22.05.06

Stefan Schrahe

Grand Prix

Zwei Dinge wissen wir seit Samstagnacht. Erstens: Der Kommunismus wurde nur abgeschafft, damit die osteuropäischen Staaten endlich auch am »Eurovision Song Contest« teilnehmen dürfen. Und zweitens: Deutschland hat wenig Freunde in Europa.

Beim »Eurovision Song Contest« hat jedes Land – ob Deutschland oder Andorra – das gleiche Stimmgewicht. Und genau das ist der wahre Grund für die Zersplitterung des ehemaligen Jugoslawien in viele Teilrepubliken ebenso wie der für die Auflösung der Sowjetunion. Was dabei herausgekommen ist, mussten wir am Samstagabend live miterleben. Denn da schanzten sich die Osteuropäer schamlos die Punkte gegenseitig zu, so dass sich unter den ersten Zehn insgesamt fünf Länder platzierten, die früher Teil eines größeren Ganzen waren.

Und wo haben sie alle ihre Punkte her bekommen: Differenzen zwischen der Ukraine und Russland wegen Gaslieferungen? Oder der »orangen Revolution«? Vergessen! Beim »Eurovision Song Contest« herrscht Friede, Freude, Eierkuchen. Russland kriegt 12 Punkte von der Ukraine, umgekehrt gibt's 10 Punkte. Und haben sich die jugoslawischen Teilrepubliken nicht vor ein paar Jahren noch gegenseitig die Köpfe eingeschlagen und patroullieren dort nicht immer noch Blauhelme? Egal – bei Schlagern hält der Balkan zusammen wie Pech und Schwefel. Genau wie der skandinavische Block, dem anscheinend auch die baltischen Staaten angehören. Obwohl jene auch den Russen mächtig viele Punkte zuschanzen, von deren Besetzung sie sich doch vor wenigen Jahren erst befreit haben.

Und es geht noch weiter. Weil am Samstag kein Land des ehemaligen Jugoslawien gewonnen hat, haben Serbien und Montenegro gleich nach dem Grand Prix per Volksentscheid beschlossen, sich zu spalten. Wegen der besseren Chancen für nächstes Jahr. Man müsste mal zählen, wie viele Länder seit 1989 stimmberechtigt dazu gekommen sind. Und wie viele Punkte die heute vergeben können. An ihre ehemaligen Feinde und Unterdrücker. Was aber haben wir stattdessen gemacht? Wiedervereinigt haben wir uns. Jetzt kann uns nicht mal die DDR 12 Punkte geben.

Andere Freunde haben wir leider nicht in Europa. Nochmal zur Erinnerung: Wer ist größter Netto-Beitragszahler in die EU? Wer hat als erster Kroatien als eigenen Staat anerkannt? Wer schickt seine devisenbringenden Urlauber zu Hunderttausenden Jahr für Jahr in die Türkei und nach Spanien? Wer bietet polnischen Klempnern, Fliesenlegern und Spargelstechern seit Jahren Lohn und Brot? Und was ist der Dank dafür? Null Punkte aus der Türkei, 5 Punkte aus Spanien – wahrscheinlich von dort urlaubenden Ballermännern, die dafür noch teure Roaming-Gebühren bezahlt haben -, Null Punkte aus Kroatien und die paar Punkte aus Holland und der Schweiz waren wohl eher Resultate kleinen Grenzverkehrs als echter nachbarschaftlicher Verbundenheit. Und die Polen sind neidisch auf unseren Papst und geben uns deswegen auch keine Punkte.

Unerwartete Sympathie dagegen von den Engländern: immerhin 5 Punkte. Und nach Albanien sollte man auch mal in Urlaub fahren. Ebenfalls 5 Punkte. Aber der Einzelne ist hier machtlos.

Das Ergebnis des »Eurovision Song Contest 2006« fordert nämlich politische Konsequenzen. Die Bundesrepublik Deutschland als Staatengebilde ist nicht zukunftsfähig. 16 freie und unabhängige Bundesländer bis spätestens 2008 muss das Ziel sein. Es gibt doch sowieso gerade eine Föderalismus-Debatte. Da sollte man das doch direkt mit aufnehmen. Dann hätten wir statt 52 Punkten immerhin 832 Punkte zu vergeben. Und die könnte man wunderbar auf Sachsen, Saarland, Bayern, Bremen oder »The former German Republic: Hessen« verteilen. Nichts könnte mehr schief gehen. Nicht mal mit Ralph Siegel oder Thomas Anders. Die Osteuropäer jedenfalls würden ganz schön blöd aus der Wäsche gucken.

Aber für die wirklich wichtigen Dinge interessieren die Politiker sich ja nicht. Also, ich seh' schon: Für dieses Jahr müssen's die Fußballer wieder rausreißen.