24.09.08

Christoph Wesemann

Ich leg Oleg um

Hasst eigentlich irgendjemand meinen Freund Oleg? Mir haben Frauen geschrieben, sie wollten ihn unbedingt und so schnell wie möglich kennen lernen. »Oleg ist so süß«, schrieb eine Dame, es stand sogar in der Betreffzeile ihrer Mail. Eine andere teilte mit: »Kolumne gut, Oleg heiß. Aua, schon wieder verbrannt!« Ich hätte es Oleg nicht erzählen dürfen, das ist für jeden Mann zu viel, ich habe es aber getan. Mir ist das nach dem zweiten Caipirinha einfach so rausgerutscht, obwohl ich nicht betrunken war. Mich ruiniert in Odessa die Sprite, die in vielen Bars statt Wasser auf die Limetten und das Eis gegossen wird. Ich habe Sprite noch nie vertragen.

Es war leichtsinnig von mir. Ich habe auch übertrieben, ich bin Journalist, mein Gott, ich wollte nur Meinungsmacht demonstrieren, ich habe sogar ein bisschen geschrien oder jedenfalls ziemlich laut gesprochen. Es waren genau zwei Frauen, die mir ausschließlich wegen Oleg geschrieben haben, und von der einen weiß ich ganz sicher, dass sie in festen Händen ist. Die andere ist auch immer in Händen, allerdings in nicht so festen, sie wechseln sehr oft.

Als ich merkte, dass Oleg das nicht verkraftet, habe ich versucht, das Thema zu wechseln. Ich erzählte, ich hätte zuletzt in einer Stadt gearbeitet, in der ein Oberbürgermeisterkandidat gerade dummes Zeug über Homosexuelle gesagt habe. Der Mann hat Schwule sehr direkt mit Aids in Verbindung gebracht und diesen Spruch mit der Seife gemacht, vielleicht hat er die Bundeswehr nicht verkraftet, ich kenne ihn nicht persönlich. Danach wollte er sich entschuldigen und machte alles noch schlimmer, indem er berichtete, er habe doch Freddie Mercury auch geliebt und schätze die Meinung vieler Männer, die schwul seien. Er kramte alles raus, was Herr Spießbürger für tuntig hält und meidet. Er schmiss sich richtig ran und strich den schönsten Satz später aus seiner Entschuldigung: »Am Samstag war ich mit einem Freund nackig im See schwimmen.«

Doch Oleg hatte nicht einmal zugehört. Er war noch ganz bei den Frauen. Jetzt besteht er darauf, dass er in mindestens jeder zweiten Kolumne auftritt, die ich veröffentliche. Ich soll es ihm schriftlich geben. Er will auch ein Zitathonorar, er verlangt eine Griwna pro Wort, das nachweislich er spricht.

Gestern Nacht habe ich geträumt, ich sei im Fernsehen. Die Moderatorin begrüßte mich und sagte: »Wenn ich Ihnen vor einem Jahr gesagt hätte, Sie wären heute der erfolgreichste Kolumnist Deutschlands und der Blogger – ich übersetze das mal mit journalistisch angehauchter Schreiber im Internet – , der Blogger mit den meisten Page-Impressions, also sehr vielen Lesern, was hätten Sie mir geantwortet?«
»Zunächst hätte ich Ihnen erklärt, dass dieser Satz für eine Einstiegsfrage kurz vor Mitternacht zu lang sein könnte«, sagte mein Traum-Ich. »Danach hätte ich geantwortet: Jetzt sind wir schon zwei, die das glauben.« Niemand lachte.

Die restlichen zehn Minuten gehörten Oleg. Die Moderatorin erzählte, die Redakteure hätten alles versucht, »diesen Liebling so vieler deutscher Frauen« einzuladen. An dieser Stelle gab es Beifall. Doch Oleg habe abgelehnt und gesagt: »Bei Ihrer Gesprächsrunde handelt es sich um eine Sendung im dritten Programm. Die kann der Kolumnist schön alleine machen. Zu »Wetten, dass...?« würde ich gehen, aber auch nur, wenn Jennifer Lopez käme.« Die Leute fanden das nicht arrogant, sondern witzig. Ich wollte das Thema wechseln und versuchte mich an den Oberbürgermeisterkandidaten zu erinnern, der vor einem Jahr irgendetwas Gemeines über Homosexuelle ... Doch die Moderatorin fragte weiter nach Oleg. Oleg war nicht mehr mein Freund, ich war der Freund von Oleg.

Vor ein paar Minuten habe ich Oleg erklärt, ich könne ihm nicht eine Griwna pro Wort zahlen, das sei nicht refinanzierbar für mich, ich müsste meine Kosten auf die Leser umlegen. Und ich weiß, dass ein solches Verfahren immer Ärger macht, ich habe früher als Reporter in der Provinz oft darüber berichtet. Die Stadt baut einen neuen Bürgersteig und legt um auf die Hausbesitzer, und die wiederum legen um auf die Mieter. Alles wird in Deutschland umgelegt: Abwasserleitungen, Klärwerke, sogar Trauerhallen.

Oleg sagte nur, ehe er die Verhandlungen abbrach: »Leg um, wen du willst. Du bist nichts ohne mich. Das ist die Wahrheit.«

Seine letzten vierzehn Wörter würden mich 14 Griwen kosten, das sind zwei Euro. Wenn Oleg nicht noch ein günstigeres Angebot unterbreitet, schmeiße ich ihn raus.