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»Sind rosane T-Shirts und lilane Leggins erlaubt?« vorgetragen von Bastian Sick. Live-Aufzeichnung von Schloss Ippenburg bei Bad Essen vom 16. Juni 2005. Musik von Christian Bruhn. Nur bei kolumnen.de.
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Wie sagt man richtig: orange Blüten, orangene Blüten oder orangefarbene Blüten? Sind rosane T-Shirts und lilane Leggins erlaubt? Kann man beige deklinieren? Tauchen Sie mit dem Zwiebelfisch ein in die schillernde Farbenwelt der deutschen Grammatik.
Ein rotes Tuch, ein blaues Band, ein gelber Fleck, ein grüner Punkt, weißere Zähne, braunere Haut, der graueste Himmel, der schwärzeste Tag - die elementaren Farben bereiten uns sprachlich wenig Probleme, sie lassen sich mühelos beugen und steigern. Daneben gibt es jedoch eine Vielzahl von Farbadjektiven, die es in sich haben. Sie sind zumeist von Hauptwörtern abgeleitet: rosa von der Rose, orange von der Orange, oliv von der Olive, lila vom französischen Wort für Flieder, türkis vom gleichnamigen Edelstein, ocker von der Tonerde, cognac vom Weinbrand, mauve von der Malve und viele weitere mehr. Grundfarben gibt es zwar nur wenige, aber Zwischentöne gibt es unendlich viele, und jeder verlangt nach einem Namen.
Der Duden stellt fest, dass diese Adjektive nicht gesteigert werden können und dass man sie standardsprachlich auch nicht beugen darf. Mit anderen Worten: diese Farbadjektive sind steif wie ein Brett und können überhaupt nicht verändert werden. Es heißt demnach nicht »ein oranges Kleid«; es heißt auch nicht »ein orangenes Kleid«. Richtig ist: Ein orange Kleid. Ferner: eine rosa Krawatte, ein lila Hemd. Von rosa und lila abgesehen, werden diese Farbtöne in der Standardsprache nur selten attributiv (das heißt vor dem Hauptwort stehend) gebraucht. Will man sie dennoch dem Hauptwort voranstellen, hilft man sich durch Zusammensetzungen mit -farben oder -farbig. Dadurch geht man der Versuchung aus dem Weg, die Bezeichnungen der Farbtöne zu beugen:
Sie trug eine türkisfarbene Handtasche zu ihrem cremefarbenen Kostüm; die Kinder sprühten orangefarbige Muster auf die türkisfarbige Autotür; seine Schuhe hinterließen cognacfarbene Abdrücke auf dem eierschalenfarbenen Teppich.
Wer »rosane T-Shirts« zu »lilanen Leggins« trägt, bewegt sich nicht nur jenseits der Geschmacksgrenzen, sondern zugleich außerhalb der Standardsprache. Doch Sprache ist zum Glück mehr als Standard und Norm. Es kommt darauf an, wie man sie nutzt. Mit Kreativität und Phantasie lassen sich die Grenzen zwischen Umgangssprache und Standard spielend überwinden. Vor einiger Zeit erhielt ich eine Urlaubskarte mit folgendem Text:
»Das türkise Wasser schäumt, auf Paolos olivem Teint spielen umbrane Schatten, chamoise und aprikosene Segel ziehen vorbei, maracujane Wimpel flattern, die Stadt stellt ihre terrakottanen Fassaden aus und grüßt mit noch orangeren Marquisen als im letzten Jahr.«
Hier wurden alle oben genannten Regeln über den Umgang mit Farbadjektiven missachtet. Und herausgekommen ist ein kleines Stück Poesie. So viel Freiheit muss erlaubt sein, sonst böte unsere Sprache ein tristes Bild, nur Grau in Grau.
Nicht nur in Bezug auf die Grammatik bereiten uns Farbadjektive Probleme. Viel komplizierter verhält es sich mit ihrer genauen Definition. Männer sind bekanntlich keine Experten auf dem Gebiet der Pastelltöne und raten ihren Frauen bisweilen, das rosa Kleid anzuziehen, wenn es in Wahrheit blasslila ist. Dafür kennen sie sich mit Farbtönen von Autolacken umso besser aus und können auf hundert Meter ein arktisweißes Modell von einem polarweißen unterscheiden.
Manche Fragen werden sich nie restlos klären lassen: Wie viel Blau steckt in Türkis? Wie viel Braun gehört zu Beige? Da fällt mir der Ausspruch von Tante Lilo aus Elmshorn ein. Wenn in ihrer Gegenwart die Farbe Beige erwähnt wurde, pflegte sie zu sagen: »Beige ist keine Farbe, beige wird's von ganz allein.«
Diese Kolumne finden Sie – leicht variiert – auch in Bastian Sicks Bestseller »Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod«.