11.03.08

Katrin Wiegand

Obst statt Terroristen

Früher war alles besser.
Nein.
War es natürlich nicht. Ein Blick auf alte Photos und die Frisuren- und Bekleidungsauswüchse beispielsweise der Achtziger macht es sofort deutlich. Warum hat einem niemand das neon-pinkfarbene Sweatshirt vom Leib gerissen? Auch wenn ich Knibbelbildern in Colaverschlüssen und dem selbstverständlichen Gebrauch von Schallplatten hinterher trauere, ist mir schon klar, dass nicht alles besser war früher.
Aber einiges schon.

Früher wurde man mehr in Ruhe gelassen. Damit meine ich nicht den Erreichbarkeitszwang im E-Mail- und Handyzeitalter, dem habe ich mich ja völlig hingegeben. (Möchten Sie meine Handynummer? Ich hab' übrigens auch ICQ ...)

Ich rede von ganz simplen Dingen wie zum Beispiel dem Vorgang des Einkaufens. Früher ging man beispielsweise zur Post ... ach nein, richtig, früher ging man zum PostAMT. Was für ein Klang aus längst vergangenen Zeiten. Postamt, das klingt nach »drei Programme im Fernsehen« und »Bonbons in der runden Holzdose auf Omas Wohnzimmertisch«.
Aber ich schweife ab.

Jedenfalls ging man zum Postamt, weil man einen Brief abgeben oder ein Paket abholen wollte, man kaufte Briefmarken und ... verließ dann die Post wieder.
Wunderbar.
Zwar musste man sich vorher gefühlte acht Stunden in der Schlange anstellen und wurde dann äußerst wortkarg vom muffeligen Beamten hinter dem Schalter bedient, aber ach, wie glückselig war diese Zeit.

Anders heute: Schon beim Betreten der Filiale fällt einem der Unterschied ins Auge: auf den ersten Blick denkt man, irrtümlich in ein Schreibwarengeschäft mit penetrantem gelben Anstrich geraten zu sein. Wo man früher eventuell Postkarten und die Standard-Pakete erwerben und an der Wand das Terroristenfahndungsplakat bewundern konnte, muss man sich heute erst an überladenen Verkaufsregalen vorbeidrängeln, in denen vom Tesafilm bis zum peppigen Plastikordner mit Obst-Aufdruck alles verkauft wird, was man mit viel Phantasie in einem Büro oder Arbeitszimmer unterbringen könnte.
Nächste Neuerung: man hat nicht mehr die Wahl zwischen den verschiedenen Schlangen an den Schaltern. Somit fällt die Spannung weg, ob man es auch diesmal schafft, sich genau in der Reihe anzustellen, wo es am längsten dauert. Heute ist in der Post der Sozialismus ausgebrochen: gleiches Recht für alle. Es gibt eine Schlange, die für alle Schalter gilt (überhaupt, mehr als zwei Schalter besetzt! Bei der Post! Wow!!). Und ganz vorne ergibt sich dann, zu welchem freundlichen Mitarbeiter bzw. zu welchem Teil des Servicepersonals man gehen darf. Aber halt, zuvor fällt der Blick unweigerlich auf einen überdimensionalen Aufsteller, auf den ein künstlerisch semi-begabter Postler von Hand und in bunten Farben geschrieben hat: »Heute werden Sie auf das Post-Girokonto angesprochen«.

Toll, immerhin wird man gewarnt. Ab und zu steht da auch Werbung für Ökostrom (mit einer dramatisch eingerahmten Weltkugel), und der Aufforderung, dass man der Post doch alles vertrauensvoll in die Hände legen soll, wenn man bitte (gefälligst) seinen Stromanbieter wechseln will.
Strom bei der Post. Babyklamotten bei Tchibo. Einfamilienhäuser bei Plus. Wann hört das auf?
Hat man nun am Schalter seine drei Briefmarken gekauft, wird man jedes mal noch verhört:
»Haben Sie über einen anderen Stromanbieter nachgedacht?«
(Strom kommt aus der Steckdose, mehr will ich nicht wissen.)
»Wo haben Sie denn Ihr Girokonto?«
(Das geht Sie, mit Verlaub, einen feuchten Kehricht an.)

Überhaupt, einem Konzern, der nicht mal fähig ist, meinen Briefkasten zu finden, wenn der Absender als Hausnummer statt der 5 eine 7 geschrieben hat, und das in einer Straße mit insgesamt nur 14 Häusern, nein, man mag mich eigen nennen, aber so einem Konzern mein Geld anzuvertrauen erschiene mir ein wenig ... gewagt.

Doch ungeachtet dessen möchte mir das freundliche und offenbar verkaufsgeschulte Servicepersonal gerne ein Girokonto abringen, wo ich doch eigentlich nur eine 45-Cent-Briefmarke erwerben wollte.
Selbst auf ein sehr abweisendes: »Nein danke, ich bin mit meiner Bank zufrieden«, wird nicht etwa höflich genickt, nein, es kommt noch die Nachfrage: »Aber zahlen Sie denn zur Zeit Kontoführungsgebühren?«
Spätestens hier möchte man das Schalterpersonal am albernen blau-gelben Halstuch packen, ihm den auf dem Tresen befindlichen Kugelschreiber in die Nase stoßen und schreien: Warum seid ihr so freundlich? Warum so penetrant? Ich will nur Briefmarken kaufen! Wenn ich Strom haben möchte, lege ich einen Schalter um oder rufe bei einem Energieunternehmen an. Wenn ich ein Konto möchte, gehe ich zu einer Bank! Wenn ich lustige Plastikmappen mit Obstaufdruck haben möchte, lasse ich mich in die Geschlossene einweisen!

Übrigens werde ich mir demnächst ein T-Shirt bedrucken lassen. Darauf wird zu lesen sein: Nein, ich habe keine Kundenkarte und ich sammele keine Punkte oder Herzen!
Aber das ist ein anderes Thema ...