07.10.10

Holger Uhlig

Zwei Tage im Oktober – der 7.

Römtömtöm, römtömtöm. »Wir begrüßen die Werktätigen des Volkseigenen Betriebes Modedruck Gera, die in diesem Jahr eine Produktionssteigerung von 22 Prozent vorzuweisen haben«. Römtömtöm, römtömtöm. Beifall, Fahnenschwenken, die Musik wird lauter, es ist der 7. Oktober, der Nationalfeiertag der DDR.

So oder so ähnlich klang es am Nationalfeiertag der DDR. An jedem 7. Oktober haben sich die Granden gefeiert. Die Politnasen, die Redenhalter und Staatsbediensteten lobhudelten sich die Tasche voll. Wir Schüler mussten früh zum Fahnenappell an die Schule und dann geschlossen am Demonstrationszug teilnehmen. Während die Jüngeren dies auch taten und pflichtschuldig ihre DDR-Fähnchen schwenkten und den Parteifuzzis auf den Tribünen zujubelten, setzten sich die älteren Schüler meist schnell ab. Vor der letzten Tribüne war der Demonstrationszug daher oftmals schon deutlich gelichtet.

Parteifunktionäre feierten sich und »ihren« Staat, den Sozialismus und die Freundschaft zur Sowjetunion. Die normalen Bürger feierten einfach so, sie waren froh, einen Tag frei zu haben. Nach der obligatorischen Rotlichtberieselung ging man spätestens mittags zum gemütlichen Teil über. Man traf sich an den diversen Getränkeständen oder im Familienkreis und ließ den Nationalfeiertag mehr oder wenig feuchtfröhlich ausklingen.

Die angebliche Paranoia der Ossis gab es nicht. Es wurden Witze erzählt, unter Bekannten auch politische. Die heute im Fernsehen verbreiteten angeblichen Normalitäten, dass jeder DDR-Bürger ständig von den Vopos gegängelt, von der Stasi ausspioniert und von der Partei indoktriniert wurde, sind ein durch ständiges Wiederholen nicht wahrer werdendes Klischee. Man lebte einfach, man liebte, man fuhr in den Urlaub, wenn auch nicht nach Mallorca. Man feierte, man trauerte, man lebte das normale Leben eben. Allerdings kannte der Bürger der DDR keine Sozialhilfe und auch keine Existenzangst. Er hatte keine Angst, dass er morgen keine Arbeit oder keine Wohnung mehr hatte.

Ja es stimmt, man konnte nicht überall hin reisen.
Ja es stimmt, man konnte nicht alles kaufen.
Ja es stimmt, man durfte nicht alles sagen.
Ja es stimmt, man ging nicht mit jeder Meinung hausieren.
Ja es stimmt, Menschen wurden wegen geringster Vergehen jahrelang inhaftiert.
Ja es stimmt, an der Mauer wurde geschossen.
Ja es stimmt, es gab hunderttausende von IMs.

Dass aber nur paranoide Duckmäuser mit ständiger Angst vor Verhaftung oder Stasiverhören herumliefen, stimmt nicht. Jeder Ossi hat seine persönlichen Erfahrungen gemacht, deshalb ist eine pauschale Beurteilung der DDR auch unmöglich. Für die einen war es der Staat mit viel Sicherheit, für die anderen der mit zuviel Staatssicherheit.

Und dann wurden knapp 17 Millionen Ossis eingemeindet. Alles was DDR ausmachte, wurde und wird vernichtet. Ossis lebten in einem Unrechtsstaat. Sind sie damit auch so etwas wie »Unrechtsbürger«?
Oder warum fühlen sich viele Ostdeutsche als Bürger zweiter Klasse?
Warum nutzt vielen Menschen die Reisefreiheit nichts? Weil sie kein Geld zum reisen haben.
Warum nutzt vielen die Redefreiheit nichts? Weil ihnen keiner zuhört. Ostbürger sind den Kreislauf von arbeitslos und Sozialhilfe noch nicht gewohnt, aber die neue Generation holt auf und gewöhnt sich langsam daran. Der Osten wird westlicher. Während viele aus der Wendegeneration bis heute große Probleme damit haben, nicht mehr gebraucht zu werden, richten sich die Jungen im Sozialhilfeparadies Ost immer besser ein.

Am 9. November 1989 fiel der »Antiimperialistische Schutzwall«. Deutschland wurde danach wiedervereinigt. Viele sagen auch, die DDR wurde angeschlossen. Ja, die DDR wurde aufgelöst, abgeschafft, abgewickelt. Die Lebensrealität von knapp 17 Millionen Menschen wurde in den Ausguss der Geschichte gerührt. Statt Unrechtsstaat gibt's jetzt Demokratie oder sagen wir das, was Westdeutschland für Demokratie hält. Denn wenn man heute sieht, welchen Einfluss Lobbyisten auf die aktuelle Regierung haben, fragt man sich doch, ob der Bürger und als dessen Vertreter der Politiker den Staat regieren und die Gesetze machen, oder die Unternehmen.

Wiedervereinigt? Anschluss! Denn wenn man etwas vereinigt, entsteht etwas drittes, neues. Diese Chance wurde verpasst. Die Chance, auch den Westdeutschen etwas Veränderung zu gewähren, wurde vertan. Die DDR wurde entsorgt. Zehntausende von Fabriken und Produktionsstätten geschlossen oder über die Treuhand verscherbelt. Manager und solche, die sich dafür hielten, kauften diese Konkursmasse auf. In den seltensten Fällen wurden daraus wieder florierende Unternehmungen. Heute haben wir die Kohlschen blühenden Landschaften. In den tausenden ostdeutschen Industriebrachen können sie bewundert werden.

Ist es also falsch, einem Staat zu gedenken, dessen Lenker zwar sehr viel falsch gemacht haben, der aber die Heimat von Millionen Deutschen war? Ist es falsch, der glücklichen Tage zu gedenken? Ist es falsch, der Mauertoten und wegen Lappalien oder »politischer Vergehen« Inhaftierten zu gedenken? Nein. Man hätte vieles ändern können und müssen, das aber wussten die Oberen zu verhindern. Opportunismus ist allerdings kein Kind der DDR. Im SPIEGEL las ich kürzlich: »Opportunismus war in der DDR ein Produkt der Angst vor dem Abstieg, im Westen ein Produkt der Hoffnung auf den Aufstieg.«

Also, liebe ehemaligen Landsleute, feiert den 7. und denkt daran, dass auch im geeinten Deutschland vieles noch verbessert werden kann. Und es ist möglich – auch ohne römtömtöm.