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»Brutalstmöglichst gesteigerter Superlativissimus« vorgetragen von Bastian Sick. Live-Aufzeichnung von Schloss Ippenburg bei Bad Essen vom 16. Juni 2005. Musik von Christian Bruhn. Nur bei kolumnen.de.
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25.10.06

Bastian Sick

Brutalstmöglichst gesteigerter Superlativissimus

Darf's vielleicht ein bisschen mehr sein? Wenn Politik und Werbung Versprechungen machen, dann lassen sie sich nicht lumpen, da wird aus dem Optimalen noch das Optimalste herausgequetscht. Die Superlativierungs-Euphorie kennt keine Gnade, dafür umso mehr sprachliche Missgeschicke.

Schon als Kind bekam man beigebracht, dass man »das einzige« nicht steigern könne. »Das einzigste« gab's nicht. Das ging einfach nicht. War nicht korrekt. Denn »das einzige« war schon wenig genug, »das einzigste« folglich Unfug. Die Eltern haben's verbessert, der Lehrer hat's rot angestrichen.

Die Schulzeit ging vorbei, die Wege trennten sich, die einen gingen in die Werbung, die anderen in den Journalismus, und wer für beides nicht taugte, der versuchte sich in der Politik. Hier wie dort wurden die Ermahnungen der Lehrer schnell vergessen, denn man begriff, dass es ohne falsche Superlative nicht geht. Immer sollte man kreativ sein oder innovativ, das lässt sich auf Dauer ohne Drogen und super, super, Superlative nicht bewerkstelligen.

Und was gibt es nicht alles für verrückt steigerbare Wörter! Der totale Krieg war gestern, heute herrscht der totalste Wahnsinn! »Deutschlands meiste Kreditkarte« war sicherlich nur ein Slogan, der bewusst provozierend mit der Sprache spielte. Ob alle, die mit diesem lockeren Spruch bombardiert wurden, das auch so verstanden haben, muss dahingestellt bleiben. Das Bedürfnis, Wörter zu steigern, die sich eigentlich nicht steigern lassen, ist jedenfalls »enormst«. Nehmen wir uns nur ein Beispiel an jenem Rennfahrer in Monte Carlo, der die denkwürdigen Worte sprach: »Gewinnen ist das Maximalste.« Das könnte übrigens auch als Motto in goldenen Lettern über dem Eingang des dortigen Casinos stehen.

Manche Momente sind zu schön, um einfach nur perfekt zu sein; für sie wurde die Steigerung zum »perfektesten Moment« erfunden. Und wo wäre die Auto fahrende Bevölkerung ohne »aktuellste Verkehrshinweise«? Vermutlich völligst hinterm Mond. Doch das ist noch gar nichts gegen die Steigerungsfähigkeit des kleinen Wörtchens »optimal«. Wenn es darum geht, Menschen von irgendetwas zu überzeugen, dann ist das Beste einfach nicht bestens genug. Vom Berliner Finanzsenator bis zum Schweizer Verkehrsminister sind alle emsigst auf der Suche nach dem übersteigerten Optimum: So lautet die Vorgabe für den Berliner Haushalt, die »finanziell optimalste Lösung zu finden«, und ein Vertrag mit Deutschland über die Luftüberwachung wird zur »optimalsten Lösung für die Schweiz«.

Was die Politik kann, kann die Werbung schon lange: »Dies alles garantiert Ihnen beste Beratung und optimalsten Service«, behauptet ein Schweizer Optiker im Internet. Und dabei ist er noch bescheiden, denn man hätte, mit ein bisschen Phantasie, den Bogen durchaus noch weiter spannen können, zur »bestmöglichen Beratung« zum Beispiel, wenn nicht gar zur »idealsten«.

Dabei bedeutet »optimal« nichts weiter als »das Beste im Rahmen der Möglichkeiten«, und das kann manchmal sehr wenig sein. Optimal ist nicht dasselbe wie perfekt, und die Steigerung zu »optimalst« macht es nicht besser. In keinster Weise.

Diverse Computer-Anbieter werben mit der angeblich »optimalsten Hardware«, sinnieren öffentlich über die »optimalste Systemanpassung« und die »optimalste Datenübertragungsrate«. Eine Firma verspricht sogar die »optimalste, effizienteste und möglichst kostengünstigste Lösung«; da fühlt man sich als Kunde vom König zum Königst befördert.

Apropos König: Schon Ludwig XIV., Frankreichs »L'Etat c'est moi«-Regent, herrschte ja nicht bloß absolut, sondern absolutistisch. Beim Anhängen der Silbe »-istisch« handelt es sich zwar im strengen grammatischen Sinne nicht um eine Steigerung, sondern bloß um eine Ableitung, doch für unser Ohr hört es sich nach »mehr« an. In Zeiten von terroristischen Anschlägen durch Glaubenseiferer wird das »-istisch« gern verwendet, um das Böse, Gefährliche, Unberechenbare zu markieren. Manchem Schreiber ist ein -istisch nicht genug, er geht lieber auf Nummer sicher und verdoppelt den Effekt, auch wenn meistens keine sprachliche Notwendigkeit dazu besteht. Denn was ist, abgesehen von ein paar zusätzlichen Silben, der Unterschied zwischen einem fundamental-islamischen Extremisten und einem fundamentalistischen islamistischen Extremisten? Eines ist immerhin erwiesen: Wörter auf »-istisch« lösen Alarm aus, da gehen die Leser instinktiv in Deckung.

