22.06.07

Philipp Seidel

Meldungen aus München (6)

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»Meldungen aus München (6)« gesprochen von Philipp Seidel.
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Ich habe mal eine Amsel beim Sonnenbad erwischt. Ehrlich. Es war Sommer in München, und die Amsel saß mit ausgestreckten Flügeln und gespreizten Federn auf dem Boden vor einem Wohnblock. Den Blick hatte sie leicht entrückt gen Himmel gerichtet, und sie brauchte eine Weile, bis sie bemerkte, daß sie beobachtet wurde. Da schreckte sie hoch, raffte ihr Federkleid zusammen und verschwand unter einem Busch. Dann kam sie wieder hervor, pfiff vor sich hin und tat, als sei nichts gewesen. Dann marschierte sie weg.

Schade, daß ich kein Ornithologe bin, dachte ich. Für einen Vogelkundler wäre der Anblick einer sich leicht entrückt sonnenden Amsel das, was für einen normalen Mann der unverhoffte Anblick einer sich nackt sonnenden Jennifer Aniston ist. Aber Jennifer Aniston sonnt sich nicht unter Büschen in Münchner Wohnblock-Vorgärten. Und wenn sie es wirklich machte, würde mir niemand glauben, daß ich sie dabei gesehen habe. »Ich habe Jennifer Aniston gesehen«, sagte ich. »Sie hat sich vor einem Mehrfamilienhaus in München gesonnt. Als sie mich bemerkt hat, ist sie unter einem Busch verschwunden.« »Ist schon recht«, hieße es dann von allen Seiten, und plötzlich stünde ich recht allein auf dem Marktplatz, auf dem sich eben noch die Massen drängten.

Dann dachte ich: Mit der Amselgeschichte kann man bestimmt die Frauenherzen gewinnen, wenn man nur den Teil mit Jennifer Aniston nicht erwähnt. Aber niemand will die Geschichte von der sonnenbadenden Amsel hören. Keine Frau findet Amseln süß genug, um dafür ihr Herz herzugeben. Da müsse es schon ein Papagei oder eine Eule sein, sagen die Frauen, zucken mit den Schultern und sind weg. »Oder wenigstens was mit Eisbärbabys, so wie Knut«, rufen sie aus der Ferne noch. Doofer Knut.

Nun kann ich mit der Amsel ohnehin einpacken: Eine Frau hat einen Weißkopfseeadler gefangen, mit einem Stück Fleisch und ihrer Jacke. Der Adler, stolzes und vor allem riesiges Wappentier der USA, war seinem Besitzer in Heidelberg weggeflogen, hatte Zwischenstation in Cuxhaven gemacht und ist dann nach Großenbrode an der Ostsee weitergeflogen. Ich machte gerade Urlaub in der Gegend. Jemand hat die Frau angerufen, sie hat sich ein Stück Fleisch und ihre Jacke geschnappt und ist zum Adler marschiert. Dann hat sie ihn mit dem Fleisch angelockt und in der Jacke gefangen.

Nun reden alle nur noch von der Frau mit ihrem norddeutschen Weißkopfseeadler. Wahrscheinlich stehen die Männer vor ihrer Tür Schlange. Und ich stehe da mit meiner bayerischen Amsel, der Weißwurst-Binnenlandamsel.