26.07.11

Axel Scherm

Leben in Zeiten des Imperativismus

Die Älteren werden sich noch an den guten alten Imperialismus erinnern, an Zeiten, in denen Staaten systematisch den Ausbau ihres wirtschaftlichen, militärischen, politischen und kulturellen Macht- und Einflussbereiches betrieben und in der Folge Heerscharen von Linken, 68ern und bewaffneten Rotarmisten aus ihren Kommunen trieben, um langhaarig, mit verquasten Manifesten oder Sprengstoff gegen diese verhasste Praxis der Landnahme und Kolonisation vorzugehen. 1961 wurde deshalb sogar ein antiimperialistischer Schutzwall gebaut, der 1989 allerdings wieder eingerissen wurde, weil die Imperialisten fast dreißig Jahre lang kaum Anstalten machten, ihrer imperialistischen Pflicht nachzukommen. Außerdem waren es die vom Schutzwall Geschützten leid, ständig in kleinen, stinkenden Plastikautos herumzufahren, während die Limousinen und Bulliden auf der anderen Seite des Walls schon immer aus Stahl, zum Schluss aus Aluminium waren und mehr Raum boten als so manches Wohnungsexperiment in antiimperialistischen Plattenbauten.

Mit der Einführung der Globalisierung sind diese Zeiten endgültig vorbei. Heutzutage braucht es keine aufwändige Kriegs- und Besetzungsstrategien mehr. Man befriedigt seine imperialistischen Grundbedürfnisse mit dem Geldbeutel, kauft sich in andere Länder und Kontinente ein, wartet, bis diese pleite gehen, um sie dann ebenso unblutig wie unspektakulär zu übernehmen. Die Chinesen praktizieren derartiges gerade mit den Amis. Die Griechen wird in nächster Zeit ein ähnliches Schicksal ereilen. Säulenstätten formerly known as Akropolis und diverse schnuckelige Badeinseln werden dann wohl unter der Flagge anderer Staaten oder Konzerne firmieren. Wir werden dann am Strand von Nestle liegen, Jägermeister featuring Aphroditefelsen wird allwochenendlich ein Jäger-On-Ice-Party schmeißen und Naxos wird unter der Führung von Toyota in Zukunft Lexus heißen.

Die Grundlage eines solchen, nennen wir ihn Neo-Imperialismus wird nach meinem Dafürhalten übrigens zunehmend in sozialen Netzwerken gelegt werden, wie sie derzeit zuhauf im weltweiten Netzdingsbums entstehen. Der ihr innewohnende Imperativ kommt der imperialistischen Grundidee nicht nur begrifflich am nächsten. Hier wird nicht zögerlich gefragt: Wollen Sie nicht der Erste sein, dem das gefällt, sondern dreist duzend sofort in Befehlsform gefordert: Sei der Erste, dem das gefällt. Durchsuche deine E-Mail-Adresse nach Freunden. Aktiviere dein Handy. Finde Personen, die du kennst.
Tja, wo sonst hätte nach der Abschaffung der Wehrpflicht der Imperativ eine neue und bessere Heimat gefunden, als bei derartigen Cyber-Pfadfindergruppen.

Übrigens, eine Meldung aus der örtlichen Presse hat mir neulich wieder einmal deutlich vor Augen geführt, warum Länder wie Griechenland am Rande der Pleite stehen. Die Stadt Nürnberg, las ich in dem Bericht, verlangt von Gastronomen, die Stühle und Tische auf den Gehsteig stellen eine nicht unerhebliche Gebühr. Nürnberg stehe, was die Höhe der Gebühr betrifft, sogar an der Spitze in Bayern. Die Begründung dafür: Wer Tische und Stühle auf öffentliche Flächen stellt, die eigentlich für Autofahrer, Radler und Fußgänger gedacht sind, hat als Gastronom einen Nutzen davon und verdient auch mehr.

In Griechenland, wo es sicher wesentlich mehr Straßencafes und –restaurants als in Deutschland gibt, zahlt bestimmt niemand eine Gebühr an den Staat. Imperialismus leicht gemacht: vielleicht sollte man ganz klein, mit der Landnahme und Kolonisation der Bürgersteige beginnen.
Sei der Erste, dem das gefällt!