Diese Kolumne lässt sich auch hören!

»Über das Jagen von Mäusen« vorgetragen von Philipp Seidel
(Bitte beachten Sie unseren Rechtevorbehalt).

02.02.02

Philipp Seidel

Über das Jagen von Mäusen

Hat man als ungebetene Gäste Mäuse im Haus, die lautstark an Dingen knabbern, wenn eigentlich Nachtruhe angezeigt wäre, müssen die Mäuse gehen. Dies zu erreichen, ist nicht leicht, weil Mäuse nicht der Menschen Sprache sprechen und auf drohende Zeigefinger nicht oder nur auf unbefriedigende Weise reagieren. Ein Erfahrungsbericht.

"Maus, in diesem Haus ist nicht genug Platz für uns zwei. Ich wünsche, daß du gehst." Dies hört die Maus wohl, sie bleibt aber trotzdem. Die Nächte, in denen sich die Kleine durch lautstarkes Knabbern an nicht zu ortenden Gegenständen bemerkbar macht, dauern an. Nach einigen Tagen versucht man, die Maus mit den Händen zu fangen. Man greift zu. Sie läuft lachend weg. Man geht in die Kneipe und trinkt ein Bier. Wieder ein paar Tage später versucht man es mit einer Falle (natürlich mit einer, in der das Tier nicht zu Tode kommt). Die stellt man strategisch günstig auf dem Weg vom Mauseloch zum nächtlichen Tummelplatz – also der ganzen Wohnung – auf.

Illustration von Martin Rathscheck

Illustration von Martin Rathscheck

In den folgenden Nächten spielt sich nun dieses ab: Man geht ins Bett, löscht das Licht und schlummert. Ein Rascheln. Ein Knabbern. Eine Maus. Man macht das Licht an und sieht die Maus im Bücherregal. Man blickt sie an. Sie blickt zurück. Man richtet den Blick auf die fangbereite Falle, in der ein Stück Käse zu riechen beginnt. Man sieht wieder die Maus an. Sie verschwindet hinter Büchern.

Am Morgen wacht man nach unruhiger Nacht auf und findet sich in ein grausiges Ungeziefer verwandelt. Würde Kafka schreiben. Hier aber: Man wacht nach unruhiger Nacht auf und findet die Falle immer noch leer. Und das, obwohl die Maus die ganze Nacht durch den Raum gelatscht ist. Latschen klingt gut für eine Maus. Die Maus muß mehrfach an der Falle vorbeimarschiert sein, um wieder in ihr Loch zu gelangen. Vielleicht mag sie keinen Käse. Also ergänzt man den Käse in der Falle mit einem Stück Lebkuchen. Die Maus kommt nicht. Man legt eine Kirsche dazu. Nichts. Ein Glas Rotwein, den guten für besondere Anlässe. Schinken, Eiscreme, Nudeln. Trüffel, Bonbons und Lachsröllchen; schließlich – schmunzelnd! – Filet vom Mäusebussard. Sie geht nicht rein. Dafür drücken sich die Passanten die Nase an der Scheibe platt und reiben sich die Bäuche.

Eines Nachts erwischt man die Maus beim zufälligen Einschalten des Lichts. Sie sitzt vor der Falle und betrachtet das Mäusemahl. Man starrt sie an. Sie starrt zurück. Man sagt: "Geh rein." Sie sagt nichts und geht nicht rein. "Warum gehst du nicht rein?" Sie schweigt und guckt. "Willst du etwas Anderes?" Sie guckt mit ihren Kulleraugen, wackelt mit dem Kopf und geht in ihre Höhle. Zurück bleiben Mäuseködel und ein Haufen Nahrung, der den Wert eines Monatsgehaltes hat und vernehmlich zu riechen beginnt.

Draußen wird es Frühling, und die Maus wird gehen, wenn ihr danach ist. Man soll sie nicht drängen. Schließlich wohnt sie auch hier.