutsäußerungen und bösartige Gedanken über die bereits erwähnte Zweckentfremdungen diverser Schläger hinreißen ließ.

Wesentlich interessanter und wie man sich vorstellen kann, auch wesentlich anstrengender, ist der Taubstummenflight.
Eine derart illustre Golferrunde darf man sich allerdings nicht so vorstellen, als würde von vorneherein Konsens darüber bestehen, in den kommenden vier Stunden kein Wort miteinander zu wechseln. Nein, einer der vier Mitspieler fühlt sich vor dem ersten Abschlag bemüßigt zu bemerken, sein Golfspiel verlange absolute Konzentration und jedes Wort zu viel, zu laut, oder gar beides würde diese, seine Konzentration aufs Empfindlichste stören.
Derartige Golfrunden enden allerdings gerne damit, dass derjenige, der die anderen, in der Regel kommunikativ veranlagten Menschen seines Flights zum Schweigen verurteilt hat, grottenschlechtes Golf spielt und es am Ende damit erklärt, die Vögel hätten ständig gezwitschert und das Gras sei zu laut gewachsen.

Schlimm ist es, einen sogenannten Regelvergesser im Flight zu haben. Zugegeben, es gibt hunderte von Golfregeln, aber selbst die einfachsten Regeln werden von solchen Menschen vergessen, sobald sie einen Golfplatz betreten oder werden nach eigenem Gutdünken ausgelegt und fehlinterpretiert. Überhaupt scheint partielle Amnesie ein häufig anzutreffendes Phänomen unter Golfern zu sein, denn auch das Vergessen von Schlägen ist sehr weit verbreitet. Erst wenn man den Vergesslichen mit dem Regelbuch kommt oder ihnen genau vorrechnet, wieviele Schläge sie benötigt haben, bekommen sie den offensichtlich von zu viel Düngemittel oder allzu intensivem Grün verursachten Gedächtnisschwund wieder in den Griff. Die meisten allerdings nur bis zum nächsten Loch.

Die wichtigste Erkenntnis im Zusammenhang mit dem Faktor Mensch und der damit einhergehenden Grüppchenbildung im Golfsport scheint mir allerdings zu sein, dass niemand in der Lage ist, sich über den Zeitraum einer Golfrunde zu verstellen. Du bleibst doch immer was Du bist, wusste schon Johann Wolfgang und hat dabei sicher gerade Golf gespielt. Golf bringt alles an den Tag. Alles!
Der Bescheißer wird ebenso entlarvt, wie der Choleriker und der Besserwisser, der Pedant ebenso, wie der Phlegmatiker, der Nervenstarke ebenso, wie der Flattermann, denn es gibt eine zweite goldene Regel, die da lautet:
Viele behaupten, beim Golf gehe es um Leben und Tod, aber das stimmt nicht – es geht um viel mehr!

Diese Kolumne finden Sie auch in Axel Scherms Ende 2010 erschienenem Buch »AxeAge – Das Printlog zum Weblog«.