24.08.07

Bastian Sick

Schweizgebadet

»Ist das wahr«, fragt mein Freund Henry mich, »du fährst jetzt mit deiner Schau auch noch in die Schweiz?« – »Ja«, erwidere ich stolz, »nach Basel, Bern und Zürich! Darauf freue ich mich schon wie verrückt!« – »Und was wirst du da machen? Das Gleiche wie hier, oder passt du das Programm den Schweizer Gewohnheiten irgendwie an?« – »Also, wir haben die Eintrittspreise drastisch erhöht«, sage ich, »aber sonst ist das Programm das gleiche wie in Deutschland.« Henry ist skeptisch: »Ich kann mir nicht vorstellen«, sagt er, »dass man sich dort für unsere sprachlichen Probleme interessiert. Die Schweizer haben schließlich ganz andere Sorgen. Die sprechen doch gar nicht unsere Sprache!« Das ist eine von Henrys typischen Übertreibungen. »64 Prozent aller Schweizer sind deutschsprachig«, stelle ich klar. »Tatsächlich?«, sagt Henry mit gespieltem Erstaunen. »das sind ja mehr als bei uns in Deutschland!« – »Wie kommst du darauf?«, frage ich. »Nun ja«, antwortet Henry, »wenn man die Baden-Württemberger abzieht, die ja selbst von sich behaupten, alles zu können außer Hochdeutsch, ferner die Bayern, die Franken, die Saarländer, die Pfälzer und die Hessen, dann bleiben – grob geschätzt – knapp 50 Prozent!« – »Du hast das Rheinland vergessen«, sage ich. Henry nickt und berichtigt: »Vierzig Prozent!«

»Aber jetzt mal im Ernst«, sagt er, »die Schweizer sprechen wirklich eine andere Sprache!« – »Ich weiß«, sage ich, »Schwyzzerdüütsch – das ist bekannt. Aber in der Schule lernen sie doch Hochdeutsch!« – »Glaub nicht, dass man sie deswegen auch verstehen kann«, warnt Henry und raunt: »Das Hochdeutsch der Schweizer ist gespickt mit Helvetismen...«
Helvetismen – davon habe ich auch schon gehört. So nennt man spezielle Ausdrücke, die nur in der Schweizer Standardsprache vorkommen. Es kann sich auch um grammatische und orthografische Besonderheiten handeln, wie zum Beispiel die Schreibweise mit Doppel-s anstelle des scharfen S. Wo der Deutsche sich bemüht, in Maßen zu trinken, da trinkt der Schweizer konsequent in Massen.
Das ist aber gewissermassen nur ein kosmetischer Unterschied. Die meisten Helvetismen betreffen das Vokabular, und das sind nicht gerade wenig! Die Liste der typisch schweizerischen Ausdrücke ist endlos lang.

Viele stammen aus dem Französischen, so wie das Lavabo (Waschbecken), die Papeterie (Schreibwarenhandlung) und der Pneu (Autoreifen). Wer ein wenig Französisch kann, dem werden diese Wörter keine Schwierigkeiten bereiten. Aber Obacht, im Umgang mit Schweizern kann man sich nicht immer auf seine Schulkenntnisse verlassen. Einige französische Wörter wurden von den Schweizern liebevoll verfremdet. Der Redakteur einer Schweizer Tageszeitung, der sich mit mir vor einigen Wochen zu einem Interview traf, stellte sich mir als Redaktor vor, mit Betonung auf der zweiten Silbe. Wir führten ein sehr interessantes Gespräch, in dem es hauptsächlich ums Essen ging. Ich erfuhr, dass die Schweizer nicht nur sehr gut essen, sondern auch sehr oft, und zwar vom Zmorge (Frühstück) über das Znüni (Zweites Frühstück), das Zmittag (Mittagessen) und das Zvieri (Mahlzeit am Nachmittag) bis zum Znacht (Abendessen). (Tun die überhaupt noch was anderes außer essen?) Dass die meisten Nahrungsmittel in der Schweiz einen anderen Namen haben (mindestens einen), darauf war ich gefasst, denn schon innerhalb Deutschlands ist der Speiseplan alles andere als einheitlich. Dass der Pfifferling ein Eierschwämmli und die Walnuss eine Baumnuss ist – damit kann man sich rasch anfreunden. Wer jedoch in der Schweiz einen italienischen Vorspeisenteller »ohne Peperoni« bestellt, dem kann es passieren, dass er einen Vorspeisenteller mit Peperoni bekommt – dafür ohne Paprika. Das, was der Deutsche unter einer Peperoni versteht, ist für den Schweizer – wie übrigens auch für den Italiener – ein Peperoncini. Das Wort Peperoni verwendet der Schweizer hingegen für das, was bei uns der oder die Paprika ist, also das gelb-rot-grüne Gemüse. Das Wort Paprika kennt der Schweizer auch, doch das wiederum gebraucht er nur für das Paprikagewürz. Die Peperoni ist also keine Peperoni. Und auch die Zucchini ist keine Zucchini, sondern eine Zucchetti. Sehr kompliziert, das alles. Man sollte in der Schweiz besser nicht italienisch essen gehen.

