10.12.05

Stefan Schrahe

Der Kaiser und die klemmende Tür

So sehr hatte es sich der Bundespräsident gewünscht: Dass die Welt – und vor allem wir selber – uns endlich als das wahrnehmen, was wir wirklich sind: ein modernes und fröhliches Volk. Welchen besseren Anlass hätte es dazu geben können als die Auslosung zur Fußball-Weltmeisterschaft? Und wer hätte sich besser dafür eignen können als die Vorzeige-Deutsche Heidi Klum? Die ist nicht nur modern und fröhlich, sondern kann außerdem noch Englisch. Ihr zur Seite gestellt hatte man Reinhold Beckmann. Den kennt zwar außerhalb Deutschlands keiner, aber der ist sympathisch und außerdem hat die ARD keinen Besseren (was nicht für Beckmann, sondern gegen die ARD spricht).

Dass der Bundespräsident nicht viel von Fußball versteht, hat man gleich gemerkt. Aber er wird wissen, was ein Eigentor ist. Das gestern war eins.

Dabei hatte man keine Mühe gescheut: Eine mehrere tausend Quadratmeter große Bühne in die Leipziger Messehallen gebaut und 4.000 Gäste angefahren – inklusive hochkarätiger Fußballprominenz wie Pelé oder Lothar Matthäus. Aber alles umsonst. Wenn es nur Heidi Klums unmögliches Kleid gewesen wäre, dessen einziger Reiz das tiefe Dekollete war. Oder die Tatsache, dass Kollege Beckmann offenbar nicht in der Lage war, einen halben Meter von diesem Dekollete entfernt zu moderieren, ohne der Begierde nachzugeben, dessen Besitzerin möglichst oft anzufassen (was sogar dem Kommunikationsdirektor der FIFA – dem einzigen Profi an diesem Abend – nicht entgangen ist). Dann hätte man auch verschmerzen können, dass die Gelegenheit, Pelé und Konsorten mal etwas ausgiebiger zu interviewen und ein paar mehr Höhepunkte und Tore aus 75 Jahren WM-Geschichte zu zeigen – überhaupt: den Fußball in den Mittelpunkt zu rücken – so sträflich vergeben wurde wie ein verschossener Elfmeter im WM-Finale. Stattdessen durfte die brasilianische Fußball-Legende, ebenso wie Johan Cruyff, nur Kügelchen aus einem Topf ziehen. Man hätte vielleicht auch über den holländischen Zauberer oder den kolumbianischen Schlagersänger hinwegsehen können. Und verschmerzen, dass Reinhold Beckmann so tun musste, als sei Goleo, das Maskottchen, echt (aber vielleicht haben ja auch Sechsjährige zugeschaut) und sich sogar für ein Interview mit einem sprechenden Ball nicht zu schade war. Ja, man hätte vielleicht sogar nachsichtig über Wolfgang Beckers peinlichen Beweis, dass ein guter Filmregisseur nicht zwingend ein gutes Video drehen muss, schmunzeln können. Und Beckmann verziehen, dass er versuchte, Horst Eckel davon zu überzeugen, dass »Teamgeist« (so heißt der neue Adidas-Ball) das Geheimnis der Weltmeisterschafts-Elf von 1954 war (Eckel blieb aber hartnäckig dabei, dass es »Kameradschaft« war). Man hätte ihm auch verziehen, dass er am Anfang (vor allem, während seiner historischen Geste und dem Ausruf: »Völker der Welt, schaut auf diese schöne Stadt«) mit seinen Händen ständig vor Frau Klums Gesicht herumfuchtelte. Dass beide ihre Gäste wie bestellt und nicht abgeholt auf dem Sofa sitzen ließen. Dass die Schulkinder mit ihren selbst gebastelten WM-Objekten wie ein verirrter Trupp Pioniere in der Halle herummarschierten – wie anscheinend die gesamte Dramaturgie und Choreographie des Abends an einem Nachmittag in einer Grundschul-AG entstanden sein muss.

Das alles wäre aber nur halb so schlimm gewesen, wenn nicht auch noch die Tür geklemmt hätte. Und das ausgerechnet beim Auftritt des Kaisers. Freilich, in der Kamera-Totalen – hundert Meter weg vom Geschehen – hätte dies am Bildschirm kaum jemand bemerkt. Beckmann hatte aber aufgepasst und den Kaiser eilfertig gefragt, was denn los gewesen sei. Er hat halt gelernt, dass man sofort melden muss, wenn mal was nicht stimmt. Der Kaiser hat geantwortet, dass die Tür geklemmt und es deswegen etwas gedauert habe. Und beide sind in einer Nonchalance darüber hinweg gegangen, dass der Eskimo, der Indio oder der Malaie jetzt wohl denken, es sei inzwischen normal, dass in Deutschland die Türen klemmen. Und wahrscheinlich ist es das auch. Genau wie einstürzende Tribünendächer, Wasserspiele im Frankfurter Waldstadion, peinliche Moderatoren, grauenhafte Inszenierungen oder Rückrufe bei Mercedes. Weder fröhlich noch modern. Die Albaner oder Mazedonier würden heute einen fünfstündigen European Song Contest in 16:9-Breitband-Qualität und Dolby Surround jedenfalls lockerer hinkriegen als wir eine Auslosung zur Fußball-WM. Nur die Bühne wäre ein bisschen kleiner. Jetzt hängt also mal wieder alles an den Fußballern. Genau wie 1954.