13.06.06

Katrin Wiegand

Die wundersame Verwandlung des kleinen Werkzeugzubehörs

Um es gleich vorweg zu sagen: ich hab nichts gegen Fußball. Nichts wirkungsvolles jedenfalls.
Nein. Fußball ist mir die meiste Zeit meines Lebens schlichtweg egal. Ich beschäftige mich nicht damit, ich schaue keine Spiele, ich denke nicht über die Abseitsregel nach.
Gut, man kommt in diesem Land um das Thema nicht herum, ohne sich zu verrenken. Natürlich weiß ich, wer Herr Beckenbauer ist, und ich erkenne einen Gag über Rainer Calmund, bevor er ausgesprochen wird.

Bei Europa- und Weltmeisterschaften sehe ich mir aber gerne einige Spiele an, nicht so sehr, weil ich die Sportart plötzlich so toll finde, sondern da geht es mehr um den sozialen Faktor: man schaut gemeinsam, entweder in einer geeigneten Kneipe oder bei Freunden daheim. Das ist schön, das macht Spaß, da darf man auch mal brüllen und mitfiebern. Und nein, ich weise jeden Verdacht von mir, ich sei ja nur an den athletischen Männerkörpern interessiert. Sportler lassen mich völlig kalt, meine Präferenzen sind da anderer Natur. Hübsch formuliert hat es mal meine hier schon einmal erwähnte nahe Anverwandte: »Du stehst ja eher auf diese Bleistiftschubser!«

Recht hat sie. Wer Bleistifte schubst statt gegnerische Spieler, kann meist auch mehr als zwei gerade Sätze am Stück sprechen. Aber dafür werden die Fußballer ja nicht bezahlt. Ach ja, Geld. In finanzieller Kamikaze-Stimmung habe ich mich am bürointernen WM-Tipp beteiligt und die komplette Vorrunde in anderthalb Minuten getippt. Wozu auch darüber nachdenken, bei meinem fußballerischen Kenntnisstand würde ein überlegtes Tippen meine Chancen auch nicht um ein Jota erhöhen. Die zehn Euro sehe ich nie wieder. Nach einem tränenreichen Abschied von meinem sauer verdienten Geld erwartete ich sehnlichst den Feierabend, und auf dem Heimweg verschlug es mich noch in einen Supermarkt.

Nun habe ich in den vergangenen Wochen den WM-Marketing-Overkill so gut es eben ging ignoriert, mich allenfalls gewundert ob der Irrwitzigkeiten, die da, hastig mit schwarz-rot-gold bestrichen, zum Verkauf dargeboten wurden. Ab und zu ein verstohlenes Grinsen, wenn ein armer Tropf vor mir an der Kasse ein »WM-Fan-Kit« oder ähnlichen Tand erwarb, aber ansonsten die mentalen Scheuklappen aufgesetzt: ich muss den Kram ja nicht kaufen.
Bis zu diesem Moment im Supermarkt, Tatort: die Obst- und Gemüseabteilung. Vor mir liegt ein Eisbergsalat. Ein schnöder, stinknormaler Eisbergsalat, eingepackt in Klarsichtfolie. Aber: diese Folie ist mit einem Fußball-Wabenmuster bedruckt.
Sonst nichts. Kein WM-Gewinnspiel, keine Aufschrift »Weltmeister-Vitamine« oder ähnliches, nichts. Einfach nur ein Salat, der aufgrund des Folienaufdrucks nun aussieht wie ein grüner Fußball.

Liebe Salatproduzenten, helft mir weiter: wo ist da der Sinn? Gibt es irgendeine wirtschaftlich-marketingstrategische Rechtfertigung für den Kostenaufwand, die Folien mit Fußball-Muster zu bedrucken? Wo ist der Werbeeffekt dabei? Der Punkt ist doch: es gibt sowieso nur diese eine Sorte Eisbergsalat im Geschäft! Entweder will ich welchen kaufen, oder eben nicht. Ob der nun mit Ballmuster oder Blümchen oder Pornozeichnungen bedruckt ist – wenn ich Eisbergsalat essen will, muss ich diesen kaufen, es gibt keine Alternative. Oder gibt es wirklich Menschen, die in den Supermarkt gehen, sich denken, heute kaufe ich mir mal eine Paprika, dann den grüngeblätterten Fußball sehen und sich umentscheiden mit dem Gedanken, ach, wie nett, ein Eisbergsalat, der aussieht wie ein Fußball, dann lass ich die Paprika und kaufe lieber den..?
Ich glaube nicht daran.

Die WM ist gut und schön, aber sie treibt seltsame Blüten. Warum nun ausgerechnet um Fußball so ein Bohei gemacht wird, hat mir auch noch niemand hinreichend erklären können. Bricht im Land die Hölle los, wenn hier die Hallenhockey-Weltmeisterschaft stattfindet oder die Weltmeisterschaft im Poolbillard?
Nein. Solche Ereignisse bekommt kaum jemand mit (außer den Hallenhockey- und Poolbillardspielern selbst, natürlich.. denen wird es schon rechtzeitig auffallen. Wobei es auch eine hübsche Vorstellung ist, wenn so ein Hockeyspieler auf einem Podest steht und einen Pokal in die Hand gedrückt bekommt, und sich währenddessen fragt, wie zum Teufel bin ich denn hier hingekommen?).

Aber bei Fußball verfällt die Nation in einen Ausnahmezustand. Mittlerweile sichtet man kaum noch männliche Kinder und Jugendliche, die etwas anderes tragen als Fantrikots. Und von Endvierziger-Bierbäuchen, die sich in zu kurze Sportleroutfits zwängen, hab ich auch für den Rest meines Lebens genug gesehen, vielen Dank.
Aber gut, die paar Wochen stehen wir durch, jubeln brav bei jedem Tor der favorisierten Mannschaft und nörgeln über die deutsche Abwehr, als hätten wir unser Leben lang nichts anderes getan.

Ein schönes Fazit des ganzen »Das-Runde-muss-ins-Eckige«-Rummels bekam ich in einem bekannten Discount-Laden zu Gehör, und wie so häufig tut Kindermund Wahrheit kund. Im Kassenbereich des Geschäfts lag Heimwerker-Bedarf, im speziellen ein Kästchen mit, ich glaube, Steckschlüssel-Aufsätzen oder ähnlich mysteriösen Dingen. Das Logo der Steckschlüsselfirma und der Karton waren in schwarz und gelb und rot gehalten, quer über die Packung. Keinerlei Bezug zur WM, die Firmenfarben sind einfach immer so. Ein Kind erspäht die Schachtel, deutet mit dem Finger darauf und sagt stolz zu seiner Mutter: »Da ist Deutschland!«
Schöner kann man es nicht ausdrücken.
Ob das Frau Merkel weiß?