Diese Kolumne lässt sich auch hören!
»Italienisch für Anfänger« vorgetragen von Bastian Sick. Live-Aufzeichnung von Schloss Ippenburg bei Bad Essen vom 16. Juni 2005. Nur bei kolumnen.de.
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Da sitzt es, das junge Paar, im gemütlichen »Ristorante Napoli« und studiert die Speisekarte. Kerzenschein, italienische Musik, alles umwerfend romantisch. Der Kellner kommt, um die Bestellung aufzunehmen. Sie macht den Mund auf – da nimmt das Unheil seinen Lauf.
Jeder kennt ihn, den »typischen Italiener« an der Ecke, bei dem man sich so richtig italienisch fühlt. Aus dem Lautsprecher quäkt Al Bano, an der umbrafarbenen Wand hängen Ölbilder von Neapel und Palermo, die Kellner sind klein, robust und flink und heißen Luigi, Sergio oder Alfredo. Die Luft ist geschwängert von Rotwein und Pesto. In einer solchen Atmosphäre regt sich in uns unweigerlich das Bedürfnis, unsere deutsche Identität abzustreifen und die Illusion von »la dolce vita« und »bella Italia« nicht durch falsche Aussprache all der Köstlichkeiten auf der Speisekarte frühzeitig zerplatzen zu lassen.
Sie bestellt einen Insalata mista und die überbackenen Spinat-Gnocchi, wobei sie die dicken Mehllarven »Gnotschi« ausspricht. Da sagt er zu ihr: »Schatz, es heißt nicht Gnotschi, sondern Njokki!« – »Woher willst du das wissen?«, gibt sie leicht pikiert zurück. »Weil das h das c erhärtet, so wie in Pinocchio. Der heißt ja schließlich nicht Pinotschio«, sagt er. Sie schaut zum Kellner auf und lächelt irritiert: »Also gut, dann nehme ich doch lieber die Spaghetti alla rabiata« – »Schatz, es heißt all'arrabbiata«, flüstert er und tätschelt ihre Hand. »Das hab ich doch gesagt!«, erwidert sie gereizt und zieht ihre Hand zurück. »Aber du hast es falsch betont«, sagt er. »Weißt du was?«, sagt sie, »dann bestell du doch das Essen!« – »Wie du willst, mein Schatz! Möchtest du nun die Gnocchi oder die Spaghetti?« – »Ist mir ganz egal.« – »Gut. Dann nehmen wir zwei Insalate miste und zweimal die Njokki.« – »Sehr recht«, sagt der Kellner in fließendem Deutsch und notiert die Order. »Und welchen Wein wollen Sie trinken?« – Der Gast blickt seine Begleiterin an und fragt: »Schatz, welchen Wein möchtest du?« Ihr Blick fliegt über die Karte auf der Suche nach irgendetwas, das ihr bekannt vorkommt. »Tschianti«, sagt sie schließlich, woraufhin er sich zu verbessern beeilt: »Du meinst Kianti!«
Während des Essens ist die Stimmung so lala; aus lauter Angst, etwas Falsches zu sagen, lenkt sie das Gespräch freiwillig auf Themen wie Tennis, Fernsehen und sogar Politik. Beim Nachtisch kommt es dann zur Katastrophe. Als der Kellner fragt, ob sie noch einen Kaffee wünschen, sagt sie zu ihrem Liebsten: »Ach ja, einen Espresso können wir noch trinken, nicht wahr?« Er nickt, woraufhin sie zum Kellner sagt: »Also zwei Espresso, bitte.« Da sagt er zu ihr: »Schatz, es heißt Espressi! Ein Espresso, zwei Espressi.« Sie zieht einen Schmollmund, der Kellner notiert: »Zwei caffè, kommt sofort!« – »Nein, warten Sie, nicht Kaffee, wir wollen zwei Espressi«, stellt er klar. »Sì, sì«, sagt der Kellner, »due caffè! In Italia ist caffè immer ein espresso!« Und mit einem verschmitzten Lächeln fügt er hinzu: »Das, was man in Deutschland unter Kaffee versteht, würde kein Italiener jemals anrühren!«
Den Triumph in ihrem Blick kann er nicht verwinden, und auf dem Nachhauseweg sprechen die beiden kein Wort miteinander.
So kann es kommen, wenn man in typisch deutscher Manier mal wieder besonders vorbildlich sein und alles genau richtig machen will. Dabei sind wir Deutschen so ziemlich das einzige Volk auf der Welt, das sich um korrekte Aussprache fremdländischer Wörter bemüht und vermeintlich falsche, das heißt zu deutsch klingende Aussprache bei anderen kritisiert. Über einen derartigen Eifer können beispielsweise die Franzosen nur verständnislos den Kopf schütteln. Zwar entlehnen auch sie zunehmend häufig Wörter aus dem Englischen, aber einem Nicht-Franzosen fällt dies kaum auf, denn die Franzosen sorgen mit ihrer Aussprache dafür, dass jedes noch so fremde Wort wie ein original französisches klingt.
