26.08.04

Stefan Schrahe

Spiderman

Diese Kolumne lässt sich auch hören!

»Spiderman« gelesen von Stefan Schrahe.
(Bitte beachten Sie unseren Rechtevorbehalt).

Womit soll ein Mann sich heute Respekt verschaffen? Das Geld kommt aus dem Automaten, die Frauen haben Führerscheine – manche fahren sogar Motorrad – und die Kinder bedienen den Computer besser als man selbst. Es ist schwierig geworden, zu beweisen, was für ein Kerl in einem steckt. Also muß man die wenigen Gelegenheiten, die sich dazu bieten, konsequent nutzen.

Wie jetzt, wenn die kältere Jahreszeit kommt. Da passiert es oft, daß ich plötzlich meine Frau in heller Panik meinen Namen rufen höre – oder eines der Kinder stößt erst einen Schreckensschrei aus und ruft dann so laut es kann: »Papa!«. Jeder andere würde wohl alles stehen und liegen lassen. Würde vom nackten Entsetzen der Stimmen alarmiert – auf einen fürchterlichen Anblick vorbereitet – in Richtung des Rufs stürmen. Jeder andere – aber ich nicht! Denn ich weiß, daß dann meine Stunde gekommen ist.

Ich antworte nicht sofort, sondern gehe überlegen lächelnd in die Küche und bewaffne mich. Aus dem Hängeschrank hole ich ein Glas – am besten sind ehemalige Senfgläser – und pflücke mir im Korridor eine Postkarte von der Pinnwand.

»Wo bleibst du denn?«, schallt es mir in heller Aufregung entgegen.

»Bin schon unterwegs«, antworte ich leicht genervt. Es macht mir Spaß, sie ein bißchen zappeln zu lassen.

Der Schrei kam diesmal von oben. Also gehe ich – Glas und Postkarte in der Hand – die Treppe hinauf und werde von zwei sich ängstlich an die Wand drückenden Kindern erwartet. Meine Frau steht zwar schützend vor ihnen, ist aber auch nur noch in der Lage, ihren Arm zu heben, um mit dem Zeigefinger auf die Ursache des Schreckens zu deuten.

Mein Blick fällt auf eine schwarze Spinne, die regungslos – wahrscheinlich erstarrt von den spitzen Schreien – im Winkel zwischen Wand und Decke sitzt. Ein recht stattliches Exemplar, aber kein Vergleich zu denen, die ich schon aus unserer Badewanne geholt habe.

Ich weiß, was ich tun muß. Denn ich bin bei uns der »Spiderman«, der die Spinnen nicht nur beseitigt, sondern sich auch todesmutig alleine in den Keller zu den Getränkekästen traut, in die Garage zu den Gartengeräten und der sogar mit der Hand in die Gummistiefel faßt, die dort seit Monaten unbenutzt herumstehen.

»Stuhl!« sage ich.

Der knappe, präzise Befehl reicht völlig aus – sofort flitzt jemand los, mir einen Stuhl zu besorgen. Ich steige auf, fixiere die Spinne mit meinem Blick und setze dann entschlossenen das Glas mit der Öffnung genau über das Untier – begleitet von einem mühsam unterdrückten Schreckenslaut meiner Zuschauer.

Plötzlich merkt die Spinne, was gespielt wird. In dem Augenblick, in dem das Glas die Wand berührt, erwacht sie aus ihrer verharrenden Pose und läuft hektisch hin und her – die Glaswände entlang, auf den Boden des Glases und wieder zurück. Langsam schiebe ich die Postkarte unter das Glas, nehme dann beides von der Wand und präsentiere meinem staunendem Publikum, das sich erst zögerlich, dann aber doch neugierig nähert, meine Trophäe.

Man schwankt offenbar zwischen Bewunderung für meine Unerschrockenheit und Ekel vor dem immer noch herumzappelnden Monster. Ich steige vom Stuhl und gehe mit der Spinne im Glas die Treppe hinunter zur Eingangstür. Langsam weicht die Spannung. Erleichterung macht sich breit.

»Öffnen!«

Bereitwillig wird die Haustür geöffnet. Ich trete nach draußen, nehme die Postkarte vom Glas und schleudere das Untier zurück in die Natur. »Bis zum nächsten Mal«, flüstere ich ihm hinterher. Denn – wenn mich Farbe, Größe und die Zeichnung des Panzers nicht getäuscht haben – hatte ich mit dieser hier schon mindestens drei Mal das Vergnügen. Ich töte die Spinnen nicht. Denn, ganz im Vertrauen: ich habe einen Deal mit ihnen. Ich lasse ihnen die Chance, auf irgendeinem Weg wieder ins Haus zu kommen – dafür helfen sie mir bei der Demonstration meiner Unersetzlichkeit.

Ich liebe diese Jahreszeit!