24.08.13

Holger Uhlig

Ich verdufte!

Öffentliche Verkehrsmittel sind ein guter Hörsaalersatz für Psychologiestudenten. Auch für Hobbylauscher sind sie ein Eldorado. Für mich werden sie aber immer mehr zu einem olfaktorischen Hindernislauf.

Man gewöhnt sich an Vieles. An die Dauertelefonierer in der U-Bahn. »Wie, der Mike ist jetzt mit der Melanie zusammen – echt?« Kurze Pause: »Aber der hat doch mit der Janine rumgeknutscht, am letzten Samstag auf der Party«. »Ach so, die ist noch mit Oliver zusammen, deshalb wollte sie auch nichts von ihm«. Telefongespräche über Beziehungen, Ölwechsel, Nachbarschaftsstreit, Abendgarderobe, Besäufniskultur – alles habe ich bis jetzt schon gehört. Auch »Schatz-ich-bin-in-5-Minuten-zu-hause-Telefonate« erfreuen sich anhaltender Beliebtheit. Warum macht man so was? Um zu warnen?
Schick die Geliebte nach hause, ich bin gleich da!
Bring den Müll schnell raus, sonst gibt es Stunk!
Räum die Wohnung auf, wenn das jetzt noch geht!

Ohne diese unterschwelligen Botschaften wäre doch so ein Gespräch wirklich sinnfrei ...

Man gewöhnt sich dran. Auch an hyperneue- oder Vintage-Klingeltöne. An Handys oder MP3-Player, deren Lautstärken mir das Lesen verleiden. Man gewöhnt sich an auf Displays starrende Menschen, die panisch bei jedem Piepsen des Handys dieses eingehend betrachten, als wenn ihr Leben davon abhinge.

Aber an eine neue Finesse des Öffentlichen Personennahverkehrs kann ich mich nicht gewöhnen. Während – meist morgens – Pappbecher mit Kaffee und eventuell mal ein Franzbrötchen (für Nicht-Hamburger – eine ziemlich klebrige Zimtbackware) den Weg in die Bahn schafften, sind es nachmittags schon ganze Menüs.

Gestern, ein Herr in Anzug träufelt Dressing auf seinen Salat. In der Luft lag noch der Geruch eines in Weißgebäck eingepferchten, moulinettierten Tierkadavers – das entsprechende Einwickelpapier dazu lugte aus dem Mülleimer. Dazu schlürfte er eine Cola und es wartete noch ein Eis in der zweiten Tüte. Ein Gestank!

Es gibt unterschiedliche U-Bahn-Snacks, mit verschiedenem Geruchs-Ekelfaktor. Beißender Zwiebelgeruch, gepaart mit Paprika und Röstfleisch – Döner. Richtig schlimm. Die Geruchsoffensive durch indische Zwiebelbällchen in Tandorisoße oder Gyros in der Teigrolle. Etwas besser, aber auch schlimm. Auf jeden Fall habe ich öfters schon Würgereflexe ob des bestialischen Gestankes. Könnt ihr nicht in eurer Kantine essen? Warum sagt das den S-Bahn-Stinkern niemand?

Ich glaube, es scheint niemanden außer mir zu stören. Selbst in der vollen S-Bahn versucht ein Mädchen im Eingangsbereich stehend eine Teigrolle mit weißer Knoblauchsoße, Tomaten, Gurken, Zwiebel und Röstfleisch zu vertilgen. Das ist doch abartig! Dabei fallen in regelmäßigen Abständen Bestandteile der Essrolle zwischen die Beine der Mitfahrer. Ein Geruch! Einfach eklig!

Hier zumindest gab es einige Leute, die nicht darüber amüsiert waren, eventuell mit Soße oder Gemüse bekleckert zu werden. Doch niemand beschwerte sich. Alle schauten bemüht weg. Das gibt's doch nicht, keiner unterbindet dieses S-Bahn-Gefresse. Da muss doch einer mal was sagen! Ich stehe ja leider zu weit weg.

An der Haltestelle drängte ich mich vorsichtig durch die Menschentraube an der Esserin vorbei nach draußen. Als die Tür sich schloss, leerte sich der Eingangsbereich trotz der überfüllten Bahn deutlich, ich sah in angewiderte, fast schmerzverzerrte Gesichter.

Das habt ihr euch verdient, dachte ich mir. Es gab heute in der Kantine Gyros, mit Zwiebeln. Mit viel Zwiebeln.