Das tun sie natürlich auch beim Super-GAU, aber nicht beim stinknormalen GAU. Ohne den Super-Vorsatz vermag der »größte anzunehmende Unfall« heute offenbar niemandem mehr Angst einzuflößen. Kein Wunder, denn bei all den Hyper-, Ultra- und Megalativen in der Werbung und im Infotainment ist man gegen steigerungsfreie Ankündigungen ganz normaler Katastrophen schon völlig immun.

Dass sich auch der Super-GAU noch steigern lässt und die Mitte ungefähr dort liegt, wo es am zentralsten ist, führt uns der CDU-Politiker Karl-Josef Laumann vor Augen. Er sagte der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«: »Das wäre der größte Super-GAU in der Arbeitsmarktpolitik, den ich je erlebt habe. Wir liefen Gefahr, eine der zentralsten Reformen vor die Wand laufen zu lassen.«

Eine Fallgrube, in die immer mal wieder jemand stolpert, ist das aus zwei Teilen, nämlich aus Adjektiv und Partizip, gebildete Attribut. Wie herrlich einfach werden da aus »weit reichenden« Vollmachten erst weitreichendere Vollmachten und schließlich weitreichendste Vollmachten. Die korrekte Steigerung von »weit reichend« lautet indes »weiter reichend«, »weitest reichend«. Unlängst war in der »Tagesschau« zu hören, der Ärmelkanal sei eine der »vielbefahrensten« Seestraßen der Welt, statt »meist befahrenen«. Selbst das eine oder andere angesehene Internet-Nachrichtenmagazin lässt sich gelegentlich dazu hinreißen, über »tiefgehendere« Reformen zu schreiben. Kein Wunder, dass es mit den Reformen nicht richtig vorangeht, wenn der erste Teil des Attributs übersprungen wird und man sich im zweiten verbeißt. Pferde soll man nicht von hinten aufzäumen, und mehrteilige Attribute nicht von hinten steigern!

Im Wissen um diese Fehlerquelle haben die Väter der viel gescholtenen Rechtschreibreform übrigens beschlossen, dass solche Attribute nicht mehr zusammengeschrieben werden. So wurde »weitreichend« zu »weit reichend«, »schwerverständlich« zu »schwer verständlich« und »gutaussehend« zu »gut aussehend«. Damit man nicht mehr so leicht in Versuchung gerät, den falschen Teil zu steigern. Die Regel lautet: »Ist der erste Bestandteil ein Adjektiv, das gesteigert oder erweitert werden kann, dann schreibt man getrennt.«

Dies wird andere aber nicht davon abhalten, weiterhin von höchstqualifiziertesten Bewerbern, meistbesuchtesten Messen und bestangezogensten Filmstars zu sprechen. So bejubelte ein Plattenkritiker in der »Süddeutschen Zeitung« das neue Album eines Rap-Sängers als »eines der schnellstverkauftesten der Popgeschichte«.

Hübsch ist in diesem Zusammenhang auch der Kommentar Heiner Geisslers zur Garderobe seiner Parteivorsitzenden Angela Merkel: »Am besten« sei das klassische unauffällige Kostüm, sagte er, »noch besser der Hosenanzug«. Komparativ als Steigerung des Superlativs, das ist nicht unbedingt logisch, in diesem Fall aber immerhin originell.

Der Erfinder des »brutalstmöglichen« Superlativs überraschte abermals mit einer eigenwilligen Steigerung, die es prompt in den »Hohlspiegel« schaffte: Wer ein Beschäftigungsangebot ablehne, so Roland Koch, müsse mit Sanktionen »bis hin zur vollständigen Streichung« der Sozialhilfe rechnen. »Bei fortgesetzter Weigerung wird die Sozialhilfe noch stärker gekürzt.«

Zuletzt bereicherte auch Hamburgs Erster Bürgermeister Ole von Beust die deutsche Sprache um einen neuen Superlativ: Den Justizsenator Roger Kusch bezeichnete er als einen seiner »langjährigsten« Freunde. Welch ein Prädikat! Glücklich, wer engste, beste, vertrauteste, wertvollste oder älteste Freunde hat. Dem fällt die angemessene Wortwahl sicherlich leichter.

Wer mit Hochstapelei nichts im Sinn hat, wird es begrüßen, wenn nicht alles bis ins Unermesslichste gesteigert wird. Manchmal dient es einer Sache mehr, wenn man auf Komparativ und Superlativ verzichtet und einfach auf dem Teppich bleibt. Den nennen die Grammatikaner übrigens »Positiv«. In diesem Sinne bleibt dem »Zwiebelfisch« nur, auf positivste Zustimmung zu hoffen. Bestmöglichste Grüße!

Diese Kolumne finden Sie – leicht variiert – auch in Bastian Sicks Bestseller »Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod«.