31.07.07

Stefan Schrahe

Die Spülmaschine

Mein Freund Andreas ist Maschinenbau-Ingenieur und kennt sich in Dingen aus, von denen ich keinen blassen Schimmer habe. Stets stehe ich fassungslos vor dem Phänomen, dass naturwissenschaftliche und auf einfachen Rechenmodellen basierende Herangehensweisen vielfach eine wirkungsvollere Hilfestellung im Leben leisten können als Intuitionen oder philosophische Betrachtungen.

So wie neulich, als wir uns in einem Biergarten trafen und ich beiläufig von meinen Plänen erzählte, eine neue Spülmaschine anzuschaffen. Unsere alte Maschine hatte den Geist aufgegeben. Mit rationalen Aspekten – etwa Energie- und Wasserverbräuchen, teilintegrierten, dekor- oder unterbaufähigen Ausführungen – hatte ich mich noch gar nicht auseinander gesetzt. Unter diesem Gesichtspunkt habe ich eine Spülmaschine auch noch nie betrachtet. Eine Spülmaschine ist für mich ein Symbol des Friedens und in jedem Mehrpersonenhaushalt ein absolut notwendiges und aktives Element zur Konfliktvermeidung. Wenn es nach mir gehen würde, hätte Josephine Cochran – die Erfinderin der Spülmaschine – längst den Friedensnobelpreis bekommen. Waren ihre Bemühungen doch von nachhaltigerem Erfolg geprägt als etwa die von Henry Kissinger oder Yassir Arafat.

Immerhin hatte ich von Andreas keine ökologischen Bedenken zu erwarten. Wer einen Family-Van mit 200 PS fährt, würde wohl schlecht einen Geschirrspüler als luxuriösen Unfug abtun, der nachwachsenden Generationen des Trinkwassers berauben, Flüsse und Seen zum Absterben und ganz global den Untergang der Menschheit beschleunigen würde. Ich konnte also ganz unbefangen über meine Pläne sprechen.

Anstatt mich aber in eine Diskussion über verschiedene Marken oder Technologien zu verwickeln – in der Staubsauger-Szene etwa tobt momentan ein Glaubenskrieg über Vor- und Nachteile von beutellosen Geräten – sagte er nur: »Du brauchst nicht eine, du brauchst zwei Spülmaschinen.«

Natürlich dachte ich zunächst, ihn nicht richtig verstanden zu haben. Meerschweinchen und Kanarienvögel sollte man stets paarweise halten. Von Spülmaschinen oder einem Trend zur Zweit-Spülmaschine war mir dagegen nichts bekannt. Außerdem wusste ich, dass er auch nur eine Spülmaschine besaß.

»Wie kommst du denn darauf?« fragte ich also.

Ich erfuhr, dass er sich das genau ausgerechnet habe. Für die im nächsten Jahr anstehende Küchen-Neuanschaffung habe er Platz für zwei Spülmaschinen eingeplant. Die Entscheidung sei nach einer ganzheitlichen Betrachtung aller fürs Spülen maßgeblichen Aspekte gefallen.

Und schon erklärte er mir seine Theorie: »Wenn die Spülmaschine sauber ist«, fragte er. »Wo stellst Du dann das Geschirr hin?«

»In den Schrank«, antwortete ich.

»Eben«, sagte er. »Und genau das ist das Problem: Ineffizienz.«

Ich stand auf dem Zuleitungsschlauch: »Wieso Ineffizienz?« fragte ich.

»Bei zwei Spülmaschinen«, erklärte er mir, »könntest du das Geschirr in der sauberen Maschine so lange stehen lassen bis du es brauchst. Du sparst den Umweg über den Schrank. Nach der Benutzung stellst du es dann in die andere Maschine, bis diese voll ist und das ganze geht – mit vertauschten Rollen – wieder von vorn los.«

»Das ist doch total behämmert«, wandte ich ein. »Das rechnet sich doch nie. Der zusätzliche Platz und die zusätzliche Maschine…« Aber ich hatte vergessen, dass man bei Maschinenbau-Ingenieuren immer damit rechnen muss, dass sie sich über solche Dinge genauestens Gedanken gemacht haben.

Natürlich rechne sich das, antwortete er. Die Einsparung an Geschirrschrank-Volumen etwa habe er auf über 50% beziffert. Bei einem Vierpersonenhaushalt würden im Schnitt jeweils zwei saubere Frühstücksgedecke im Schrank und zwei benutzte in der Spülmaschine stehen. Aber nur im Schnitt. Denn der Platz in den Schränken müsse sich am Spitzenbedarf orientieren. Wenn etwa die Spülmaschine abends fertig sei, müsse sie sofort ausgeräumt werden, damit schmutziges und sauberes Geschirr sich nicht vermischten. Da der Bedarf für Frühstücksgeschirr aber erst am nächsten Morgen bestünde, müsse im Schrank Lagerplatz für das komplette Geschirr vorhanden sei, während die Spülmaschine gleichzeitig stundenlang leer stünde und wertvolle Kubikmeter Platz blockiere. Man müsse sich das so vorstellen wie bei der Kraftwerkskapazität, deren Hauptproblem sei, dass sie sich auch stets am Maximalbedarf ausrichten müsse.

Das sei aber noch nicht alles: Der Zeitfaktor sei ebenso wichtig. Das Ausräumen einer Spülmaschine dauere etwa 5 Minuten. Bei 1,5 Durchgängen am Tag – statistisch über einen 38-Tage-Wert gemittelt – ließen sich also pro Tag 7,5 Minuten Haushaltsarbeit einsparen. In der Woche summiere sich das auf 52,5 Minuten – großzügig aufgerechnet also eine knappe Stunde.

»Eine Stunde pro Woche«, rechnete mir Andreas vor, »in der sich meine Frau um die Kinder, den sonstigen Haushalt kümmern oder ihren Interessen nachgehen könnte. Das sind im Jahr 52 Stunden – bei einem 10-Stunden-Tag im Haushalt also mehr als eine ganze Arbeitswoche. Und wenn man das ganze unter finanziellen Gesichtspunkten betrachtet und ihre Arbeitszeit mit 10 Euro die Stunde ansetzt, ist das eine Ersparnis von 8,75 Euro pro Woche – also 35 Euro im Monat. Bei einem Anschaffungspreis von 350 Euro hat sich die zusätzliche Spülmaschine also nach zehn Monaten bezahlt gemacht und spart uns von da an jedes Jahr 420 Euro. Das ist fast schon ein halber Urlaub. Zumindest eine Wochenendreise. Und außerdem: Wenn mal eine Spülmaschine ausfällt, steht man nicht völlig ohne da – im Flugzeugbau nennt man das Redundanz. Kommt aber seltener vor, weil die Spülmaschinen sich die Arbeit teilen und entsprechend länger halten.«

Zufrieden nippte er an seinem Bier und ich fühlte mich wieder wie vor den Kopf geschlagen, auf solch praktische Lebenshilfen nie selber zu kommen. Aber wozu hat man Freunde die sich mit so was auskennen, dachte ich und nahm mir vor, bei meinem Spülmaschinen-Verkäufer am nächsten Tag als erstes nach einem Mengen-Nachlass zu fragen.