14.11.09

Katrin Wiegand

Depression, Angst und andere eklige Tiere

Das Stichwort Depression ist seit dem tragischen Tod eines Fußballstars in aller Munde.
In diesem Satz wird kaum eine Floskel ausgelassen: denn ist nicht erstens jeder Tod irgendwie und für irgendwen tragisch (die vereinzelt zu erspähenden ausgelassen auf den Gräbern tanzenden Erben jetzt mal beiseite gewischt), und in aller Munde sind höchstens unsere einzelligen Freunde, die Bazillen. Wer sich indes umhört an den Laden- und sonstigen Theken dieses Landes, hört so allerlei, aber der Fußballstar wird eher selten erwähnt, oder höchstens als Aufhänger für ein privates Thema: »Der Schwager meiner Nachbarin hat sich ja auch umgebracht. Die Flecken hat sie heute noch im Teppich, die Arme ..«.

Nein, wenn schon in aller Munde, dann können hier nur die Münder von Medienschaffenden gemeint sein, denn ob auf Papier, im TV oder (und vor allem) online, überall in unseren Massenmedien wird dieser Freitod durch den Schlamm des sogenannten öffentlichen Interesses gezerrt. Und mit ihm der Fußballer, sein Leben, seine Witwe, seine Ärzte, Kollegen, Nachbarn, und wer sich sonst noch alles meint zu Wort melden zu müssen. Und zu allem müssen natürlich Bilder her (außer beim Radio, aber wer minütlich Senderjingles bringt, in denen der Hörer daran erinnert wird, was er eigentlich eingeschaltet hat, wird von mir sowieso nicht als zurechnungsfähig betrachtet). Diesen immer gleichen Bildern kann man nur noch entgehen, wenn man TV und Computer ausschaltet (am besten gleich den Netzstecker ziehen) und sich ein gutes Buch zur Hand nimmt.
(Aktuelle Empfehlung der Autorin: Bill Brysons »Shakespeare wie ich ihn sehe«)

Es kann doch nicht nur mir so gehen, dass ich mich beim Anblick von leuchtenden Jacken auf dunklen Bahngleisen frage, wer denn bitte von diesem »Tatort« noch bunte Bilder braucht? Einstürzende Hochhäuser, gut, die sieht man nicht jeden Tag (glücklicherweise), aber für einen Freitod auf den Schienen sollte die eigene Phantasie ausreichen, um davon keine detaillierten Bilder haben zu wollen!

Schön wäre allerdings, wenn dieser Fall nicht nur ein kurzes Medienereignis bleibt, sondern die Krankheit Depression tatsächlich mehr ins Licht der Öffentlichkeit rückt und es gelingt, Vorurteile abzubauen. So könnte den Betroffenen immerhin geholfen werden. Zu wünschen wäre es. Dann würden sich die Erkrankten vielleicht seltener mit Unverständnis und Geringschätzung herumschlagen müssen und weniger mit Sätzen wie »ach, Kopf hoch« oder gar »stell dich doch nicht so an« konfrontiert werden.

Solche Sätze sind bei einer Depression ähnlich hilfreich wie der Satz »Die hat doch mehr Angst vor dir als du vor ihr« oder »Die sind doch sehr nützlich« bei Arachnophobikern. Die Autorin weiß, wovon sie redet.
Auch Menschen mit Flugangst hilft es keineswegs, wenn man ihnen vorbetet, dass Flugzeuge statistisch die sichersten Verkehrsmittel sind, und Leute mit Höhenangst hören auch nicht auf zu zittern (oder heulend zusammenzubrechen, je nach Schwere des Falls), wenn man ihnen versichert, das Geländer sei total stabil!

Nach meiner bescheidenen und wissenschaftlich völlig unbelasteten Meinung hat jeder Mensch mehr oder weniger diffuse Ängste, die er mit sich herum trägt. Bei dem einen äußern sich diese Ängste in einem manischen Waschzwang, der andere läuft schreiend weg, wenn er eine Blindschleiche erblickt, und der nächste ist vielleicht nur im zwischenmenschlichen Kontakt immer eine Spur zu laut, zu selbstsicher, zu auf-die-Kacke-hauend, womit er die eigenen Defizite unbewusst zu überdecken versucht.

Wer sich frei von allen Ängsten wähnt, der werfe den ersten Schlüssel, die erste Versicherungspolice, denn auch die sind letztlich nur Ausdruck unserer (mehr oder weniger berechtigten) Sorgen und Ängste.

Wer aber mit anderer Leute Eigenheiten und Probleme nicht umzugehen weiß, der spare sich in Zukunft so hilfreiche Reden wie »Ach, du stellst dich doch nur an!«, fasse sich an die eigene Nase und halte am besten einfach die Klappe. Dann wäre wirklich jedem gedient.

Robert Enke natürlich nicht mehr. Aber vielleicht vielen, denen sein Schicksal so erspart bleiben könnte.

So, jetzt entlasse ich die geneigte Leserschaft wieder in ihr Privatleben und versuche, ruhig atmend, die Spinne vor meinem Fenster geflissentlich zu ignorieren.