07.02.11

Stefan Schrahe

Low Budget

Das mit dem Abendessen müssen wir noch optimieren. Es macht einen komischen Eindruck, wenn wir kurz nach fünf jedes Mal überhastet am Strand von Lido San Giovanni aufbrechen und Verabredungen mit Martin und Diana für den Abend absagen müssen. Dabei hatte ich gedacht, alle Eventualitäten einkalkuliert zu haben. Aber dass wir hier am Strand Leute kennen lernen würden, darauf waren wir nicht eingestellt. Trotzdem müssen wir jetzt los. Unser Bus geht gleich.

Vor zwei Jahren waren wir das erste Mal auf Sardinien. Den Flug ab Frankfurt/Hahn gebucht zum Spottpreis. Die Unterkunft vor Ort würden wir uns schon besorgen können – dachten wir. Ganz hier in der Nähe, wo wir jetzt unter gleißender Spätnachmittagssonne auf den Bus warten, hatten wir damals nach endlosen Fußmärschen mit unseren Rollkoffern im Schlepp zwei Zimmer gefunden. Eins für uns und eins für die Kinder. Mit Meeresblick. Der Preis hatte mir allerdings die Freude über den Low-Budget-Urlaub gründlich verhagelt, und um die Kosten im Erträglichen zu halten, ernährten wir uns von Fertigprodukten, die wir heimlich in die Pension schmuggelten.

Das sollte im letzten Jahr alles besser werden. Um den Urlaub im ökonomisch vertretbaren Rahmen zu halten, mussten wir wohl oder übel auf den Meeresblick verzichten. Zumindest aus unserem Fenster. Die online gebuchte gemütliche Familienpension eines ehemaligen Gastarbeiters passte dafür aber finanziell viel besser ins Budget. Und Busse würden auch fahren, wurde uns auf telefonische Anfrage versichert.

Das war nicht gelogen. Aber auch nicht die ganze Wahrheit. Denn der Bus fuhr zweimal am Tag, einmal morgens und einmal abends. Für die 25 Kilometer Luftlinienentfernung brauchte er circa eine Stunde, wobei wir die letzten anderthalb Kilometer über einen staubigen Feldweg laufen mussten, was nach einem heißen Tag am Strand mit zwei völlig übermüdeten Kindern Gefühle wie auf einem Flüchtlingstreck durch die Wüste aufkommen ließ. Die frische Meeresbrise indes, die uns im Jahr zuvor die Abende so angenehm verwöhnt hatte, kam nicht bis Cantoniera Scala Cavalli. Auf unerträgliche Weise schien der Boden alle am Tag gespeicherte Wärme abzugeben und ließ uns schweißnass und ohne Schlaf in unseren Betten liegen. Nach zehn Tagen waren wir urlaubsreif.

Weil der Abflug an unserem letzten Tag erst am frühen Abend starten sollte, hatten wir unsere letzten Stunden auf Sardinien am Strand verbracht – in Lido San Giovanni. Genau da, von wo aus wir jetzt in den Bus steigen, welcher uns klimatisiert und gut gefedert innerhalb von einer Viertelstunde vor die Abflugshalle nach Alghero bringt.

Diesen Bus hatten wir auch im letzten Jahr genommen. Und als ich die Busfahrt mit jener Landpartie verglichen hatte, die wir uns vorher alltäglich angetan hatten, reifte in mir ein Plan, den ich zunächst als vollkommen absurd verwarf, nach erneuten Prüfungen jedoch immer interessanter fand und schließlich mit Beginn dieses Jahres in die Tat umzusetzen begann.

Die Sache würde nicht einfach und ein logistisches Meisterstück werden. Das war klar. Wir würden für mindestens zehn aufeinanderfolgende Tage Hin- und Rückflüge von Hahn nach Alghero buchen müssen – alle natürlich so weit im Low-Cost-Bereich angesiedelt, dass sich die Sache auch lohnen würde. Zu frühes Buchen hätte die Kalkulation durcheinander gebracht, zu spätes Buchen das Risiko nicht mehr verfügbarer Plätze bedeutet. Eine Unterkunft musste gefunden werden. Möglichst nahe bei Lautzenhausen, um unnötige Transferzeiten zu minimieren. Beim Gästehaus Bauernstube in Sohren bin ich fündig geworden, wo uns eine Ferienwohnung für einen geradezu lächerlichen Preis offeriert wurde.

Und dann konnte das Experiment beginnen. Am Samstag des ersten Ferienwochenendes parkten wir unser Auto vor der Ferienwohnung. Die Nacht war angenehm kühl und die startenden und landenden Jets konnten uns als leidgeprüfte Bewohner des Rhein-Main-Gebiets nicht wirklich um den Schlaf bringen.

Morgens um halb acht das üppige Frühstücksbuffet des Gästehauses Bauernstube mit Hunsrücker Spezialitäten. Draußen deutscher Hochsommer, 17 Grad und Regen. Auf die Frage der Wirtin, was wir bei dem Wetter unternehmen wollten, antwortete ich: »Wir gehen an den Strand.«

Um viertel nach acht Aufbruch zum Flughafen nur mit Handtüchern und Badesachen, online eingecheckt hatte ich bereits. Um neun hob unser Flieger ab und um halb elf landeten wir in Alghero. Kurz vor zwölf hatten wir unsere Handtücher und Bastmatten am Strand ausgebreitet. Erst um kurz nach fünf würde uns der Bus wieder zum Flughafen bringen, rechtzeitig zum Abendessen im Gästehaus Bauernstube, das wir auf acht Uhr terminiert hatten.

So haben wir das bis jetzt jeden Tag gemacht. Haben tagsüber im Meer gebadet und abends festgestellt, dass der Hunsrück auch schöne Sonnenuntergänge hat. Die anderen Feriengäste, die ihre Tage im nasskalten Soonwald oder im chlorschwangeren Erlebnisbad verbringen müssen, beneiden uns. Zur Abrundung gab´s im Gästehaus Bauernstube gestern sogar italienisches Buffet. Die Wirtin hat erzählt, dass sie »Strandaktivitäten« im nächstjährigen Flyer in die Rubrik Freizeitangebote aufnehmen will!

Und während wir jetzt in die Maschine steigen und von den Stewardessen, die vor allem unseren Sohn ins Herz geschlossen haben, begrüßt werden, überlege ich, ob man für nächstes Jahr einplanen könnte, nach dem Abendessen wenigstens einmal in der Woche auf einen Cocktail nach Alghero zu jetten.