20.07.05

Axel Scherm

Hupe hupt nicht

Weil ich jemand bin, der beim Autofahren eine Hupe ebenso nötig braucht wie Lenkrad und Bremse, war es unumgänglich, sofort nachdem die Hupe in meinem Auto ausgefallen war, eine Werkstatt aufzusuchen. Weil allerdings eine viertel Stunde später die Mittagspause drohte, die emsige Geschäftigkeit der Blaumannen aufs jäheste zu unterbrechen, und ich nicht so viel Zeit hatte, riet mir die freundliche Dame in der Reparaturannahme, doch am nächsten Tag, gleich in aller Herrgottsfrühe vorbeizukommen. Dann würde man sich sofort meines Problems annehmen.

Gesagt, getan. Ich hatte weiter nichts vor und das Reparieren einer Hupe, stellte ich mir in meiner unendlichen Naivität vor, sollte einem geübten Kfz-Mechaniker so schnell von der Hand gehen wie einem Bäcker das Brezelbacken. Mein Wagen wurde auch sofort und als Erstes in die Werkstatt gefahren und ich beschloss, der Reparatur (zumindest anfänglich) beizuwohnen. Dabei durfte ich mich auch noch mitten in der von mir sehr geschätzten Kfz-Werkstätten-Subkultur aufhalten, die neben den Subkulturen in Tankstellen und Fastfood-Restaurants zu meinen bevorzugten Beobachtungsobjekten in Sachen Parallelgesellschaft gehört.

Ich berichtete also (ungefragt) dem haargefärbten Kfz-Schlosser-Gesellen, der in typisch herrischer Manier zusammen mit einem Lehrling im zweiten Lehrjahr (ebenfalls haargefärbt) Hand an mein Auto legte, dass die Hupe zuerst sporadisch, dann immer öfter und zum Schluss gänzlich ausgefallen war und ich deshalb auf den Lenkradschalter tippen würde. Der Herr Geselle ignorierte meine Vermutung völlig und antwortete schnoddrig, es könne sich nur um das Relais handeln. Man müsse lediglich herausfinden, welches Relais der Hupe zugeordnet ist. Daraufhin verschwand er über eine Wendeltreppe im oberen Bereich der Werkstatt. Durch ein Fenster konnte ich beobachten, wie er zusammen mit einem Kollegen über Mikrofiche-Bildschirm und PC brütete, um herauszufinden, welches Relais...

Kurz dachte ich darüber nach, ob der Schrauber nicht sofort den Schalter geprüft hätte, wenn ich meine Vermutung für mich behalten hätte, doch ich verwarf den Gedanken schnell. Nein, so stur und gemein konnte selbst ein Automechaniker mit Meerschweinchenhaaren nicht sein. Ich verdrückte mich also in den Verkaufsraum und fragte anständig, ob es für wartende Kunden auch irgendwo ein Tässchen Kaffee zu trinken gäbe. Selbstverständlich, antwortete eine freundliche Dame hinter dem Tresen und verwies auf einen Stehtisch. Dort stand bereits eine Kundin, die äußerst aufgeregt Schimpf und Schande über säumige Mieter und hinterhältige Anwälte in ihr Handy ausschüttete.