Man sollte in der Schweiz auch nicht Auto fahren. In der Schweiz kann man nämlich nirgendwo parken. Die Schweizer parkieren. Sie halten auch nicht vor Ampeln, sondern vor Rotlichtern. Und sie fahren das Auto nur dann in die Garage, wenn es kaputt ist, denn Garage ist im Schweizerischen eine Autowerkstatt. Wer sich wagemutig in den Zürcher Straßenverkehr stürzt, muss auf alles Mögliche Acht geben: auf Velos, Töffs, Töffli, auf andere PW, auf Camione, Cars und natürlich auf das Tram. Also auf Fahrräder, Motorräder, Mofas, auf andere Pkw, auf Lastwagen, Reisebusse und natürlich auf die Straßenbahn. Da ist es doch bequemer, einfach im Straßencafé sitzen zu bleiben und den Verkehr an sich vorüberziehen zu lassen. Man sollte sich allerdings vorher vergewissern, dass man genügend Franken in der Tasche hat. Oder im Sack.

Denn wo der Deutsche in die Tasche greift, da langt der Schweizer in den Sack. Das berühmte Schweizer Taschenmesser ist gar kein Taschenmesser, sondern ein Sackmesser. Jedenfalls für den Schweizer. Und Kinder bekommen kein Taschengeld, sondern ein Sackgeld. (Das dürfen unsere Kinder hier nie erfahren, sonst wollen die alle in die Schweiz, wo es Säcke voller Geld gibt!) Wer nun glaubt, das Prinzip verstanden zu haben, und das deutsche Taschentuch mit Sacktuch übersetzt, der fällt voll auf die Nase, denn zum Taschentuch sagt der Schweizer Nastuech.

Foto: Schild 'Brötli'

Seien Sie nicht geschoggt: Das Brötli ist ganz harmlos! Und lecker außerdem.

Foto von Bastian Sick

»Glaub mir, die deutsch-schweizerische Geschichte ist eine Geschichte voller Missverständnisse«, sagt Henry, »ich habe da meine Erfahrungen!« Als Student war er mal einen Sommer lang mit einer Schweizerin zusammen. Sie hieß auch noch Heidi. Henry meinte, ihr korrektes Hochdeutsch beibringen zu müssen, und verbesserte sie in einem fort, weshalb wir ihn schon spöttisch das Fräulein Rottenmeier nannten. Wenn Heidi zum Beispiel sagte, sie habe etwas »am Radio« gehört, dann sah Henry nach, ob sich hinter dem Gerät womöglich eine Maus versteckt hatte. Wenn Henry ihr erklärte, wie es auf Hochdeutsch heiße, zuckte sie nur mit den Schultern: »Na und? Ich bin mich halt gewohnt, es so zu sagen!« Und überhaupt sei er ein ziemlicher Tüpflischisser.
Heidi stellte viele Fragen, mit denen sie Henry regelmäßig verwirrte. Ob er es kalt habe. Ob sie mal eben ein Telefon machen könne. Ob er was dagegen habe, wenn sie mit ihrem Trainer (1) ins Bett gehe.

Apropos Sport. »Weißt du, was ein Fußballspiel auf Schweizerisch ist?«, fragt Henry mich. »Ein Tschutimatsch! Ich bitte dich, das kann man doch nicht ernst nehmen!« – »Na und?«, entgegne ich, »dafür sind die Schweizer im Fußball nicht schlecht!« – »Das stimmt«, räumt Henry ein und fügt mit leicht verklärtem Blick hinzu: »Und in der Liebe sind sie auch nicht schlecht.«

Am Ende des Sommers war es mit der Liebe dann aber vorbei, und Heidi gab Henry den Laufpass. Sie meinte, er habe sein Heu nicht auf derselben Bühne mit ihr. »Heu auf der Bühne?«, frage ich nach, »bist du sicher? Mein Auftritt in der Schweiz verspricht dann ja wirklich ein besonderes Erlebnis zu werden!« – »Mach dich auf einiges gefasst!«, sagt Henry, »in der Schweiz ist es sauglatt!« – »Aber doch nicht mehr jetzt im Frühling!«, protestiere ich. Henry winkt ab: »Ich sehe schon, du musst noch viel lernen! Aber früher oder später wird dir der Knopf aufgehen!«

In der Nacht träume ich, ich stehe auf der Bühne zwischen lauter Heuballen, bei jedem Schritt drohe ich auszurutschen, denn es ist überall sauglatt, und am Ende bemerke ich, dass mir die Hose offensteht, denn mir ist der Knopf aufgegangen. Schweizgebadet wache ich auf.

[1] Trainer = schweizerisch auch für Trainingshose