25.09.04

Stefan Schrahe

Aldi-Süd

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»Aldi-Süd« gelesen von Stefan Schrahe.
(Bitte beachten Sie unseren Rechtevorbehalt).

Ich gehöre nicht zu den Menschen, die sich ihre Tageszeitung in den Urlaub nachschicken lassen. Da beschleicht mich das Gefühl, gar nicht richtig weg von zu Hause zu sein. Weil ich aber über den Lauf der Dinge in der Welt einigermaßen informiert sein will, kaufe ich mir im Urlaub – und nur dann – regelmäßig die Bild-Zeitung.

So saß ich an einem Freitagmorgen an der kroatischen Adria lesend beim Frühstück, als mein Blick auf eine Anzeige in mir wohlbekanntem Stil fiel. Unter der Überschrift »Aldi informiert« war genau der Häcksler abgebildet, der ein Jahr zuvor schon einmal im Angebot war. 2200 Watt für Äste mit einem Durchmesser von bis zu sechs Zentimetern. Fünf Aldi-Filialen hatte ich damals abgeklappert – vergeblich. Der einzige Trost war, daß sich solche Angebote bei Aldi wiederholen – man muß nur ein wenig abwarten. Und jetzt war genau dieser Häcksler wieder im Angebot – nur, daß ich jetzt auf dem Balkan saß und keine Chance hatte, da heranzukommen.

Wortlos reichte ich meiner Frau die Zeitung und deutete auf die Anzeige.

»Das gibt's doch nicht«, entfuhr es ihr, woraufhin ich nur zustimmend nicken konnte. Ungläubig schüttelte sie den Kopf und wir schauten beide eine Weile stumm über unseren Frühstückstisch hinweg auf die Mobilhomes der Nachbarn.

»Und jetzt?« fragte meine Frau.

»Ja wie: und jetzt.«

»Wir könnten Deine Schwester anrufen.« Wieder hatte meine Frau eine ihrer praktischen Ideen, die uns schon aus vielen Notlagen herausgerettet hatten. Nur hatte diese eine Haken.

»Meine Schwester ist Aldi-Nord.« sagte ich.

»Scheiße«, sagte meine Frau.

In dieser Laune verbrachten wir den Rest des Tages. Beim gemeinsamen Grillen am Abend erwähnte ich beiläufig meine Entdeckung in der Bild-Zeitung.

»Der Häcksler von letztem Jahr?«, fragte Klaus aus Hanau, der mit seiner Familie im Mobilhome neben unserem wohnte.

»Ja, genau der. 2200 Watt. Äste bis sechs Zentimeter. Für 99 Euro.«

Wie sich herausstellte, hatte Klaus im letzten Jahr das selbe Schicksal getroffen. Ob wir die Bild-Zeitung noch hätten, fragte er. Ich bat die Kinder, im Altpapier nachzusehen und zwei Minuten später hatten sie die Blätter in der Hand.

Klaus nahm die Zeitung und zeigte die Anzeige wortlos seiner Frau.

»Der Dampfstrahler!«, entfuhr es ihr.

So genau hatten wir uns die Anzeige gar nicht angesehen. Aber offenbar brannte Aldi-Süd gerade ein ganzes Feuerwerk an Sonderangeboten von Garten-Artikeln ab. Auch die Polsterauflagen waren wieder im Angebot.

»Wir hatten schon überlegt, Daniels Schwester anzurufen«, sagte meine Frau. »Aber die ist Aldi-Nord.« Mitfühlende Blicke trafen uns aus der Runde.

Es wurde ein ruhiger Abend, früher als sonst räumten wir zusammen und wünschten uns eine gute Nacht. Aber an Schlaf war nicht zu denken. Mit offenen Augen lag ich an der Seite meiner Frau.

»Wie weit ist es eigentlich bis zur deutschen Grenze?« fragte sie plötzlich.

»Ungefähr 450 Kilometer«, sagte ich.

»Meinst Du, Du schaffst das an einem Tag hin und zurück?«

»Klar«, sagte ich, erleichtert darüber, diesen Vorschlag nicht selber gemacht zu haben und von ihr möglicherweise als völlig gestört abgestempelt zu werden. Sie drehte sich zu mir um, zog mich zu sich heran und küßte mich auf den Mund.

»Du bist ein Schatz!« Das sagt sie nicht sehr oft.

Am nächsten Morgen weihten wir unsere Urlaubsfreunde ein.

»Wir können den Häcksler für Euch mitbringen«, schlug ich vor.

»Und den Dampfstrahler«, strahlte Marianne – die Frau von Klaus.

Die Nachricht von unserer Expedition verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Sonntag nacht um zwei Uhr verließ schließlich ein Konvoi aus drei Kombis und einem Minivan mit insgesamt acht Fahrern, ausgerüstet mit detaillierten Einkaufslisten von vierundzwanzig Familien den Campingplatz in Richtung deutsche Grenze. Montag morgen um halb acht hatten wir deutschen Boden erreicht und eine Viertelstunde später den Parkplatz der Freilassinger Aldi-Filiale besetzt, wo wir uns direkt vor der Eingangstür in Position brachten.

Vollgepackt mit Häckslern, Dampfstrahlern, Vertikutiergeräten und Polsterauflagen machten wir uns zwei Stunden später wieder auf den Rückweg. Mit großen »Hallo«, kühlem Bier und saftigen Steaks wurden wir begrüßt. Die Urlaubsstimmung war wieder hergestellt.

Zwischen die Kartons muß aber irgendwie der Aldi-Prospekt für die zweite Wochenhälfte gerutscht sein. Als meine Frau diesen interessehalber aufschlug, wurde ihr Gesicht aschfahl.

»Was ist los?« fragte ich. Zur Antwort hielt sie mir den Prospekt entgegen und konnte nur drei Worte über ihre Lippen bringen:

»Die Latex-Matratze...«

Nächstes Jahr haben wir drei Wochen Westerwälder Seenplatte gebucht – mitten in Deutschland. Der Campingplatz ist ideal gelegen: nur drei Kilometer bis zur nächsten Aldi-Nord- und fünf Kilometer bis zur nächsten Aldi-Süd-Filiale. Wir freuen uns jetzt schon auf die Angebote.