27.10.09

Axel Scherm

Erst mal sehen, was Quelle hatte – ein Nachruf

Obwohl ich schon lange keinen mehr in Händen hielt, werde ich ihn doch vermissen. Den Quelle-Katalog.
In meiner Jugend war er für mich mehr als nur das Fenster in die schöne, große Konsumwelt, die sich nicht wie heute schnöde durch lieblos gezimmerte Internetseiten oder nervtötendes Teleshopping präsentierte. Allein der Produktname der Hausmarke ließ erahnen, womit man es zu tun hatte. Nicht mit einer Weltmarke, nein die Kühlschränke, Waschmaschinen, Elektroherde und HiFi-Anlagen schienen der Quelle des Universums darselbst entsprungen zu sein, um sich in Millionen und Abermillionen Küchen, Wohnzimmern und Waschkellern zu materialisieren.

Mir war vollkommen klar, warum Karl-Theodor Von und Zu 50 Mille in die Hand genommen hat, um ein letztes Mal die Druckmaschinen anwerfen zu lassen, wusste er doch genau, dass es bei diesem Meisterwerk marktwirtschaftlicher Weltliteratur nicht einfach nur ums Kaufen ging. Die Lektüre eines Quelle-Katalogs war durchaus mit der Lektüre eines Magazins, eines Bilderromans, eines fundiert recherchierten Sachbuchs vergleichbar und hielt einen, auch wenn man nichts bestellte, noch Wochen und Monate nach der heiß ersehnten Sonderzustellung in Atem.

Allein der aufklärerische Aspekt in der Rubrik Mieder- und Damenunterwäsche kann für meine und nachfolgende Generationen gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Hübsche Frauen mit echten Brüsten und nicht von jedem Körperhaar befreiten Bikinizonen lieferten herrliches Anschauungsmaterial, über das auch einmal ganz unverfänglich hinweggeblättert werden konnte, wenn die Mutter das Jugendzimmer betrat und mit gestrengem Blick musterte, welchen Studien sich der Herr Sohn da schon wieder hingab. Ja, auch wenn es nicht das Englischbuch oder die Formelsammlung war, der Quelle-Katalog war immer akzeptiert.
Selbst Ausflüge ins Reich der Mystik, die im Lebensalter aufkeimender Sexualität mindestens ebenso wertvoll sind, wie Closeups einschlägiger Körperregionen, waren da mit Wort und Bild geboten. Ein ewiges Mysterium wird in dem Zusammenhang wohl bleiben, warum ein Massagegerät, das seine Arbeit in Gesicht und an den Oberarmen verrichten sollte, die Form eines Stabes haben muss.

Dann die atemberaubende Phono- und HiFi-Technik, die sich anfänglich in rechteckigen Kompaktanlagen mit passendem, dunkelbraunem Möbel präsentierte, um sich schließlich mehr und mehr zur Komponentenbauweise zu entwickeln. Oh ja, man kam sich vor, wie der versierteste Tontechniker der Welt, wenn man Plattenspieler, Kassettendeck und Receiver erfolgreich miteinander verkabelt hatte und die ersten Takte von Bohemian Rhapsody aus den High-Fidelity-Lautsprechern ertönten.
Ja oder der Duft von Freiheit und Abenteuer, den man atmen durfte, wenn man sich im Geiste in die Auspuffwolke eines zweitaktgetriebenen Mopeds von Mars stellte und dabei die technischen Leistungsdaten mit denen des eigenen Klapprads verglich.

Ach ja, begehrt haben wir alle. Bestellt manchmal. Gelesen, geschaut und gestaunt aber haben wir immer.
Und bevor ich den Quelle-Katalog in Frieden ruhen lasse, darf ich meinen Kolumnisten-Kollegen Franz Josef Wagner von der Bildzeitung zitieren, der ebenso traurig ist wie ich und der sich standesgemäß von der Bibel des deutschen Wirtschaftswunders mit folgenden Worten verabschiedet:

»Der Tod von Quelle ist wie ein wirklicher Tod. Es ist der Tod eines Verwandten, Onkel, Tante, Bruder. Man weint, als wäre der Quelle-Katalog ein Mensch. Ein Mensch, der gestorben ist.«

Diese Kolumne finden Sie auch in Axel Scherms Ende 2010 erschienenem Buch »AxeAge – Das Printlog zum Weblog«.