Schon so manche Hausfrau hat ihren Freundinnen voller Stolz ihre neue »Expresso-Maschine« vorgeführt und ist dafür belächelt worden. Tatsächlich hat sie nichts anderes getan, als ein Fremdwort einzudeutschen. Die leichte Veränderung des Zischlautes hinter dem »E« ist nicht gravierender als bei der Umwandlung der »cigarette« zur »Zigarette«.
Dabei ist es eher peinlich, ein italienisches Wort in einer Weise auszusprechen, die man für italienisch hält, ohne es beweisen zu können. Latte macchiato, der umgekehrte Milchkaffee, wird nicht etwa »latte matschiato« oder »latte matschato« ausgesprochen, sondern »latte mackiato«. Das Wort »macchiato« ist übrigens mit dem deutschen Wort »Makel« verwandt und bedeutet »befleckt«. Ein »caffè macchiato« ist ein (mit Milch) »befleckter« (das heißt gestreckter) Espresso, umgekehrt ist ein »latte macchiato« ein mit Kaffee versetztes Milchgetränk.
Von fast noch größerer Bedeutung als die möglichst authentische Aussprache ist für den Hobby-Italiener die korrekte Bildung der Mehrzahl. Grundsätzlich gilt: Italienische Wörter auf -o erhalten im Plural die Endung -i. Aus einem Cappuccino werden also zwei Cappuccini, aus einem Espresso zwei Espressi. Es ist im Deutschen aber ebenso erlaubt, »Cappuccinos« und »Espressos« zu sagen. Was spräche dagegen – die italienische Grammatik etwa? Seit wann gilt die in Deutschland?
Dass der Wunsch nach korrekter Pluralbildung bisweilen ins Lächerliche kippen kann, beweist das Beispiel der Pizza: Die bunt belegten Teigfladen werden im Italienischen in der Mehrzahl »pizze« genannt, was in den Ohren der meisten Deutschen jedoch ungewohnt klingt. Daher sollte man Abstand nehmen von der Idee, Verkäuferinnen in einem Supermarkt mit dem Wort »Tiefkühlpizze« zu konfrontieren. Hier hat die deutsche Sprache die Mehrzahl nach ihren eigenen Regeln gebildet: Man kann Pizzas sagen oder Pizzen, beides ist richtig.
Viele italienische Spezialitäten befinden sich bereits im Plural, wenn sie bei uns in Deutschland eintreffen. Die oben erwähnten Mehlklößchen zum Beispiel heißen in der Einzahl Gnocco (gesprochen Njokko). Da selten ein Klößchen allein serviert wird, kennen wir sie nur als Gnocchi. Die Annahme, durch Anhängen eines Plural-s ließen sich aus Gnocchi viele, viele »Gnocchis« gewinnen, ist daher nicht korrekt.
Genauso wenig wie einem »Spaghettis« an den Fingern kleben können. Die Einzahl der langen schlanken Nudel lautet spaghetto, demnach ist »Spaghetti« bereits die gemehrte Zahl. Wem das zu spitzfindig ist, der kann auch einfach Nudeln sagen. Mit Deutsch ist man im Zweifelsfall auch beim Italiener richtig beraten.
Unlängst berichtete mir ein befreundeter Jurist von seinem Besuch in einem Restaurant namens »Don Pepito«, das er an jenem Abend zum ersten Mal betrat. Und wohl auch zum letzten Mal, denn es stimmte einiges nicht mit diesem »original italienischen Ristorante«. Auf der Karte gab es Crevetten mit »Advocato«, was ihn als Anwalt gleich misstrauisch stimmte. Die Tortellini gab es wahlweise vegetarisch und »con cane«, was allerdings nicht »mit Fleisch« (con carne), sondern »mit Hund« bedeutet. Der Milchkaffee schließlich wurde als »Cappucchino« angeboten – und müsste nach italienischen Regeln »Kapukino« ausgesprochen werden. Wie sich herausstellte, war die Bedienung ein fröhlicher Mix aus Türken und Kroaten, die Bilder an der Wand zeigten Balkan-Idylle, und die Musik aus dem Lautsprecher war nicht Al Bano, sondern albanisch. Allein das Lächeln, mit dem »Don Pepito« die Rechnung präsentierte, hatte etwas »unverwechselbar Sizilianisches«. »Wie ein waschechter Mafiosi«, schloss der Freund seinen Bericht und verbesserte sich sogleich: »Wie ein Mafioso.«
Diese Kolumne finden Sie – leicht variiert – auch in Bastian Sicks Bestseller »Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod«.