Eben jene Kundin hörte ich eine gute Stunde später wie von Sinnen aus dem Verkaufsbüro brüllen. Ich hatte mir in der Zwischenzeit auf dem Freigelände sämtliche Neu- und Gebrauchtwagen des Autohändlers angesehen und die mich umschwirrenden Autoverkäufer in unsinnige Akquisitionsgespräche verwickelt. Neugierig eilte ich also in das Büro, aus dem immer ätzenderes Gezanke drang und wurde Zeuge einer Auseinandersetzung, die folgenden Hintergrund hatte: Die Dame mokierte sich darüber, dass ihr versprochen worden war, ihr Wagen würde pünktlich um 11:00 Uhr fertig. Dieser Termin konnte offensichtlich nicht eingehalten werden, denn inzwischen war es bereits kurz vor 12:00 Uhr. Außerdem wurde ihr mitgeteilt, dass Sie den Wagenschlüssel nur dann ausgehändigt bekäme, wenn sie bar oder mit Scheckkarte bezahlen würde, weil sie bereits mehrere Rechnungen bei dem Autohändler offenstehen hatte. Als zu allem Überfluss auch noch das Kartenlesegerät streikte, bekam die Dame einen hysterischen Anfall. Sie brüllte den jungen Mann hinter dem Tresen an, ob er nach all der Infamie und Frechheit, die man ihr, der Königin Kunde mit Terminverzug und Zwangsvollstreckung antue, wohl unfähig wäre, ihr eine ordentliche Rechnung auszustellen. Überhaupt werde sie nie mehr in ihrem Leben... obwohl sie schon drei Autos dieser Marke... und von diesem Händler schon gar nicht... bei soviel Inkompetenz und Impertinenz auf einem Haufen...
Sie schrie sich in Rage, doch der junge Mann auf der anderen Seite der Theke blieb ganz ruhig. Noch mehrfach versuchte er sich am Kartenlesegerät, bis dieses endlich die Karte akzeptierte und es an der heißgelaufenen Kundin war, die Geheimzahl einzutippen, was sich bei so viel Gift und Galle als besonders schwieriges Unterfangen herausstellte, wie man sich vorstellen kann.

Jedenfalls standen sämtliche Angestellte und ein Großteil der Werkstatt-Belegschaft im Verkaufsbüro und verfolgten staunend die Szene, die jeder drittklassigen Dailysoap zur Ehre gereicht hätte. Wutentbrannt und mit quietschenden Reifen verließ die Dame das Firmengelände. Nach zwei Minuten allgemeiner Verwunderung und lobenden Worten meinerseits über den äußerst beherrschten Verkaufs-Mitarbeiter löste sich die Versammlung in Wohlgefallen auf und ich stand plötzlich alleine herum.
Mittagspause! Eine dreiviertel Stunde Kfz-Werkstatt-Subkultur ohne Subkultur, wenn man so will.

Nach der Pause hatte mein zuständiger Mechaniker zwar das zuständige Relais herausgefunden, doch ein Auswechseln hatte (wie erwartet) nichts gebracht. Ein dezenter, aber insgesamt hämischer Hinweis meinerseits, dass es vielleicht doch der Lenkradschalter sein könnte, hatte dann wohl endgültig bewirkt, dass als Nächstes das Hauptelektronikallesundjedesregelmodul ausgetauscht werden musste, das unter anderem für die Hupe verantwortlich zeichnet. Vor der Materialausgabe hatte sich allerdings inzwischen eine schier endlose Schlange gebildet. Der Hilfslehrling stand bestimmt eine halbe Stunde nach diesem Wunderwerk der Technik an, während ich immer nervöser und genervter, mit meinem Handy spielend, zootigergleich auf und ab ging.
Das Handy allerdings, das sollte in der nächsten halben Stunde noch ordentlich zum Einsatz kommen. Der Aus- und Einbau besagten Hauptelektronikdingsbums bewirkt nämlich, dass man über einen angeschlossenen Laptop den achthundertvierzigstelligen Sicherheitscode eingeben muss. Den ließ ich mir von meiner Frau durchs Telefon diktieren, was erst nach mehrfacher Wiederholung und häufigem Nachfragen wirklich gelang.

Lange Rede, kurzer Sinn. Auch dieser zeitraubende und insgesamt komplizierte Einbau hatte nicht bewirkt, dass meine Hupe wieder hupte. Es war, wie sollte es auch anders sein, der Lenkradschalter. Nach sechseinhalb Stunden Kfz-Werkstatt-Subkultur hatte ich die Schnauze voll. Ich war so weit wie meine hysterische Vorgängerin. Ich holte schon Luft und wollte in dem Verkaufsbüro, in dem ich noch zwei Stunden zuvor die Gelassenheit und Ruhe des jungen Verkäufers gelobt hatte, loslegen, als mir der Werkstattmeister (wahrscheinlich ahnend, was gleich passieren würde) einen Leihwagen anbot. Selbstverständlich kostenlos. Den fuhr ich dann drei Tage lang. Der Lenkradschalter war nicht vorrätig, er musste bestellt werden.

Diese Kolumne finden Sie auch in Axel Scherms Ende 2010 erschienenem Buch »AxeAge – Das Printlog zum Weblog«.