31.05.06

Stefan Schrahe

Kleine Schritte oder
Gedanken zum Welt-Nichtrauchertag

Gestern ist es wieder passiert: Wir hätten gerne im Straßencafé gesessen, aber der für dieses Frühjahr fast obligatorische Platzregen trieb uns in den Innenbereich eines Cafés am Blumenmarkt. Der Nichtraucherbereich sei in der 1. Etage hinter der Treppe rechts, wurde uns beschieden. Und tatsächlich: 3 Tische standen dort, auf denen Pappschildchen mit der Abbildung einer qualmenden, aber mit Balken durchgestrichenen Zigarette die rauchfreie Zone markierten. Praktischerweise waren die Tische direkt an den Toiletten sowie am Zugang zur Küche. Für Freunde hektischer Betriebsamkeit also genau das Richtige.

Der Capuccino war lauwarm. Eine Zeitung hatte ich mir selbst mitgebracht. Angela Merkel wurde auf Seite 1 zitiert: Auf dem DGB-Kongress hatte sie zu Reformen aufgefordert. Strukturreformen seien unumgänglich, sonst würden die Einschnitte langfristig noch härter. Sie plädiere für eine gemeinsame nationale Kraftanstrengung zum Wohle des Landes. Es wurde auch erwähnt, dass sie Pfiffe geerntet hatte. Wahrscheinlich von Besitzstandswahrern, die mutigen Reformen im Wege stehen. Es ist schwierig, in diesem Land etwas zu bewegen.

Etwas weiter hinten und ein bisschen versteckt las ich von den wichtigsten Erkenntnissen des diesjährigen Sucht- und Drogenberichts der Bundesregierung. Neben der erfreulichen Tatsache, dass die Zahl der Drogentoten weiter abgenommen habe, wurde der Tabakkonsum als größtes vermeidbares Gesundheitsrisiko unserer Zeit bezeichnet. Über 110.000 Todesfälle gingen jedes Jahr auf das Konto des Zigarettenrauchens. Ein Schwerpunkt der Bundesregierung sei daher der Nichtraucherschutz. Wäre es vor wenigen Jahren noch eine Selbstverständlichkeit gewesen, dass überall geraucht werden dürfe, so gäbe es heute immer mehr Bereiche, die »rauchfrei« seien.

Ich blickte auf und sah mich um. Immerhin saß ich gerade in einem solchen Bereich. Wenngleich sich die Rauchschwaden, die von den etwa 15 Rauchertischen auch in unsere Richtung zogen, nicht von der imaginären Demarkationslinie abschrecken ließen, die unseren Bereich davon abtrennen sollte. Trotzdem hatte ich das Gefühl, in diesem Moment ganz nah am Puls einer jener »nationalen Kraftanstregungen« zu sein, die unsere Kanzlerin gemeint haben musste.

Ich las weiter: Das Bundesministerium für Gesundheit habe im letzten Jahr eine Vereinbarung über einen Stufenplan mit dem Deutschen Hotel- und Gaststättenverband getroffen. Stufenplan passt gut zur »Politik der kleinen Schritte«, die Frau Merkel proklamiert hat, dachte ich mir. Sie will die Bürger mitnehmen und nicht unterwegs irgendwo stehen lassen. Vor allem die Raucher. Der Plan war nur in Auszügen abgedruckt. Ich versuche kurz, ihn wiederzugeben:

Bis zum 1. März 2006 sollen als erste Stufe »mindestens 30 Prozent aller Speisebetriebe mindestens 30 Prozent Nichtraucherplätze anbieten«. Allerdings nur, wenn sie mehr als 40 Sitzplätze oder mehr als 75 Quadratmeter »Gastfläche« haben und »regelmäßig Speisen« und nicht nur »Snacks« anbieten. Bis 1. März 2008 sollen dann als letzte Stufe 90 Prozent aller Restaurants mindestens zur Hälfte Nichtraucherplätze bereithalten. Der Verband verpflichtet sich, entsprechend »auf seine Mitgliedsbetriebe und die Gesamtbranche einzuwirken« und zur »Erfolgskontrolle« jährlich eine »Abfrage« durchzuführen. Damit wolle die Bundesregierung sich jedoch nicht zufrieden geben. Um die Vereinbarung mit einer unabhängigen, repräsentativen Studie zu überprüfen, seien für 2007 mehrere hunderttausend Euro eingeplant. Aus Steuermitteln natürlich.

Ich war wieder einmal stolz auf unser Land und unsere Regierung, die so eine ausgewogene und bis ins Detail ausgefeilte Lösung zustande gebracht hat. So hat man umsichtig - wie in unserem pluralistischen Gemeinwesen üblich - nicht nur die Interessen des Bürgers, sondern auch die des Gaststättenverbandes, der Zigarettenindustrie und der Automatenaufsteller berücksichtigt. Und niemanden verschreckt und damit möglicherweise auf dem gemeinsamen Weg der »nationalen Kraftanstregung« stehen lassen.

Ich kam zwar - entgegen den angekündigten 30 Prozent ab 01. März - beim Nachzählen im Café nur auf 16 Prozent Nichtraucherplätze (und das auch nur, weil ich das Erdgeschoss von oben nicht sehen und somit nicht mitzählen konnte), aber ich will nicht kleinkariert sein und nur herummäkeln. Schlechte Stimmung gibt es ja schon genug. Und in der Politik haben Ziele ja primär die Aufgabe, eine Richtung vorzugeben. Und das Fernziel ist, für unsere Kinder und Kindeskinder irgendwann einmal rauchfreie Gaststätten zu schaffen - mit mehr als 40 Sitzplätzen.

Abends habe ich mit meiner Schwester telefoniert. Die wohnt in Irland. Irgendwie kamen wir auf das Thema und ich erfuhr, dass auf der grünen Insel seit zwei Jahren jedes Rauchen in öffentlichen Gebäuden untersagt ist. Und dass die Iren sich daran hielten. Ebenso wie die Spanier und Italiener. Von »nationaler Kraftanstrengung« sei dort übrigens nicht so oft die Rede.

Darf man so Politik machen, frage ich mich? Einfach etwas machen und entscheiden, ohne alle Beteiligten in einem langen Mediationsprozess mit einzubeziehen und sicherzustellen, dass auch wirklich alle Interessen berücksichtigt werden? Nein, denke ich. Unser Weg ist ein anderer. Unser sensibles Gleichgewicht aus Lobbyisten, Interessensverbänden und politischen Parteien, die sich alle paar Monate zur Wahl stellen müssen, braucht die kleinen Schritte. Sonst würde es aus der Balance geraten - bei den wirklich großen Themen noch mehr als bei der Nichtraucherfrage. Da müssen 110.000 Rauchertote, miese Noten im Pisa-Test und schlechte Bildungschancen sowie ein auf den Kollaps zusteuerndes Gesundheitssystem hingenommen werden. Aber vielleicht ist gerade das ja auch mit »nationaler Kraftanstregung« gemeint.