Zertifikat
Christoph Wesemann
Andere in meinem Alter haben mindestens drei Zertifikate, und natürlich von Eliteuniversitäten irgendwo an der Ostküste der Vereinigten Staaten oder aus einem englischen Städtchen, wo Internatsschnösel gern mal betrunken in eine olle Uniform steigen. Mein Zertifikat stammt aus einer Seitenstraße von Buenos Aires: Fiatautohaus, ein paar Frisöre, Cafés, Kioske, Computerramsch, Eisenwarenhandlung – und dazwischen meine Sprachschule. Und wenn Sie sich fragen, warum ich Journalist bin: auch deshalb.
Heute habe ich meinen vierwöchigen Spanischkurs beendet. Mein alter Lehrer Joaquín war übrigens nach drei Wochen mit mir als Schüler ausgefallen. Hatte sich angeblich erkältet. Aber es ist ja alles psychosomatisch heutzutage. So hatte ich – mit einer Polin und einer Belgierin – seit Montag Unterricht bei Estefana. Ich habe mich ein bisschen mehr angestrengt, was ich damit erkläre, dass Joaquín mir ähnlich sieht und Estefana Shakira.
Zum Abschluss gab es eine eineinhalbstündige Klassenarbeit. Und? Sieg für Deutschland. 87 Punkte (von 100). Polen (85) und Belgien (65) ohne Chance.
Besonders viele Punkte gab es für meine Kurzgeschichte. Beachten Sie bitte das Wortspiel am Ende; das ist muy porteño. Wenn ein Tag mierda ist, aber man das Wort nicht aussprechen will, sagt man hier miercoles, also Mittwoch. Mit Wörterbuch und mehr Zeit hätte ich die Erzählung noch ausgeschmückt, ich habe sie Estefana trotzdem als Werk auf dem Niveau von »Hundert Jahre Einsamkeit« angekündigt. Auch diese Unbescheidenheit ist übrigens: muy porteño.
Hace dos meses que estoy en Buenos Aires. Y mi vida es otra – por las porteñas. Toda la semana pasada salía de mi casa a las 9. Y siempre muchas mujeres me esparaban a mí y me saludaban. Estaban las chicas más lindas con los cuelos más perfectos (muy graaaaaaaandes.) Me amaban. La unitad de ellas lloraban por mí. Y una chica me dijo ayer: »¡Hazme un niño!«
Le dije: »Me gustaría. Pero hay un problema: mi jefa.«
»Mi amor, hay muchos problemos en mi país«, me explicó. »Y para todos problemas hay una solución.«
Le dije que me haría islamico y así podría tener más de una esposa. Me contestó que quería estar juntas conmigo a pesar de eso. La mire y a su culo también. En ese momento me dí cuenta del quilombo en mi cabeza. De repente hacía calor. Quería decirle algo – pero escuché una voz conocida:
»Mi gordito, ya son las 6 de la mañana. Tenés que despertarte. Los niños tienen hambre. Y en el balde hay mucha basura.«
»¿Oh, es miercoles hoy?«, le pregunté.
Die Übersetzung:
Ich bin seit zwei Monaten in Buenos Aires. Und mein Leben ist hier anders – wegen der porteñas. Die ganze vergangene Woche habe ich das Haus um 9 Uhr verlassen. Und immer warteten Frauen auf mich und begrüßten mich. Es waren die schönsten Mädchen mit den perfektesten Hintern (sehr grooooooß). Sie liebten mich. Die Hälfte von ihnen weinte auch meinetwegen. Gestern hat mir ein Mädchen gesagt: »Mach mir ein Kind!«
»Würde ich gern, aber es gibt ein Problem: meine Chefin.«
»Mi amor, in meinem Land gibt es viele Probleme«, erklärte sie. »Und es gibt für alle Probleme eine Lösung.«
Ich sagte ihr, ich wäre Muslime und könnte deshalb mehrere Frauen haben, und sie antwortete, sie würde mit mir von nun an zusammensein wollen. Ich schaute sie an und auch ihren Po. In diesem Augenblick bemerkte ich das Chaos in meinem Kopf. Und eine Hitze war das auf einmal. Ich wollte ihr gerade etwas sagen – aber ich hörte eine vertraute Stimme: »Mein Dickerchen, es ist schon sechs Uhr. Du musst aufwachen. Die Kinder haben Hunger. Und der Mülleimer ist auch voll.«
»Oh, ist heute Mittwoch?«, fragte ich.
Noch am Mittwoch hatte ich versucht, Estefana für einen Freund in Deutschland zu begeistern. Sie war prinzipiell interessiert, stellte aber drei Fragen: Ist er blond? Hat er Geld? Ist er Single?
Ich habe zum Wohle der deutsch-argentinischen Liebe alle drei Fragen bejaht (also gelogen) und danach Estefana herunter gehandelt: Wenn der Freund Geld hat, braucht er nicht mehr blond zu sein. Sollten demnächst im Großraum Berlin zwei oder auch drei Banken überfallen werden, bitte ich darum, dicht zu halten.
(Erwachsen werde ich demnächst. Vielleicht.)