16.01.10

Elke Schröder

Briefe vom kleinen Inder (3)

Lieber Vater,

Sahib Meyn hat gerade die heilige Ziege gerieben, wie du mich gelehrt hast, die Vereinigung von Mann und Frau zu nennen. Zu meiner Scham vollzog er das Ritual in meiner Anwesenheit und in so fremdartiger Weise, dass mein Herz bestürzt ist und die Früchte meiner Lenden nun wie verdorrte Knollen am göttlichen Horn kauern.

In deiner unendlichen Weisheit führtest du mich am Tag meiner Abreise zu Chandrakantas Hütte, wo ich durch das kleine Loch im Lehm zusehen durfte, wie ihre fünf Ehemänner die heilige Ziege mit den Fiederblättern der weißen Kastanie aus dem Schlaf fächerten, um sie auf die anschließende Vereinigung vorzubereiten. Ach, wie sehnte ich mich danach, teilzuhaben an Chandrakantas Entzücken; und sei es mir nur beschieden gewesen, die dunklen Knospen ihrer entblößten Hügel mit geeister Buttermilch auf meinen ungeschickten Fingerspitzen erblühen zu lassen – nichts hätte mich glücklicher gemacht. Leider hatte Oma Indulala diese Aufgabe übernommen. Noch immer wundere ich mich, wie sie in der Hütte ihre Arbeit verrichten, aber gleichzeitig hinter mir stehen und zwei glühende Kohlestücke in meine Ohren pressen konnte. Du hast es mir nicht mehr erklären können, Vater, weil du wie vom Erdboden verschluckt warst, als mich Oma Indulalas Zorn traf. Auch wird es mir ein ewiges Rätsel bleiben, wie der Aufruhr meiner Lenden zusammen mit dem sengenden Schmerz in meinen Ohren zu etwas führte, das die Frauen in unserem Dorf hinter vorgehaltener Hand das „tobende Horn« nennen. Oma Indulalas Strafe hat sich als ein Geschenk der Götter erwiesen!

Weder in der Luft, noch auf dem Land, nicht mal bei meinem Sturz in die tiefe Kluft legte das „tobende Horn« sich zum Schlafen nieder. Du kannst dir vorstellen, wie stolz ich war. Tapfer kämpfte ich gegen den teuflischen Drang an, meine Pluderhose gegen ein enges Beinkleid auszutauschen, das allen westlichen Frauen offenbaren würde, wie viele heilige Ziegen zu reiben Rishi imstande wäre. Wenn Sahib Meyns Weib, die einen Namen wie von Knochen trägt, mich in vielen einsamen Nächten davon überzeugte, dass mein rechter Arm um ein Drittel länger als der linke würde, so sie nur lange genug an ihm zog, war mir fast, als stünde ich wieder mit kochenden Lenden und glühenden Ohren vor dem kleinen Loch im Lehm.

Ich hoffe, du kannst einem Sohn verzeihen, der seine flammende Lust schließlich auf ein erträgliches Maß in einem Haus zu dämpfen suchte, das den Namen „Trumpets Garden« trug und von einer kahlköpfigen Frau mit dicht behaartem Kinn geführt wurde. Auf ihre Stirn waren zwei verschlungene Trompeten tätowiert.

»Glotz' mich weiter so an, Freundchen, und ich hefte dich an den Eiern kopfüber ans Scheunentor!«, hieß sie mich willkommen.

»Wieviel kosten Scheunentor?«

»Hä?«

»Du Rishi heften an Tor, Rishi dir geben Geschenk von heilige Kuh«, sagte ich und zog den letzten getrockneten Kuhfladen hervor.

»Heilige Scheiße!« Die Frau pfiff durch eine Reihe von Zähnen in der Farbe gestampfter Yamswurzel. »Kommt mal alle her, Mädels! Den müsst ihr euch ansehen!«

Es dauerte nicht lange und der kleine Raum schien sich bis an die Decke mit leicht bekleideten Frauen zu füllen. Ich verbeugte mich tief, so wie du es mich gelehrt hast, Vater. Dann entzündete ich mit zitternden Händen den Kuhfladen und legte ihn in die Mitte des Raumes. Alle hielten die Luft an und wichen einen Schritt zurück. Ich atmete tief ein, als der herrliche Duft sich bis in die letzten Ritzen verströmte und dachte an unser schönes Dorf Devaneri. Die bärtige Frau riss mich aus meinen Gedanken.

»Du wagst es also, hier reinzulatschen und einen Haufen Scheiße abzufackeln, was?«, bellte sie. Die Trompeten auf ihrer Stirn wackelten. Ich nickte. Einige der Mädchen kicherten.

»Was ist eigentlich dein Problem?«

»Rishi haben ›tobendes Horn‹«, fasste ich mir ein Herz, deutete auf meine Körpermitte und blickte aufmerksam in die Runde. Eine Zeitlang war es so still wie damals, als Oma Indulala mit einem Kochtopf um die Hüfte geschnallt in die Schlangengrube stieg und um Regen für unser Dorf bat. Danach, oh Vater, danach kann ich mich an große Wonnen, lange Nägel und Drahtschlingen erinnern, auch sah ich eine Weile die Welt von oben, aber das ‚tobende Horn« war immer noch nicht besänftigt. Bis heute. Denn Sahib Meyns Weib sagte „Hui!«, als er die heilige Ziege rieb. Und noch mal „Hui!« und immer wieder „Hui!«, bis mein ganzer Stolz zu dem zusammensank, was die Frauen in unserem Dorf hinter vorgehaltener Hand die „schlafende Walnuss« nennen.

Entschuldige meine allzu große Offenheit und den Kummer, der durch diese Zeilen dringt. Aber wem sonst sollte ich mein Herz öffnen, wenn nicht dir, Vater, der du einst sagtest, die „schlafende Walnuss« sei wie der weite wolkenlose Himmel über dem Meer. Man müsse ihn nur lange genug anschauen und schon zögen die ersten Vorboten eines fruchtbaren Regens auf. Darauf will ich hoffen. Aber es gibt auch eine gute Nachricht. Ich habe endlich eine Arbeit gefunden. Bald werde ich in einer großen Halle Fischköpfe abschneiden und in Dosen stopfen. Viel werde ich nicht verdienen, aber sobald ich das Geld für deine Brille zusammenhabe, setze ich mich wieder in die hohe Luft und kehre zu dir zurück.

Dein Sohn Rishi

Lesen Sie die gesamte Reihe »Besuch aus Germanyland / Briefe vom kleinen Inder« von Michael Meyn und Elke Schröder:

  1. Michael Meyn: Die Ankunft
  2. Michael Meyn: Die Luft ist raus
  3. Michael Meyn: Klasse Wetter
  4. Michael Meyn: Grand Canyon
  5. Elke Schröder: Briefe vom kleinen Inder (1)
  6. Michael Meyn: Friss oder stirb!
  7. Michael Meyn: Explosionsgefahr beim Doppelkopf
  8. Elke Schröder: Briefe vom kleinen Inder (2)
  9. Michael Meyn: In der Stille der Nacht
  10. Elke Schröder: Briefe vom kleinen Inder (3)
  11. Michael Meyn: Da waren's nur noch zwei
  12. Elke Schröder: Briefe vom kleinen Inder (4)